Super! Den pussy hound ließ Cave zuletzt bei Grinderman ganz schön garstig raushängen. Der alte Bock erkennt die Zeichen der Zeit und weiß sie geschickt für sich zu nutzen: einerseits himmeln sie, die Damen und Mädels, in Wirklichkeit ja eh alle den sexistischen Macho an. Deshalb putzt Cave sie als Grinderman bzw. als cocksman (so das Verkaufsargument am Klappentext) Bunny Munro so richtig durch. Und danach, wie gewieft, kommt der Gemahl wieder als stimmiger Singer/Songwriter angekrochen und setzt seine Gattin ganz lieb in Szene: Schaut, wie hübsch, rehleinhaft und (unschuldig-)nackt sie am CD-Cover rumtänzelt. Verdeckt lediglich ihr junges Gesichtchen durch ihre Haarpracht, man will ja schließlich nicht alles preisgeben. ?brigens ist Caves Bart nun ab; seine Angetraute aber bleibt nicht mal halb so alt wie er ist. Und die französische Fotografin stand, laut Cave, rein zufällig im ehelichen Schlafzimmer. Ist am Ende nicht nur »die Hälfe dessen was auf Wikipedia steht, kompletter Bullshit und frei erfunden« (Nick Cave in »Die ganze Idee der Menschheitsgeschichte ist eine Fiktion!« in »SPEX«, März 2013)?
Ohne Frage steht gleich beim ersten Durchlauf des fünfzehnten Albums fest, dass es sich hierbei um ein fulminantes, spätes Meisterwerk unseres unnachgiebigen Helden handelt. In ein »jungfräulich« frisch gedrucktes Notizbuch einer sehr guten australischen Freundin krizelte Cave (»ich habe ein sehr starkes visuelles Verlangen«) alle Notizen und Texte zu diesem Album. Aufgenommen in Südfrankreich in einem Herrenhaus der Spätromantik suchte ihn dort im Song »Higgs Boson Blues« sogar der Geist des archaischen Teufel-Bluesers Robert Johnson heim (»Who cares what the future brings …«). Cave (ver)führt uns in eine Welt, die um Welten ansprechender klingt, als die (nicht unähnliche) von »The Boatman?s Call« bzw. die seines (bislang schwächsten) Albums »Nocturama«.
Ob diese introspektiven Songs besser sind? Darum geht es nur peripher. Den entscheidenden Unterschied macht die faszinierende, durchgängige Grundstimmung aus. Der mag man sich schwerlich entziehen. Seit Tagen legt meine (noch) Lebensgefährtin diese CD auf und ich gerate im Wohnzimmer in ein mystisches, nachgerade esoterisches Ambiente. Nahezu unpackbar. Ja, ja, ich bin eh auch einer der Guten, einer der Gläubigen. Nimm mich also mit und lass mich nicht zurück in dieser Verdammnis!
Multiinstrumentalist Mick Harvey ist erstmals nicht mehr dabei. Cave schweigt sich über die Gründe dafür aus, vermutlich lebte man sich auseinander. Und eigentlich muss sich der Künstler, will er nicht absaufen/absterben, sowieso permanent verändern. ?ber all die Jahre hinweg war Harvey in punkto Song-Arrangements Caves wohl wichtigster Mitstreiter mit einem kaum zu überschätzende Beitrag. Nun kommt anderen Musikerkollegen – Cave sieht sich nicht als Solokünstler, sondern als kreativer Kopf/Künstler einer Band-Formation – diese wichtige Aufgabe zu. Vor allem Warren Ellis, der nun der musikalische Bandleader zu sein scheint, und zudem das nuancierte Spiel des Drummers Thomas Wydler tragen maßgeblich zur Magie dieses tollen Albums von Nick Cave & The Bad Seeds bei.
Apropos Magie. Die führt uns auch noch zum tollen Eröffnungssong »We No Who U R«: »Tree don’t care what the little bird sings … the tree don’t know what the little bird brings … the trees all stand like … And we know who you are, and we know where you live, and we know there’s no need to forgive.« Erinnert mich, echt krass, an meinen Lieblingswitz der Neunziger Jahre: Stehen zwei Bäume an der Autobahn. Sagt der eine zum anderen: »Wie spät ist es?« Antwortet der andere: »Is eh wurscht!« – Und das musikalische Radl, die Reprise des Songs »Jubilee Street« ruft Erinnerungen sowohl an »Gimme Shelter« (The Rolling Stones) als auch an »Hey Jude« (The Beatles) wach. Es hätte fürwahr schlimmer kommen können. Ach ja, ein nicht jugendfreies Video gibt es zu diesem Song auf YouTube auch. – »But you grow old, and you grow cold … and the local boys watch ?? the girls from the capitol, who dance at the Water’s Edge, shakin‘ their asses …«
Fazit: Eines meiner Lieblingsalben des (ähem, jungen) Jahres 2013!