skug: »Jetzt bin ich fast 40«, ist von dir als Kommentar zu deiner neuen Platte zu lesen. Ist »Let them grow« als eine Art »Alterswerk« zu betrachten?
Maja: (lacht) Ich wurde in den letzten Jahren oft als Newcomer bezeichnet, das ist zwar schmeichelhaft, aber warum nicht klar sagen: »Hey, ich bin jetzt fast 40!« Ich habe mich viel mit der Frage des Alterns beschäftigt und festgestellt, dass es eine Zwischenphase gibt, durch die man sich knabbern muss, bis man schließlich als old cat betrachtet und anerkannt wird. Das ist in jeder Musik unterschiedlich, gilt aber auf jeden Fall in der zeitgenössischen Kunst. Aber mir geht es nicht um das Alter, sondern um gewisse Erfahrungen, die ich gemacht habe. Mein Leben sehe ich als ständiges Lernen. Als Kind habe ich eher Rock- und Jazzmusik gehört, in Wien haben sich dann extrem neue Welten eröffnet, vor allem die Improvisation und die experimentelle Musik. Mittlerweile hat sich auch mein Stil zu improvisieren stark verändert und ist, wenn man das so nennen kann, abstrakter geworden. Ich hatte früher zwar ein bisschen ein Problem damit, dass ich mich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen konnte und wollte, aber mittlerweile sehe ich das als Teil meiner Identität. Ich möchte auch in Zukunft offene Augen behalten, ich will mich nach wie vor immer wieder neu entdecken, ich traue mir nach wie vor Metamorphosen zu.
Hast du das Gefühl, dass du auch schon gescheitert bist mit deiner Musik?
Man scheitert immer wieder, das ist ganz wichtig.
Bei einer Musik, die sich primär in Aufmerksamkeitsnischen ereignet, ist es mitunter schwierig zu sagen, wo ein Scheitern stattfindet.
Mit Scheitern meine ich, dass ich eine bestimmte experimentelle Idee verfolgt habe, die nicht aufgegangen ist – wo ich dann andere Wege gesucht habe. Aber ich habe auch schon Konzerte gespielt, wo ich mir dachte: »Fuck, what’s going on?« Maschinen haben mitunter ihr eigenes Leben oder vielleicht haben sich ganz einfach Kontakte gelöst … dann war das Resultat einfach unbefriedigend.
Das klingt, als hättest du meist eine konkrete Vorstellung, in welche Richtung sich deine Musik bewegen soll?
Es gibt sehr oft einen Plan, aber zugleich bin ich offen für den Zufall, der ja manchmal viel interessanter ist.
Wie war das bei der aktuellen Platte?
Meine Idee war, Aspekte Neuer Musik mit meiner Vorstellung von Song zu verbinden. Damit meine ich nicht bloß ein paar Akkorde zu Refrain und Strophen zu verarbeiten, sondern abstrakte Klangräume zu behalten, auf einer experimentellen Ebene zu bleiben, aber eben trotzdem einen Song hineinzubringen. Indem ich andere Arten von Strophen entwickle oder extrem gestretchte Intros oder den Anfang eines Songs in einem Soundscape landen lasse. Das Ziel war, mit Texten zu arbeiten und »Song« zu denken, aber nicht »Songs« zu machen.
Du schreibst recht kämpferisch zu deiner Platte: »Here’s your fucking pop song!« Geht’s da auch um eine Verweigerungshaltung?
Ich glaube, es ist eine Mischung aus vielen Dingen. Ich könnte auch etwas gemein zu mir selbst sein und sagen: Vielleicht bin ich nicht fähig, einen dreiminütigen Popsong zu schreiben. Vielleicht will ich es auch nicht, schließlich werden überall, nicht nur im Pop, die Dinge so gerne in Korsette gezwängt. Aber natürlich macht mich vieles wütend in unserer Gesellschaft: die Ignoranz, Unfairness, die Angstbildung, die Hetzerei, die Manipulation, die Verblödung etc. Ich stehe auch dem sehr kritisch gegenüber, wie heutzutage Musikkonsum passiert. Wieso etwa hat die Neue Musik in den 1960ern mehr Anklang gefunden als heute?
Das täuscht vielleicht im Nachhinein, weil die Neue Musik mittlerweile Musikgeschichte geworden ist. Aber diese Musik wurde damals auch nur von einer Kulturelite wahrgenommen.
Aber wieso ist eine Musik, die über 100 Jahre alt ist, noch immer so vielen Menschen so fremd? Das beschäftigt mich schon, »Let them grow« ist bis zu einem gewissen Punkt auch ein politisches Statement. Ich hinterfrage gesellschaftliche Rollen und gewisse Traditionen, warum wir überall ein Label drauf tun müssen, wie wir miteinander kommunizieren, was uns wichtig ist und was nicht. Aber mir ging es nicht darum, dass ich mich hinstelle und schreie: »Alles bis jetzt ist Scheiße, ich sage euch, wie es geht!« Nein, ich habe einfach meinen Geschmack und meine Erfahrung und damit mache ich meine Musik. That’s all. Mir ging es primär darum, meine persönliche Musik zu machen, meine zwei Welten, die elektroakustische Improvisation und den Song, zu kombinieren. Das sind zwei Formate, die ich persönlich sehr gerne habe. Manchmal nähere ich mich dem Einfachen, manchmal dem Komplexen.
Ich habe den Eindruck, in der experimentellen Musik geht es allmählich wieder mehr in Richtung »Song« oder generell in Richtung Eingängigkeit. Hast du da einen ähnlichen Trend wahrgenommen?
Dazu fällt mir spontan Christoph Kurzmann ein, aber ich habe die Musikszene in Wien in den letzten Jahren leider zu wenig verfolgt, um das beurteilen zu können, darum denke ich, das hat nur mit meiner eigenen Entwicklung zu tun. Ich hatte immer eine Vorliebe zum Song. Meine ersten Alben waren uminterpretierte Volkslieder. Ich bin damals aus Slowenien nach Wien umgezogen und dachte, dass auch diese Lieder irgendwie umziehen müssen. Da ich fand, dass die Lyrik immer weniger Beachtung findet, habe ich danach auch andere SchriftstellerInnen vertont und schließlich meine eigenen Texte.
»Let them grow« ist also zu 100 % Maja Osojnik, ein fast schon intimer Blick in deine musikalischen Räume?
Auf jeden Fall. Ich bin natürlich ein Bandmensch, habe auch stets gerne in Bands gespielt, weil ich den kollektiven Schaffensprozess sehr schätze. Aber ich habe in den letzten Jahren viele Aufträge erhalten, für Theaterensembles zu komponieren. Und über diesen Schaffensprozess alleine bei mir Zuhause entwickelte sich ein gewisses Bedürfnis: Was passiert, wenn ich alleine auf mich gestellt bin? Welche Musik kommt da heraus?
Es sind aber durchaus Fremdmusiker auf der Platte vertreten?
Ich habe Bibliotheken von Klängen angesammelt, von kaputten Klavieren bis zu distorted sounds, z. B. Soundfiles nach einem Computerschaden. Aber mir fehlten trotzdem bestimmte Sounds. Also habe ich Gäste unter der Devise eingeladen, dass ich nur Samples aufnehme und ihnen eine bestimmte Rolle zuweise, dass ich z. B. den Kontrabass nicht als Kontrabass und das Schlagzeug nicht als Schlagzeug verwende, sondern so lange verfremde, bis das zu einem anderen Medium wird.
Sind das nicht auch Hürden, die man sich selbst setzt, damit das eigene Schaffen nicht zu trivial wird?
Nein, das ist organisch passiert. Ich versuche ständig, meinen Instrumentenfundus zu erweitern, indem ich etwa Miniaturen mit Stimme und Blockflöte aufnehme und das Klangmaterial verfremde, dann wieder einspiele und erneut verändere, wodurch sich eine stufenweise Verfremdung ergibt. Das nenne ich extended instruments und ist auch Teil meines Livesets, bei dem ich, wie ich oft im Scherz sage, mit mir selbst spiele. Dieses Konzept habe ich auf vorgefundene Sounds oder Sounds von anderen MusikerInnen ausgedehnt und dabei die Rollen vertauscht. Ich habe Pingpongbälle soweit herunter gepitcht bis daraus Drum’n’ Bass wurde, oder Wasserrohre zu perkussiven Sounds verfremdet oder ein Schlagzeug in Soundscapes umgewandelt.
Was unterscheidet die von dir überarbeiteten Sounds von vorgefundenen Sounds bzw. ab wann gefällt dir ein von dir überarbeiteter Sound?
Ich finde, dass beide Arten von Sounds gleichwertig sind, aber doch unterschiedliche Qualitäten haben. Etwas Wiedererkennbares kann sehr schön sein, ich finde es aber auch schön, wenn absurde Sachen entstehen, wenn sich ein Sound so sehr verändert, dass er seinen ursprünglichen Charakter verliert und man nicht mehr weiß, was das ist oder plötzlich andere Assoziationen ermöglicht: Ein Schiebedach klingt wie eine präparierte Klaviersaite, Steine, die über Badefliesen schleifen, klingen als würde man Schlittschuhlaufen, die überarbeitete Stimme oder Skype Feedbacking klingt plötzlich wie eine verzerrte Gitarre. Ich verwende natürlich beides gerne, die vorgefundenen Klänge und die überarbeiteten.
Das ist für Musiker meist ein Heidenspaß, aber für die HörerInnen im Endergebnis oft nicht annähernd so ergiebig. It’s just another distorted sound.
Mir geht es nicht darum, ob ein bestimmter Klang schon existiert oder über irgendwelche Synthesizer ebenso erzeugbar ist, beides ist natürlich super und brauchbar für die Musik. Mir geht es darum, dass es strange sounds sind, die ich mit meinem Equipment nicht so leicht herstellen kann, die oft ein Zufallsprodukt sind, weil zum Beispiel der Computer abgestürzt ist oder man 8-Bit Sounds aus Computerspielen der 1980er als Audiokassette verwendet, um damit Musik zu machen. Natürlich will ich ZuhörerInnen nicht zu dieser Art von Musik bekehren, aber sie eben doch dazu einladen, sich auf meine Soundwelten einzulassen.
Für mich persönlich sind die Sounds für sich genommen weniger spannend als die Frage, was passiert kompositorisch. Dass Sounds zufällig entstehen und dabei geil sein können, ist ja ein alter Hut.
Da bin ich ganz bei dir. Ich zelebriere das Material nicht mehr als die Komposition. Im Endeffekt geht es immer um die Komposition, aber es stellt sich natürlich die Frage, mit welchem Material man das Haus baut. Vor allem geht es mir dabei um den eigenen Spaßfaktor – und auch, ob das Resultat das Publikum bewegt.
Aber mehr Zeit geht dann doch in die Soundgenerierung?
Ja, aber das sind meine Zeit und mein Spaß mit mir. Es muss ja niemand den Prozess genau erklärt bekommen, aber wenn man mich fragt, erzähle ich es natürlich gerne. Ich beziehe mich sehr gerne auf Alvin Lucier und sein wunderbares Projekt »Sitting in a room«, denn Musik hat immer mit Zeit und Raum und Resonanz zu tun, weswegen diese Erkundungen für mich sehr wichtig sind.
Woher kommt die Vorliebe für den Trash, für »das von der Gesellschaft nicht Anerkannte, das kaputt gemachte«?
Ich beobachte gerne Objekte um festzustellen: »Wow, das ist total schön, das ist spannend!« Ich stelle mir eine komische, armeeartige Bewegung aus Distortion vor, die sich zusammen- und wieder auseinanderzieht. Für mich spiegelt sich darin eine gewisse Bedrohlichkeit, aber in dieser Bedrohlichkeit gibt es viele Details, eine Feinstofflichkeit, die mich begeistert, die mir gefällt. Und diese Beobachtung will ich teilen, dazu will ich Leute einladen.
Ad hoc würde ich das so übersetzen: du suchst das Besondere im Detail, während man im Mainstream nur nach dem Besonderen Ausschau hält, dabei die Details aber übersieht.
Meine ältere Schwester meinte einmal, dass ihr meine Musik immer wieder Angst macht und sogar Schmerzen bereitet. Das fand ich spannend und dachte zugleich auch, dass es gar nicht so schlimm sein muss, Schmerz zu empfinden. Schmerz ist ja etwas Wichtiges und Grundlegendes, etwas, was uns zu Lebewesen macht. Wenn man den Schmerz nicht empfindet oder dem ständig aus dem Weg geht, versperrt man sich auch für andere, sehr angenehme Gefühle. Und es gibt verschiedene Arten von Schmerz, einen physischen und einen psychischen Schmerz. Wenn man zum Beispiel einen ganz hohen Sinuston verwendet, kann man das Publikum auch darauf vorbereiten, es mit einem sanften, flächigen Sound langsam hinführen. Kommt der Ton aber schroff daher, ist die Reaktion immer ablehnend: »What the fuck are you doing!?« Aber natürlich interessiert mich sehr, woher die Ablehnung gegenüber experimenteller Musik kommt. Geht es darum, dass es die Menschen nicht verstehen? Oder weil sie meinen, es auf intellektueller Ebene verstehen zu müssen, was aber gar nicht so sein muss?
Eine leichte Kost ist »Let them grow« aber trotz deiner Liebe zu »Songs« nicht gerade geworden. Also zumindest nicht für genrefremde HörerInnen. Zumal auch dein Gesang mitunter durchaus schroff klingt, wie eine Mahnerin in der Wüste.
Ja, ich bin manchmal wütend und anklagend, aber dann auch wieder lustig, die Dinge nicht so ernst nehmend … oder sanft, fragil, intim, traurig oder absurd. Es würde mich freuen, wenn all das rüber kommen würde. Es ist interessant zu hören, dass du als abweisend und schroff hörst, was für mich schön, intim oder spannend ist. Aber wie sagt man? Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters (bzw. im Ohr des Hörers). Für mich ist »Let them grow« überhaupt nicht abweisend. Sie ist dunkel, aber gleichzeitig ist für mich Dunkelheit nicht unbedingt etwas Negatives, es hat auch etwas Warmes, Einfühlendes.
Unsere Welt ist so sehr auf schnelle Impulse getrimmt, man nimmt sich nicht die Zeit, sich mit Musik auseinander zu setzen, die eben keine klar erkennbare Melodie oder einen einfachen Rhythmus hat, das finde ich schade. Dagegen trete ich mit meiner Musik in gewisser Weise an, nicht in einem belehrenden Sinne, sondern indem ich musikalische Räume schaffe und anbiete. Natürlich wünsche ich mir, dass dieses Angebot auch angenommen wird – nicht zuletzt aus durchaus »egoistischen« Gründen, denn dann kann ich leichter mit meiner Musik existieren. Darüber hinaus wünsche ich mir natürlich auch viel Aufmerksamkeit … ich wünsche mir auch Komplimente – aber ohne Kompromisse schließen zu müssen.
»Let them grow«, heißt das Album. Ist das als Ansage an das Publikum gemeint? Wer soll hier wachsen?
Es ist aus einem Text, wo ich sage: Let them grow my hands, my arms, so I can put them around me to hide … Aber wenn das Publikum auch wächst und mein Plattenverkauf, dagegen setze ich mich natürlich nicht zu Wehr. Das hilft mir und meinen Labels aus dem Minus. (lacht)
»Let them grow« erscheint im Februar 2016.
Die Doppel-LP auf Rock is Hell, die CD on Unrecords
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