Illustration © Benedikt Haid
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Marx, der verlorengegangene Mensch

Karl Marx war ein Denker des Menschlichen, der aber als Mensch teilweise hinter sich selbst zurückblieb. Eine Betrachtung von Konstantin Wecker mit kurzem Vorwort von Frank Jödicke.

Karl Marx’ Denkweg gibt durchaus Rätsel auf. Es scheint, als müsse zwischen dem frühen und dem späten Marx unterschieden werden und als habe er sich von seinen humanistischen Überzeugungen später abgewendet, zugunsten rein utilitaristischer Überlegungen. In unserer skug-Diskussion zur Feier des Bebarteten hat sich bereits Friedrich Tomberg der Frage gestellt, ob Marx somit »unmenschlich« wurde und sie letztlich verneint. Ebenso erörterte Georg Koller das Spannungsfeld zwischen dem starken und berechtigten Gefühl revolutionärer Eiferer und der Notwendigkeit, rationale, ökonomische Lösungen zu finden. skug freut sich, zu dieser Frage dem sowohl in emotionalen wie auch intellektuellen Fragen sehr beschlagenen Konstantin Wecker das Wort erteilen zu dürfen. Seinem Hinweis, dass Marx als Theoretiker unvollendet sei, ist kaum zu widersprechen. Dieser Artikel erschien in Teilen erstmalig im Publik Forum.

Auf halbem Wege stecken geblieben
Für mich ist Karl Marx einer der ganz großen Denker des 19. Jahrhunderts und der Analytiker des Kapitalismus schlechthin – Stichwort »Mehrwerttheorie«. Freilich reichte der Mensch Karl Marx allzu oft nicht an den Theoretiker heran. Freunde und potenzielle Bundesgenossen behandelte er oft hundsmiserabel – zum Beispiel Wilhelm Weitling und Bakunin. Und je älter er wurde, desto deutlicher trat der antikapitalistische Menschenrechtler Karl Marx hinter dem antikapitalistischen Mathematiker Karl Marx zurück. Der Denker des Humanen machte mehr und mehr dem politökonomischen Analytiker des Inhumanen Platz.

So großartige Sätze wie der aus seiner »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«, geschrieben im Jahre 1843 – da war Karl Marx gerademal 25 Jahre alt –, dass alle Verhältnisse umzuwerfen seien, »in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, fehlen beim späteren Marx. Dasselbe gilt für den Satz des Dreißigjährigen aus dem »Kommunistischen Manifest«, gemeinsam verfasst mit seinem Freund Friedrich Engels, erschienen 1848, dass eine Gesellschaft zu schaffen sei, »worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« – ein Satz, den ich am liebsten jedem Kapitalisten um die Ohren schlagen würde und so manchem Politiker, wenn ich nicht Pazifist wäre.

Wir erlauben uns, erneut daran zu erinnern, es steckt Herzblut in der Arbeit von Marx © Galerie MAG³

Theoretiker der Mitmenschlichkeit
Kurz also: Karl Marx ist für mich ein ökonomischer Denker der Mitmenschlichkeit, dem die Mitmenschlichkeit in seinem ökonomischen Denken immer stärker abhandenkam. An diese Mitmenschlichkeit knüpfte für mich erst die großartige Rosa Luxemburg wieder an, auf großartige Weise in Leben und Werk, mit enormer humaner Kraft, mit berührender Empathie und mit beeindruckender Beharrlichkeit. Und es war ein Josef Stalin (wörtlich: der »Stählerne«!) gewesen, der auf furchtbarste Weise die mitmenschliche Idee einer kommunistischen Weltgesellschaft in ein Schlachthaus verwandelte.

Karl Marx ist für mich also beides zugleich: grandioser Vordenker einer besseren Welt und missbrauchbarer Vorläufer einer entsetzlichen Welt. Eigentlich hat er die politökonomisch verursachte Unmenschlichkeit des Kapitalismus in Grund und Boden analysiert, doch als Theoretiker der Menschlichkeit, als Theoretiker eines Kommunismus mit wahrhaft menschlichem Antlitz ist Karl Marx auf halbem Wege steckengeblieben. Ehrendes Gedenken also diesem genialen Analytiker des menschenfeindlichen Kapitalismus und Kritik zugleich am Menschen Karl Marx, der sich, in seinem Denken und Handeln, als Mensch zu einem Gutteil verlorenging!

Dank an unseren Kooperationspartner Hinter den Schlagzeilen.

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