Ein Blick in die US-amerikanischen Literaturneuerscheinungen macht recht schnell deutlich: Die Zukunft war schon einmal besser, von der Gegenwart ganz zu schweigen. Täglich erweist sich die Welt als komplexe und hochgradig unerfreuliche ?berforderung, wenn nicht gar als quasi unbewältigbare Zumutung globaler und privater Turbulenzen. Die Jahre zwischen Mauerfall und Turmsturz werden (nicht ganz unrichtig) im Nachhinein zum zu kurz geratenen Goldenen Zeitalter stilisiert, so lesen wir es in Iain Banks‘ »Transition«, in William Gibsons »Zero History« oder auch in Bret Easton Ellis‘ »Imperial Bedrooms«. Der Kanadier Douglas Coupland ist in diesem Zusammenhang keine Ausnahme – was weniger schlimm ist, als es im ersten Moment klingen mag. Wie auch die anderen genannten Autoren hat er sich als genauer Beobachter sozialer Tektoniken erwiesen, hat über eine beachtliche Anzahl von Büchern hinweg das Leben in Gegenwart und näherer Zukunft beschrieben, es in fiktionalisierter Form sehr treffend eingefangen. Die Chiffre seines Erstlings, die »Generation X«, ist richtigerweise immer noch fixer Bezugspunkt unterschiedlichster Debatten. Mit seinem jüngsten Roman geht Coupland, zumindest in zeitlichen Fragen, einen Schritt weiter: »Generation A« schildert die Welt in naher Zukunft, die sich mit ein wenig kriminalistischem Herumrechnen über die Zeit- und Altersangaben der fünf nachberichtenden Hauptfiguren mit 2024 festmachen lässt. Der Globus hat sich weitergedreht, Kriege laufen pausenlos, Großkonzerne der newest economy – die zumindest namentlich an unsere Gegenwart andocken – haben das Ruder fest im Griff. Doch der schleichende Verfall ist spürbar, drogenumnebelt vegetiert der Großteil der Bevölkerung dahin, in Nebensätzen werden ganze Natursysteme als nicht mehr existent umrissen. Als fünf sehr unterschiedliche Personen im Abstand weniger Wochen von Bienen gestochen werden – auch so eine ausgestorbene Spezies unseres eigenartigen Planeten – beginnt eine Reihe von Untersuchungen, die den Weg von der Wissenschaft in Richtung Selbsterfahrung nehmen. Und der Schlüssel zum Weltheil ist ganz einfach: das Erzählen.
Wenig zufällig stellt der akribische Autor seinem Haupttext, der sich zu nicht unwesentlichen Teilen auf Giovanni Boccaccios »Il Decamerone« beruft, zwei gewichtige Zitate voran. Da ist einerseits Malcom McLarens Aufruf zur Terrorisierung der eigenen, nutzlosen Generation, in dem sich ein Bündel von Mythologien, die Verwertung von Ideen und die Gemachtheit von Pop (und vielleicht auch von Rebellion?) schillernd spiegeln. Andererseits findet sich eine kurze Passage aus einer Rede des Science-Fiction-Autors Kurt Vonnegut, die er 1994 vor Universitätsabsolventen hielt: »Ihr Grünschnäbel wollt also, dass eure Generation einen Namen bekommt? Wohl kaum, ihr wollt bloß Jobs, oder? Tja, die Medien leisten uns allen einen unschätzbaren Dienst, wenn sie euch Generation X nennen. Nur zwei Klicks weiter ist das Alphabet schon zu Ende. Ich erkläre euch hiermit zur Generation A und stelle euch damit an den Anfang einer ebenso langen Reihe spektakulärer Errungenschaften und Reinfälle wie einst Adam und Eva.« Die Apokalypse ist in ihrer Lesweise als Rückkehr zu den Anfängen, zu einem wahren Neustart, für die multiperspektivische Nach-Erzählung um Sinnstiftung und Geschichtsschreibung von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Schließlich wird bei Coupland fleißig gebetet – und der Gott seiner von Referenzen durchtränkten Endzeitfabel ist das Erzählen, das sich schließlich gegen die Bestie Technologie (mit aller ihrer Unterminierung von Geschichte und Historie) durchzusetzen hat. Formal ist Couplands jüngster Roman sicherlich weniger mutig als sein zum Kultbuch avanciertes Debüt, mehr als nur schlichter Dienst an der von ihm zelebrierten Gottheit ist es aber allemal.
Douglas Coupland: »Generation A«. Aus dem Englischen von Clara Drechsler u. Harald Hellmann, Stuttgart: Klett-Cotta/Tropen 2010, 334 Seiten, EUR 19,95