»Beautiful Boy: A Father’s Journey Through His Son’s Addiction« ist eigentlich der Titel eines 2008 publizierten Buchs von David Sheff, das seine Memoiren zu der Drogenvergangenheit seines Sohnes Nic nachzeichnet. Auch in Felix Van Groeningens 2018 erschienenem Film, mit dem er sich cineastisch erstmals auf internationale Bühnen begibt, wird in der allerersten Minute dieser Sachverhalt klargestellt. Damit wird dem*der »drogenfilmkundigen« Zuschauer*in allerdings auch schon in diesen ersten Minuten nahegelegt, inwiefern die folgende Geschichte nicht den typischen Klischees entspricht.
Weder Niedergang, noch Ekstase
Wer schon thematisch ähnliche Filme gesehen hat, der weiß, wie die Geschichte normalerweise funktioniert: Ein (meist) junger Mensch aus einer dysfunktionalen Familie kommt in die falschen Kreise und findet in Drogen die Lösung für das aufgerissene Loch in sich selbst. Das wäre die Verfallsvariante, wie wir sie zum Beispiel schon aus dem frühen Aronofsky-Film »Requiem For A Dream« (2000) kennen. Dann gibt es natürlich noch die andere Version: Die Geschichte von Rausch und Ekstase. Filme wie Noés »Enter The Void« (2009) oder Linklaters »A Scanner Darkly« (2006) – eine Dystopie, in der es um die Verquickung von Drogenhandel und staatlichen Strukturen geht sowie um den Missbrauch Einzelner unter dem Vorwand, das Drogenproblem zu bekämpfen – stilisieren in ihrer düsteren Art genau das.
»Beautiful Boy« allerdings verzichtet auf beide Extreme und schafft es durch seine nicht lineare Erzählweise, gewissermaßen beide Positionen zu verknüpfen, ohne dabei pathetisch zu werden. Das Skript zu Van Groeningens Film beruht bezeichnenderweise nicht nur auf den Erinnerungen des Vaters, sondern stützt sich ebenso auf die kurz davor erschienenen Memoiren des Sohnes Nic Sheff, der die Geschehnisse aus seiner Perspektive erzählt – »Tweak: Growing Up on Methamphetamines« (2007). Gleichermaßen lässt der Film einen also sowohl die Exzesse des Sohnes wie die zunehmende Frustration des Vaters nachfühlen.
Die Dynamik einer Familie
Einstweilen erzählt der Film aber neben der offensichtlichen Thematik noch eine ganz andere Geschichte: nämlich wie Familie funktioniert. Was besonders auffällt, ist, dass die dargestellte Familie zwar eine Hauptrolle spielt, aber dennoch keine Ursache erklärt. Der mit seiner zweiten Frau Karen (Maura Tierney) zusammenlebende David Sheff (Steve Carrell) führt eine unglaublich liebevolle Beziehung mit seinem aus erster Ehe stammenden Sohn Nic (Timothée Chalament) und seinen zwei kleinen Halbgeschwistern. Die periodisch und mit einigen Zeitsprüngen erzählte Systematik von Konsum – Entzug – Absturz spielt in dem dynamischen »Netz« der Familie, das Nic immer wieder »auffängt«, eigentlich nur eine mögliche Rolle. Es könnte genauso auch etwas anderes sein, das diese Familie »aufzufangen« hat.
Was den Film allerdings am meisten in seiner Dynamik auszeichnet, ist, mit welchen atypischen Mitteln er die Spannung bis zur letzten Minute hält. Neben der ständig wechselnden Perspektive und den vielen Zeitsprüngen spielt nämlich auch die Filmmusik eine große Rolle. Die den Zeitgeist auffangen wollenden 1990er-Tracks werden immer so eingesetzt, dass sie völlig kontraintuitiv wirken, was zwar manchmal verwirrt, aber dann doch immer den Fokus verstärkt. In jedem Falle: Der Soundtrack ist auch einfach so zum Nachhören empfehlenswert.
Abseits des Mainstreams
Man muss Felix Van Groeningen wirklich zugutehalten, dass er es, trotz der Verwendung »großer« Stars wie Steve Carrell oder Timothée Chalament, hinbekommt, einen Film abseits des Mainstreams zu schaffen, der eben nicht die üblichen Drogenklischees weiter belastet. Vielmehr geht man aus dem Kino hinaus und fühlt sich, als könnte die Geschichte in dieser Form einem selbst passieren, was folglich zu betretenem Schweigen nach dem Kinobesuch führen kann.