Wunderschöne Naturaufnahmen abseits großstädtischer Menschen- und Automassen eröffnen den Film, der nachfolgend großteils in Innenräumen, jenen sich im gleichen Haus über einen Flur gegenüberliegenden Wohnungen der Hauptdarstellerinnen, spielt. Die kurzen, körperlichen Interaktionen zwischen den Hauptfiguren sind zurückhaltend dargestellt. Sofort zieht »Wir beide« jedoch in die intensive Geschichte um die Liebe von Madeleine (Mado) und Nina, die unmittelbar spürbar ist, wenn sie zu Betty Curtisʼ Song »Chariot« tanzen, der für den Moment steht, als sie vor 20 Jahren in Rom zusammenkamen, und der sich motivisch als Symbol ihrer Zuneigung und Verbindung durch die ganze Geschichte zieht. Niemand aber weiß von dieser lesbischen Beziehung.
Zwei alte Lesben: Das ist doch allen scheißegal!?
Rom ist ihre Vision, um zusammenzuziehen. Dafür will Madeleine ihre französische Wohnung verkaufen. Dies würde einen Schritt heraus aus der geheimen Welt bedeuten. An ihrem Geburtstag plant sie das Outing beim Besuch ihrer erwachsenen Kinder, was ihr aus nicht nachvollziehbaren Gründen jedoch nicht gelingt. Vermutlich will sie die Illusion über eine glückliche Ehe mit dem verstorbenen Vater aufrechterhalten. In einer darauffolgenden Szene mit dem Makler, dem Mado den Verkauf der Wohnung abgesagt hat, kommt es zum Streit zwischen den zwei Frauen.
Krank und rechtlos
Das Leben nimmt seinen harten Lauf: Madeleine erleidet zu diesem Zeitpunkt einen Schlaganfall, aufgrund dessen sie nicht mehr sprechen kann und zum Pflegefall wird. Ihre Kinder nehmen fortan ihr Leben in die Hand und Nina kann Mado nicht mehr sehen. Die Sehnsucht nach ihr wird schmerzhaft für die Zusehenden spürbar, da schnell eine Identifikation und ein Mitbangen stattfinden. Nina kämpft hartnäckig um ihre Nähe, aber vorerst auch mit anderen Mitteln, als sich vor Mados Kindern zu outen. Stattdessen schlägt sie einen gefährlichen und mit Spannung aufgeladenen Weg ein: Sie dringt in der Nacht mit ihrem Schlüssel in Mados Wohnung ein, in der sie gewohnt hatte wie in ihrer eigenen, wo jetzt aber eine Pflegerin über ihre Freundin wacht. So wird eine kurze gemeinsame Zeit möglich. Der Türspion wird zum gespenstischen Auge, über das Nina und zu Ende Mados Tochter Abläufe beobachten. Der Flur gerät zu einer unüberwindbaren Trennlinie, über die zukünftig Interaktionen mit viel Geklingel und Klopfen an die Wohnungstüren erfolgen. Die anfänglich sympathisch wirkende Haushaltshilfe und 24-Stunden-Betreuerin muss aus Ninas Perspektive aus dem Weg geräumt werden, damit sie zu ihrer Geliebten Mado gelangen kann.
Kampf um Zweisamkeit
Oft treibt es den Zusehenden die Tränen in die Augen, wenn sich Madeleines Tochter explizit gegen Nina stellt, die doch immer wieder ihre Hilfe anbietet – bis das Schloss von Madeleines Wohnung ausgetauscht und diese schlussendlich in einem Pflegeheim untergebracht wird bzw. werden soll. Mit der Flucht aus der Einrichtung erfolgt ein heftiger Showdown. Horrorfilmelemente werden in »Wir beide« mit lesbischer Romantik in einer Altersklasse kombiniert, die dieser im Mainstream-Cinema vorenthalten bleibt. Das Drehbuch stammt von Regisseur Filippo Meneghetti, mit Beteiligung von zwei Frauen (Malysone Bovorasmy und Florence Vignon). Sie ergreifen darin klar Partei für die Liebe des alten lesbischen Paares. Großes Kino!
»Wir beide« startet am 16. Oktober in den österreichischen Kinos.