»Ich wollte einen Zusammenprall des Romantischen, Prachtvollen und Stilisierten mit einer gewissen Form von Realität,« sagt Lars von Trier über die Ästhetik von »Melancholia«. Visuell ist die Weltuntergangssinfonie des dänischen Regisseurs auf jeden Fall beeindruckend. Das Sujet des Todesplaneten wurde bereits als Werbe-Motiv gesichtet – ob dies von Trier, dem man kommerzielle Verwertbarkeit kaum vorwerfen kann, ärgert oder amüsiert? An den Beginn des Films stellt von Trier als eine Art Vorspiel (mit Richard Wagners Ouvertüre zu »Tristan und Isolde« unterlegt): kunstvoll-künstliche, schön-schaurige Bilder, die das Ende in stilisierter Form vorwegnehmen. In einem anderen Zusammenhang wäre die Verbindung von überperfekten Bildern, die inhaltlich und ästhetisch an die Ikonik von Heiligenbildern des 19. Jahrhunderts erinnern, und romantischer Musik einfach nur klebrigsüßer Kitsch – hier wirkt sie nur um so beunruhigender, schließlich geht es um die ultimative Katastrophe, nämlich das Ende der Welt. Nach der herrlich pompösen Einleitung wird der Film in zwei Kapiteln erzählt. In Teil 1 mit dem Titel »Justine« ist das Publikum Zeuge einer völlig mißlungenen Hochzeitsfeier. Teil 2 (»Claire«) zeigt die letzten Tage und Augenblicke bis zum Zusammenstoß mit dem fremden Planeten.
Die Hochzeitsparty
Eine weiße Stretch-Limo quält sich am Anfang des ersten Kapitels einen schmalen, gewundenen Forstweg entlang bis der Fahrer selbst mit Hilfe seiner Fahrgäste nicht mehr weiterkommt. Die Passagiere, ein lachendes Brautpaar, setzt seinen Weg einfach zu Fuß weiter und kommt um Stunden verspätet zu seiner eigenen Hochzeitsparty. Es ist eine Riesenfeier, die auf einem prächtigen Schloß, das dem Schwager der Braut gehört, stattfindet. Die frischvermählte Justine (Kirsten Dunst) verfällt jedoch im Laufe des Abends in immer tiefere Traurigkeit. Das Fest gerät zum Desaster. Stilistisch erinnert dieser Filmteil an Arbeiten der Dogma-Bewegung, zu deren Gründern von Trier ja zählt. Gedreht wurde mit der Handkamera, oft sind die Aufnahmen unscharf und verwackelt. Der Regisseur gibt an, es sei ihm daran gelegen, eine gewisse Häßlichkeit auf der glatten und hübschen Oberfläche sichtbar zu machen. Häßlich sind auch die Dekadenz, Verbitterung, Ausbeutung, Lächerlichkeit, Geiz usw. – alles Eigenschaften, die einigen der Hochzeitsgäste anhaften. Eigentlich ist es kein Wunder, daß Justine angesichts dieser »lieben« Freunde und Verwandten die Lust am Feiern verliert. Zwar sind Verhalten und Aussagen etwa ihres Chefs oder ihrer geschiedenen Eltern nicht die Ursache ihres Stimmungstiefs, doch offenbar wird ihr klar: Hinter allem schönen Schein verbirgt sich nur Hohlheit. Bezeichnenderweise schlägt sie ihrem Vorgesetzten, Inhaber einer Werbeagentur, der sie den ganzen Abend bedrängt, einen Werbeslogan auszuspucken, vor, das Produkt einfach mit dem Wort »Nichts« zu bewerben.
Das Ende der Welt
Teil zwei des Films setzt eine unbestimmte Zeit nach der verunglückten Hochzeit ein. Justines Depression hat sich verstärkt und ihre Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) holt sie zu sich, um sich um sie zu kümmern. Claires Ehemann John (Kiefer Sutherland), ein knallharter Rationalist, ist wenig begeistert, darüber Justine beherbergen zu müssen. Nur der kleine Neffe Justines freut sich über die Ankunft seiner Tante, die er »Aunt Steelbreaker« nennt. Dieser Spitzname wird nicht erklärt, es zeigt sich jedoch im späteren Handlungsverlauf, daß sie wohl Nerven aus Stahl besitzt und vielleicht auch überirdische Kräfte besitzt. Claire sorgt sich um ihre Schwester, zusätzlich beunruhigt sie ein kosmisches Phänomen: Ein riesiger Planet, genannt »Melancholia«, nähert sich der Erde. Bezüglich der Gefährdung des Irdischen gehen die Meinungen auseinander. John führt wissenschaftliche Beweise dafür an, daß sich Melancholia nur im Vorbeiflug befindet und errichtet ein Teleskop auf der Terrasse, um sich das Himmelsschauspiel nicht entgehen zu lassen. Als plötzlich klar wird, dass Erde und Melancholia kollidieren werden, reagieren die Familienmitglieder unterschiedlich. Justine erwacht aus ihrer Lethargie und sieht dem Ende klar ins Auge, heißt es sogar Willkommen.
Ein beliebtes Thema
Der Weltuntergang ist nicht nur im Film ein wiederkehrendes Thema. Auf der Leinwand waren vor relativ kurzer Zeit zwei Blockbuster und ein avantgardistischer Film zu apokalyptischen Themen zu sehen. In »The Day The Earth Stood Still« (2008) beschließt eine hochstehende außerirdische Macht, den Menschen den Garaus zu machen, um Pflanzen und Tieren vor dem schädlichen Einfluß des homo sapiens zu retten. Letzlich werden die Menschen aber doch begnadigt. Eine Sternenkonstellation führt zu einer Katastrophe, die droht nahezu alles Leben auf der Erde zu vernichten, ein Teil der Menschheit kann sich retten – so der Plot von »2012« (2009). Edgar Honetschlägers »AUN« (2011) erzählt von einem Ende der Welt, das durch die Arbeit eines Wissenschaftlers ausgelöst wird. Grundsätzlich sind in Weltuntergangsszenarien zwei Ursachen für das (drohende) Ende auszumachen: 1. kosmische Vorgänge, 2. durch menschliches Verhalten ausgelöste Selbstvernichtung. Beliebte Ursachen sind in letzterem Fall der atomare Overkill und die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch Umweltverschmutzung. Im Mainstream-Kino kann das endgültige Ende zumindest durch den Einsatz mutiger Helden abgewendet werden oder sich wenigstens ein Teil der Erdbevölkerung retten. Seltener bekommt das Kinopublikum eine konsequente Apokalypse vorgeführt. Stanley Kramers »Das letzte Ufer« (1959) oder auch Stanley Kubricks »Dr. Seltsam« (1964) wagen es mit der Auslöschung der Menschheit zu enden. In seiner Gnadenlosigkeit steht Lars von Trier wohl Kubrick am nahesten. Bei Kubrick siegt die grenzenlose Dummheit, die er den Menschen zutraut (zumindest den Politikern und Militärs).
Urteil: Weltenende
In »Melancholia« kommt das Ende anscheinend aus dem Nichts; es gibt keine bösen Außerirdischen, keinen strafenden Gott, keine Atomraketen, keine irren Wissenschaftler und die Umweltzerstörung wird auch nicht thematisiert. »Die Erde ist böse« sagt Justine einmal. Sie, deren Name »die Gerechte« bedeutet, spricht somit das Urteil über unseren Planeten. In einem Interview spricht von Trier davon, dass es tatsächlich Justine ist, die ihrem Leid und allem Leid der Welt ein Ende bereitet und den fremden Planeten aus den Tiefen des Alls anzieht. Von Trier steht angeblich einem Ende der Welt eher positiv gegenüber: »Wenn es schnell und plötzlich über die Bühne gehen würde, kann ich der Vorstellung etwas abgewinnen.« Der Regisseur sieht das Leben als »ziemlich fiese Angelegenheit«, bei der Leiden und Schmerz bei Weitem überwiegen. Die totale Zerstörung der Erde als Endlösung zu präsentieren ist ein gewaltiger Affront. Es ist ein Privileg der Kunst die wüstesten Fantasien darzustellen und die tiefsten Abgründe des Denkens und Fühlens sichtbar zu machen. »Melancholia« geht dabei bis an die äußersten Grenzen und vielleicht darüber hinaus, das ist beunruhigend trotz oder gerade wegen der schönen Bilder. Die Erlösungs-These bleibt im Film nicht unwidersprochen. Claire ist die Gegenstimme zu Justine. Sie kann sich gegen ihre Schwester (und Lars von Triers alter ego) nur nicht durchsetzen.
»Melancholia«. Dänemark 2011. Regie: Lars von Trier. DarstellerInnen: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, John Hurt, Alexander Skarsgård, Stellan Skarsgård, Udo Kier u.a.
Derzeit in österreichischen Kinos