Als Mitte der 1970er Jahre in Birmingham Forschungsarbeiten über Popsubkulturen entstanden, die bis heute Maßstäbe setzen, legte Angela McRobbie den Finger in die Wunde und wies darauf hin, dass in diesen Studien keine Frauen vorkämen. Als Konsequenz erforschte sie mit den Teenyboppern eine damals von Mädchen geprägte Erscheinungsform der Popkultur, in deren Zentrum Tagträumereien standen.
Dieser Ansatz ist in den vergangenen Jahren immer wieder aufgegriffen worden. Er wurde auf Fans von Soaps übertragen und zum Beispiel von Gerry Bloustien in ihrer Studie »Girl Making« ambitioniert empirisch erforscht, indem sie Jugendliche mit Kameras ausstattete, die tagebuchartig ihre Träume und ihr Träumen filmten.
Auch die Begrifflichkeit zur Bezeichnung dieser Phänomene hat sich weiter ausdifferenziert. Heute werden sie insbesondere mit einer bei dem Psychoanalytiker D. W. Winnicott entliehenen Konzeption erklärt, dem ???bergangsobjekt??. Es gibt dem Subjekt eine fundamentale Sicherheit und stützt es in seinen Bemühungen, innere und äußere Realität getrennt, aber in Einklang zu halten. Dies vermag das ?bergangsobjekt aufgrund seines speziellen ontologischen Status, der darin besteht, dass für es selbst die Trennung zwischen Realität und Phantasie gerade keine Gültigkeit besitzt. Auf diese Weise schafft es im Subjekt einen »intermediären Erfahrungsbereich, der nicht in Frage gestellt wird.« (Winnicott)
Wie auch andere künstlerische Tätigkeiten und Gegenstände ist die fiktionale Literatur ein solcher intermediärer Bereich, wie etwa Julie Burchill in ihrer Autobiografie in folgender Weise konstatiert: »Lesen ist die sonderbarste Sache der Welt. Es gibt sich den Anschein der allerpassivsten Tätigkeit, auf die ein Mensch verfallen kann; Menschen, die ??Lesen?? als Hobby angeben, stempeln sich damit unweigerlich zu Mauerblümchen ab. Dennoch hat Lesen mehr Welten erschüttert, Köpfe verdreht und Leben verändert als Sex, Drogen und Nintendo zusammen.« Während es der Popkultur, wie auch dem Schreiben und Lesen inhärent ist, ist das ?bergangsobjekt kein Thema der Popliteratur. Sie artikuliert vorwiegend Phänomene, die dem klassischen subkulturellen Modus der Popkultur entsprechen: Identifikationen, Götter und Wissensschätze. Nur bei Lethem ist das anders.
Das bekannteste ?bergangsobjekt in Lethems Werk ist sicher der Ring, der Dylan Ebdus, der Hauptfigur in »Die Festung der Einsamkeit«, zu fliegen erlaubt. Und auch Dylans Verhältnis zur Musik gibt ihm Sicherheit und eröffnet ihm Erfahrungsräume, deren er dringend bedarf. Zum einen handelt es sich dabei um die Soul Music der ??Distinctions??, mit denen er in komplexer Weise biografisch verbunden ist. Zum anderen geht es besonders um Brian Enos »Another Green World«, das für den Helden am Romanende für die Üffnung hin zum Unbekannten steht, die er auf den Spuren seiner verschwundenen Hippie-Mutter in einer Kommune irgendwo im Niemandsland des Mittleren Westens erfährt.
Lionel Essrog, der Tourette-kranke Held in Lethems »Motherless Brooklyn« trägt seine ?bergangsobjekte gewissermaßen auf der Zunge. In noch extremerer Form hat Lethem den ?bergangsraum in »Als sie über den Tisch kletterte« beschrieben: Es handelt sich dabei um ein Loch im Universum, in das sich die Freundin des Helden verliebt. Dies führt ihn zu der Entdeckung, dass sich jenseits des Loches weitere, neue Universen auftun, die in ihren Eigenschaften von demjenigen geprägt sind, der in sie hineinschlüpft. Man findet sich darin quasi selbst wieder.
Ein weiteres, eindrückliches ?bergangsphänomen beschreibt Lethem in einem autobiografischen Text, der davon handelt, wie er im Sommer 1977 als Dreizehnjähriger einundzwanzigmal »Star Wars« im Kino anschaute …
In seinem Beitrag zu der bei Continuum publizierten Buchreihe »33 1/3«, die Werke der Popmusikgeschichte behandelt, befasst sich Lethem nun auf knapp einhundertfünfzig Seiten mit einem weiteren ?bergangsobjekt aus der eigenen Vergangenheit: »Fear Of Music« von den Talking Heads. Es ist eines der großen New-Wave-Alben, also: eine der spannendsten Schallplatten aus einer der spannendsten Phasen der Popmusikgeschichte. Oder, wie Diedrich Diederichsen 1979 in einer seiner ersten Kritiken für das Magazin »Sounds« über »Fear Of Music« schrieb: »So soll Musik sein, 1979. Müsste ich eine normative Ästhetik für moderne Musik schreiben, ich würde auf diese Platte verweisen.«
Lethem weicht diesem Gewicht des Albums aus, indem er seinen Kommentar »in exclusive consultation with Selfipedia« verfasst. Ein Vorhaben, bei dem er Stück für Stück (und manchmal auch Zeile für Zeile) vorgeht und in einer Art innerem Zwiegespräch mit dem jugendlichen Fan, der er einmal war, die Angst dieses Albums und vieles mehr nachzeichnet. Indem die äußere Realität (etwa in der Form anderer Stimmen zum Album) ausgeschlossen wird, erscheint »Fear Of Music« hier allerdings in einer zugespitzten ?bergangsobjektgestalt: als Fetisch.
Jonathan Lethem: »Talking Heads‘ Fear of Music«
London/New York: Continuum 2012, 160 Seiten, EUR 9,95