»United for Ukraine« © Olga Yurchenko
»United for Ukraine« © Olga Yurchenko

»Nimm deine Beine in die Hand«

Beim Solidaritätskonzert »United for Ukraine« am 21. Februar 2025 freuten sich Tausende Ukrainer*innen über Acts wie Zlata Ognevich und Lemo, die zu ihren Ehren auftraten. Das Konzert wurde im ukrainischen Fernsehen übertragen. Ein Ausflug in die Marx Halle mit der Ukrainerin Anna und ihren Kindern.

Schon die Straßenbahnlinie 71 ist voll mit Ukrainerinnen und ihren Kindern, die alle zum großen Solidaritätskonzert »United for Ukraine« wollen. Ukrainische Jugendliche versuchen gelangweilt auszusehen und starren auf ihr Handy. Als die Menschenmenge bei der Haltestelle nahe der Marx Halle aussteigt, wogt sie erst in verschiedene Richtungen, doch dann ergießt sich der Strom einheitlich eine Treppe hinunter. Wer Wien gefunden hat, wird auch die Marx Halle finden. Ein Mann im Rollstuhl wird eine Rampe hinuntergeschoben, er treibt mit den Armen noch extra den Stuhl an, sein Fahrer kommt kaum hinterher und lacht. Eine lange Schlange mit Hunderten Ukrainer*innen wartet vor dem Eingang der Marx Halle, es gibt genaue Sicherheitskontrollen. Einige Rollstuhlfahrer*innen überholen souverän die Wartenden und biegen flott um die Kurve.

Kein Mitleid mehr

»Neulich war ich für ein Bewerbungsgespräch bei einem Bestatter«, lacht Anna, die vor ihrer Flucht aus Kyjiw schon von der Halbinsel Krim flüchten musste, wo ihr Mann und sie eine Urlaubssiedlung mit kleinen Häuschen besaßen. »Beim Wiener Bestatter wurde ich gefragt, was ich machen würde, wenn jemand neben mir weint.« »Ja schwierig«, sage ich, »ein Taschentuch reichen?« »Ich traue den Tränen nicht, habe ich geantwortet«, sagt Anna. »Kein Mitleid mehr!« Nach drei Jahren Krieg in der Ukraine traut sie den Tränen nicht mehr? »Ich glaube nicht mehr an Tränen, nicht wegen des Krieges. Das wäre ja gemein. Es liegt an meiner Erfahrung mit drei Kindern. Ich habe immer Kleine zu Hause, die alles, was sie wollen, mit Tränen erreichen. Wenn ich also jemanden in meiner Nähe weinen sehe, werde ich eher sagen: Hör sofort auf, sonst bekommst du deine Süßigkeiten nicht!« Kleine Pause. »Der Bestatter hat mich nicht genommen«, resümiert sie.

Lemo © Olga Yurchenko

Drinnen ist die riesige Halle nur halbvoll, obwohl Tausende Menschen gekommen sind. Dutzende Kinder flitzen fröhlich hin und her, spielen fangen oder rennen einfach nur so. Zu viel Energie und Coca Cola. Das Konzert wird im ukrainischen Fernsehen ausgestrahlt und ist streng gehalten: Nur zwei Songs pro Teilnehmer*in, allein der ukrainische Popstar Zlata Ognevich darf gegen Ende länger singen. Anna bindet ihren Jüngsten mit einer Schnur an sich, damit sie ihn nicht verliert. Dieser verwickelt sich aber mehrmals so kreativ in die weiße Kordel, dass er bald wieder frei ist. Eine junge, blonde, ukrainische Sängerin singt: »Man muss warten, bis der Regen endet!« Doch Warten scheint der Flüchtlingsfrauen Sache eher nicht.

Kopf aus dem Sand

Anna ist wegen Lemo gekommen, dessen Songs sie sich vorher anhörte. »Lemo wie Lemonade«, erklärt sie, »sein eines Lied ist so motivierend: Nimm deine Beine in die Hand und tu es. Tu es!«. Endlich wird ein riesiges Schlagzeug auf die Bühne gezogen! Und etwas flottere Musik gespielt. Der Österreicher Lemo singt: »Zieh den Kopf aus dem Sand, nimm die Beine in die Hand!« Anna tanzt wie wild, ihre Tochter schlägt ein Rad. Dann versucht die Elfjährige mit den Gruftie-Handschuhen sich an einer Art Salto rückwärts und landet in einer Rückwärtsbrücke. Werner Kogler und Martin Kocher halten Reden und werden bejubelt. Ein etwas schnellerer Song der Popdiva Zlata Ognevich fährt auch vielen in die Beine. Beim Eurovision Song Contest 2013 wurde sie dritte.

Zlata Ognevich & Shumei © Olga Yurchenko

»Wir haben es überlebt, kein Kind verloren«, sagt Anna, als wir uns auf den dunklen Heimweg machen. Der Kleine fragt, angesichts der Steinbänke in einem Park vor der Halle, ob das hier ein Friedhof sei. »Er mag Friedhöfe«, sagt Anna. »Er fragt mich auf Friedhöfen immer, wie jemand gestorben ist. Wenn etwas auf dem Grabstein steht, dann sage ich es ihm.« In der Straßenbahn singt der Kleine »La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zu« (Originalfassung von Heinz Rühmann) fröhlich vor sich hin. Mehrmals. Dann sagt er, dass er mich nach Hause mitnehmen möchte, um mir seine Holzwaffen zu zeigen. »Sie will deine Waffen nicht sehen, denn sie fürchtet sich vor Waffen«, sagt Anna. »Sie ist eine große Oma und braucht sich nicht vor Waffen zu fürchten«, ist die Antwort.

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