Virilios Daseinsbeschleunigung. In tiefblau getränkte Fabrikslagerhallen, in denen außer einer Badewanne nur ein flackernder Fernseher steht. Die Virtualisierung des Alltags, mit McBaudrillard oder ohne.
Borroughs und Thompson hauchen in einem eng verzweigten Zungenkuss: Mind your own Business! Wir tanzen isoliert und weltübertragen. Am schönsten ist es allein. Sogar Warhol hat sich zu Tode gefickt. Und gefickt hat er nicht allzu oft. Es gibt keine Kunst abseits des Produkts. Es gibt kein Individuum abseits der Ich-AG. Es gibt keine Gemeinschaft abseits etablierter, förmlicher Existenzsysteme. Genauso wie die Sechziger wie die immer absurdere Illusion einer letzten alternativen Sozietät, der »anderen« Familie, egal ob plakativ gut oder plakativ böse, erscheinen, in der sich doch die mächtigere Vision des asozialen Existentialismus durchkrebste, so scheint die Ist-Kultur endgültig in der Möbiusschleife der Achtziger stecken geblieben zu sein. Global americanised Psycho oder jeder ist seines eigenen Glückes Arschloch. AIDS als erfrischendes, greifbares Symbol der Menschabtragung in absoluter Isolation. Und als Gegenvariante der Terminator, das Funktionsdasein, ein sauber getimetes Clockwork TX Orange.
Danach kam allein Stagnation, die Alles-Inklusive-Welt samt Rundum-Animation und selbstreflexiven, heißt endlos in sich rotierenden Erlebniswelten, die man sich leisten kann, nicht will. Oder auch nicht. Ein Zustand, der jetzt sogar dazu führt, dass viele nur mehr in Krieg und Kapitalzerstörung den Beginn neuer Möglichkeiten sehen. Dazwischen entstand, florierte, verging nur eine einzige eigenständige kulturelle Ausdrucksform: das Musikvideo. Das nicht umsonst, zeigte es doch schon vor, wie die Vorzeigebilder vom »wilden, ungehemmten« Leben in einem in sich geschlossenen, antiseptisch sicheren System kapitalisiert werden konnten. Und trotzdem authentisch blieben. Doch auch diese Geschichte kennt ein absehbares Ende, vielleicht nicht des Systems, aber zumindest der kreativen Blütezeit und der damit Hand in Hand gehenden Energie zwischen Band, Machern und Publikum. Begann MTV 1981 als Sub-Unternehmen des damaligen Warner-Amex-Konzerns, das das neue Tool Kabelfernsehen in die äußerst gewinnbringende Schmarotzerfunktion drängte, die durch Tape-Piraterie und überzüchtete Chartsbands brachliegende Musikwirtschaft als neue Plattform für die rockende, punkende, metallernde, wavende, später auch hoppende und funkende Jugendkultur dazu zu zwingen ihr Vollprogramm zu finanzieren. Plattencovers als bewegter Film in gut abgestoppter Songlänge. Sämtliche Investitionen nur für’s Ich-Marketing.
Der Rest leere Maschinerie, die sich von den brüllbunten Mengen der Trends und Hypes den Puls diktieren ließ. Der Mensch/Sänger als Produktikon, die Musikalisierung und rein referenzverbunde VerPOPpung der Erzählweisen, die untrennbare Verwachsung mit Werbung und Vermarktung hat inzwischen die gesamte Kulturproduktion ausnahmslos eingenommen. MTV sowie die unzähligen Derivate von VIVA bis GoTV verblassen derweil anno 2004 als überkommene Ahngeschichte, die momentan noch ein bisschen Cash aufrührt, sonst nix mehr zu sagen hat. Die Flucht ins konventionelle Programm, von Real World bis Beavis and Butthead und den Osbournes, noch eine zeitlang gut zu Buche, wird in Sekundenschnelle von den Großsendern plagiiert. Der früher vom Feuilleton so umfeierte wie bekriegte »Flow« der Musikvideoproduktion selber liegt im ökonomisch immer enger und unlustiger gewachsenen Betrieb der Musikwirtschaft brach. Es muss billig und schnell produziert werden. Keine Spirenzchen. Keine Risiken. Titten, Arsch, Gerät to the Beat. BummBumm. So kommt es, dass diese gewisse Periode von Mitte bis Ende der Neunziger, als man gewisse Musikvideomacher zu Artisten, denkfähigen faszinierenden Künstlern hochjubelte, bereits wieder so nostalgisch wirkt wie deren Videos. War es einerseits ein verzweifelter Versuch der Industrie sich zu veredeln bzw. Zusatzverwertung über die »Hochkultur« zu erhalten (wie es etwa die Cannes-Rolle mit Werbung tat), so brachte diese Periode doch ein gutes Dutzend großartiger Regisseure hervor, von denen viele inzwischen in den Spuren von Julien Temple und Russell Mulcahy beim Spielfilm werken.
Nicht nur das, mit David »Fight Club« Fincher und Spike »Being John Malkovich« Jonze haben sie auch die beeindruckendsten Wesen des heutigen Hollywood hervorgebracht. Eben jener Jonze, bekannt für’s 70er-Straßen-des- heiligen-Schnauzers-Revival durch Beastie Boys »Sabotage!«, preisgekrönt für das Überwachungsstaat-goes-Popprovokation-MuVi »Praise You« von Fatboy Slim, hat nun eine Collector’s Edition der besten Videos der namhaftesten Regisseure initiiert. Fette DVD-Packages mit prallvoll illustrierten Mini-Büchern, jeder Menge Audiokommentare, Making Of’s, Nebenwerke in Form von Werbung, Kurzfilmen, Mini-Dokus, phantastischen Layoutdesigns. Liebevoller und mehr auf den Punkt geht’s nicht. Die blitzschnelle Improvisationsgabe, den hüftschwingenden Uhrwitz, der digitale LoFi-»Jackass«-Anarchismus und die beste Nerd-Choreographengabe des Planeten (Chris Walken in »Weapon of Choice«, Björk in »It’s oh so quiet«) von Jonze selbst. Die brachiale Bewusstseinsorgel, die technoide Depessivpsychedelik, die todessüchtige Stereotypenzerschlagung und düstere Kindlichkeit eines Chris Cunningham (Aphex Twins Meisterstückerl plus Madonnas »Frozen« oder Leftfields »Africa Shox«). Die Knetmassenübermut, die furzologische Treppenwitzigkeit, die konstant überdrehte, mit Photoshop-Schmetterlingen und Atari-Klötzen um sich werfende Wahnwitzigkeit eines Michel Gondry (Björk, White Stripes).
Ein essenzielles Vergnügen. Folgewerke kann man absehen: Jonathan Glazer. Floria Sigismondi. Jonas Akerlund. Vielleicht sogar modische Dekadenzia wie Mondino oder LaChapelle. Vielleicht aber auch frischeres wie PhilipVirus oder Mike Mills. Doch sie bleiben museales Dokument einer aussterbenden Kunstform, auf der schon jetzt die Spinnweben wuchern. Denn schon jetzt hat die Generation danach mit Breitenstreuung und Aufwandsminimierung schlagkräftig Nichts, also alles zu sagen. McQ und Markus Nispel, bitte sterben! Whatever happened to my Rock`n`Roll?
The Directors Label-DVD Vol. 1-3: »The Work of Director Spike Jonze/Chris Cunningham/Michel Gondry« (Palm Pictures/Labels/Virgin-EMI)