Brexit, Trump und nun vielleicht auch Hofer. Die in diesen Wochen am schwersten zu beantwortende Frage lautet: Warum gewinnen die rechtsautoritären Bewegungen eine Wahl nach der anderen und scheinen kaum aufhaltbar? Ein Aspekt wird hierbei kaum beleuchtet. Sie gewinnen trotz einer beträchtlichen inneren Widersprüchlichkeit, die ihnen kaum je vorgehalten wird, noch ihnen hinderlich zu sein scheint. Psychologisch ausgedrückt, senden alle Rechten eine »doppelte Botschaft«. Einerseits inszenieren sich Donald Trump, Boris Johnson, Nigel Farage oder eben auch Norbert Hofer als Rebellen, als Kämpfer gegen das Establishment, gegen »die da oben«. Andererseits werben sie damit, durchzugreifen und Ordnung zu schaffen. Beziehungsweise wollen sie eine neue, strengere Ordnung installieren, die zuverlässig immer etwas mit Grenzen im physischen Sinn zu tun hat. Also Zäune aufstellen, Mauern bauen oder niemanden mehr auf die Insel lassen. Nur, Rebellen machen so etwas nicht. Revolutionen müssen inhaltlich leer sein, sonst sind sie ein Betrug. Der authentische Plan lautet: »Wir werfen das Joch ab und dann sehen wir weiter.« Das geht oft schief und nach dem kurzen Sommer der Anarchie wird alles nur mehr schlimmer. Aber die rechten Rebellen nehmen diese Enttäuschung bereits vorweg und werben sogar damit. Ein faszinierend widersprüchliches Model. Leider scheint es zu wirken.
Wer Farage, Trump oder Hofer wählt, will zwar aufbegehren, erwartet sich aber keine Befreiung. Vielmehr erwarten sich die Gefolgsleute sogar, eingesperrt zu werden. Darauf laufen schließlich die Vorhaben der rechten Rebellen hinaus. Eine Mauer oder ein Zaun nämlich, der die unerwünschten Fremden draußen halten soll, hält die erwünschten »eigenen Leut’« zugleich gefangen. Ganz konkret werden Brexit und die Regierung Trump, die sich selbst als »brexit plus, plus« bezeichnet, die Reisefreiheit und Niederlassungsfreiheit auch ihrer Bürger beschränken. Tatsächlich wird Norbert Hofer Südtirol von Italien zurückerobern müssen, wenn weiterhin ungehindert von Nord- und Osttirol dorthin gereist werden soll. Mal sehen ob ihm das gelingt. Ansonsten wird es nach einem Zerfall der EU (Hofer hätte wohl kaum etwas dagegen) wieder Grenzkontrollen auf dem Brenner geben.
Die konkreten politischen Widersprüche der rechten Rebellen aufzuzählen, scheint müßig. Sie scheuen weder den Widerspruch noch dessen Aufdeckung. Ein Tag nach dem Brexit sagt Farage: Na gut, dann war es halt Unsinn, als ich versprochen habe, durch den Austritt gäbe es mehr Geld für die Gesundheitsversorgung – who cares? Donald Trump nennt sich selbst einen Arbeiter-Milliardär (»blue-collar-billionaire«). Keine Karikatur kann diesen widersprüchlichen Unsinn noch überzeichnen.
Make Your Own Kind of Music
Warum machen so viele dabei mit? Möglicherweise gibt es einen tiefliegenden seelischen Grund. Das »linke« Gegenangebot ist anstrengend und mitunter verwirrend. Was die Rebellion von links fordert, bedeutet im Kern: »Mach dir deine eigenen Gedanken, male deine eigenen Bilder, singe deine eigenen Lieder, lebe deine eigene Sexualität und finde deinen Weg.« Uff. Es können zwar gerne Gleichgesinnte gesucht werden, aber es gibt keine stabilen, dauerhaften Gruppen. Eine feste Zugehörigkeit, wie beispielsweise zu jenem Konstrukt »Nation«, fehlt. Linken Entwürfen vorzuwerfen, sie wollen bevormunden und verbieten, ist abstrus. Ein »gemäß den eigenen Fähigkeiten und nach den eigenen Bedürfnissen« schwingt in allen Konzeptionen mit, dass dies in linksautoritären Realitäten meist verraten wurde, steht auf einem anderen Blatt. Kurzum, wer links denkt, handelt und empfindet, will gerade nicht bevormunden, nur macht sie oder ihn das wiederum für viele Mitmenschen seltsam furchteinflößen und sogar abstoßend.
Mehr noch, in der Unterwerfung scheint etwas Anziehendes zu liegen. Rechte Demagogen spüren dies sehr genau. Ein von Berufsleben und Gesellschaft geknechtetes Bewusstsein (zumal ein katholisches) erwartet für sich und andere vor allem eines: die »gerechte Strafe«. Endlich soll es denen einmal gezeigt werden! Und sollte es auch mich erwischen – nun, was habe ich Besseres verdient? Kombiniert mit der Visionslosigkeit der Linken ist dies eine fatale Mischung. Es war bei Clinton so, die kaum Perspektiven aufzeigen konnte, weil sie gefangen war in einem Dickicht aus Verpflichtungen und technokratischen Erwägungen, und es ist bei Alexander Van der Bellen so, der sich wohl als Ökonomieprofessor irgendwann mit der himmelschreienden Ungerechtigkeit des Kapitalismus abgefunden haben muss. (Er nennt dieses Arrangement »Linksliberalismus«) Sein Eintreten für TTIP oder Studiengebühren belegt dies und sein freundlich graues Gesicht verzieht sich gerne zu einem herablassenden Lächeln, wenn ihm jemand etwas von einer anderen Welt erzählen will. Ein echtes, befreiendes Gegenprogramm zu den Unterwerfungsgelüsten der Rechten sieht anders aus.
Dennoch, wollen wir hoffen, Van der Bellen wird am Sonntag gewählt, und die skug-Redaktion ruft ihren Leserinnen und Lesern in aller Naivität gemeinsam mit Mama Cass Elliott zu: Macht euer eigenes Ding!