Der dritte und letzte Teil unseres Interviews geht in die Tiefe und behandelt den »Anfängergeist«, das Einswerden mit dem Kosmos und fragt sich abschließend, warum die Schlagermusik die kritischen Liedermacher überrunden konnte. Hier geht’s zu Teil 1 und Teil 2.
Wie geht es denn jetzt so mit dem Heimatminister?
Ich habe schon das Gefühl, dass jetzt einige in der CSU genug von ihm haben. Vor Kurzem habe ich wieder auf Kloster Banz gespielt. Die Hanns-Seidel-Stiftung ist ja eine reine CSU-Stiftung. Und da gibt es viele, die zu dieser Liberalitas Bavariae stehen. Es gibt Konservative in der CSU, die sind bekennend konservativ und auch neoliberal, aber sie haben ein demokratisches Grundverständnis und das wollen sie auch bewahren. Solche Konservativen respektiere ich, mit denen kann man zusammensitzen und mit denen kann man reden, diskutieren und sich auch gerne herzhaft streiten. Mit den Völkischen kann man nicht mehr zusammensitzen.
Das Völkische ist das eine, das andere ist aber bei Horst Seehofer, Boris Johnson oder Sebastian Kurz diese gewisse Schamlosigkeit in Bezug auf die eigene Karriere.
Natürlich, Gewinnler. Gnadenlose Gewinnler.
Und wie geht man damit eigentlich um? Dieser Typus ist erfolgreich.
Eigentlich haben sie keinen Erfolg. Sie haben natürlich dadurch einen Erfolg, dass Teile der letzten CDU/CSU-Komödie ein abgekartetes Spiel waren, mit tragischem Hintergrund allerdings. Das Einzige, was Seehofer tatsächlich zu interessieren scheint, ist, dass er Merkel weghaben will. Die hätte wiederum Seehofer einfach entlassen können. Ich bin Frau Merkel nicht politisch d’accord, aber mir hat einiges von ihr gefallen. Da waren Sachen, wie eben das »Wir schaffen das«, das kam von ihr und aus ihrem Inneren. Ansonsten ist die Politik – nun ja. Ich weiß ja noch, wie sie die Petra Kelly zerstört haben. Was habe ich die Petra Kelly geliebt, was für eine wunderbare Frau was das und was hat die damals auf die Beine gestellt. Die wollte eine andere Politik machen und ist dann von der eigenen Partei zerlegt worden. Ich weiß genau, warum ich selbst niemals in die Politik gegangen bin, aber ich verurteile niemanden, der dies macht. Aber man sollte erkennen und sich darauf beschränken, was die Aufgabe als Künstler ist. Und die Aufgabe ist ganz bestimmt nicht die, diplomatisch zu sein. Man kann ja versuchen, das als Künstler zu sein, dann verliert man ein bestimmtes Publikum nicht. Aber das ist nicht die Aufgabe.
Eine ketzerische Frage: Sie haben einen recht klaren »moralischen Kompass«: Sie streben nach Glück, Liebe, Zärtlichkeit und nehmen an, andere Menschen würden dies auch tun. Die nietzscheanischen Bedenken dementgegen lauten: Was ist, wenn viele das gar nicht wollen? Sebastian Kurz freut sich vielleicht von ganzem Herzen, wenn er wieder jemanden hinters Licht geführt hat, und Donald Trump sehnt sich nach Chaos, Schmerz und Untergang?
Natürlich gibt es das. Wenn in ihnen nichts ist, das ihnen das Gefühl gegeben hat vom Wesentlichen. Das ist vielleicht auch Glückssache. Wenn du nie erlebt hast, dass du eins bist mit allem, mit jedem Tier, mit jedem Baum, dann hast du das nicht. Das hat auch die Dorothee Sölle schön beschrieben, sie zitiert einen amerikanischen Mystiker, der meint, vielleicht dürfen wir Menschen, die dieses Gefühl des All-eins-Seins noch nie gehabt haben, gar nicht in die Verantwortung ziehen. Die sind unverantwortlich. Sie haben keine Verantwortung, weil sie nicht wissen und nicht spüren. Das kann arrogant klingen, aber es gibt Bewusstseinsebenen und somit ist da ein Unterschied zwischen dem Heiligen Franziskus und Donald Trump. Nicht einmal, weil der eine der bessere Mensch wäre, sondern weil der eine etwas erfahren durfte. Vielleicht ist das etwas, wonach sich Donald Trump sein Leben nach gesehnt hat. Ohne dies zu wissen.
Und das in einer Weise kompensiert, unter der wir alle zu leiden haben.
Mir ist aber auch ganz wichtig zu sagen, dass ich niemals den Menschen verurteile. Selbst so schreckliche Menschen wie Pol Pot. Wer möchte denn sein wie der? Man kann sich doch nur glücklich schätzen, nicht sein Leben gelebt zu haben. Ich verurteile die Taten, das ist auch nötig. Und diese Menschen müssen bekämpft werden. Ich finden aus dieser Einsicht, dass es verschiedene Bewusstseinsebenen gibt, dürfen durchaus Schlüsse gezogen werden. Warum sagt Sokrates am Schluss, alles was ich weiß, ist, dass ich nichts weiß. Auf der höchsten Ebene des Bewusstseins erkennst du. wie wenig dein Verstand dir nützt. Menschen ohne diese Erfahrung, die ohne diese Ahnung sind, sollten keine verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben. Manche kennen vielleicht dieses Gefühl, dieses Glück, zu spüren, dass es so unendlich viel gibt, für das es kein Wort gibt. Und dass das wahnsinnig schön ist. Dieses Alles, wofür es kein Wort gibt. Mit unseren Worten und Symbolen können wir nur einen Bruchteil dessen erahnen, was ist. Da würde jeder Weltraumfahrer und jeder indische Weise zustimmen, dass wir immer nur einen Bruchteil dessen überhaupt mitbekommen, von dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Das ist beglückend und nicht beängstigend.
Das ist ein wichtiger Aspekt. Die Frage, wie fühlt sich die Welt an, bevor man Worte für sie gefunden hat.
Kinder. Jetzt sind wir wieder an dieser Stelle. Wenn sie nicht gerade ungeheure Probleme im Mutterleib hatten, dann fühlt sich die Welt doch anscheinend sehr gut an für die kleinen Kinder, die gerade erst angekommen sind. Sie sind noch sprachlos, aber manche könnten vielleicht etwas erzählen, wie es vorher war.
Stimmt, Kinder kommen nicht auf die Welt mit Ressentiments und Hass.
Kommen sie eben nicht. Mit Kindern kann man auch ohne Probleme über den Tod reden. Sie reden ja auch gerne drüber. Das könnte ein Hinweis sein. Ich bin mir ja sicher, dass es gar keine Zeit gibt. Wie sagte Gottfried Benn: »Wir haben den Raum erfunden, um damit die Zeit totzuschlagen.« Auch Wissenschaftler sehen das so, die Zeit ist eine Krücke für uns. Das merkt man in den zeitlosen Augenblicken. Von denen man halt nicht sagen kann, wie lang sie dauern, weil sie sind ja zeitlos. (lacht) Aber vielleicht sind wir noch nicht in der Lage – und werden es vielleicht nie sein – alles wahrzunehmen, was gleichzeitig und immer passiert. Mit Logik und Verstand wird sich das nicht ergründen lassen und das sollten wir sehr ernst nehmen. Wir brauchen den Verstand, aber er darf uns nicht brauchen, wie die Buddhisten sagen.
Hat das etwas mit »Anfängergeist« zu tun? Das wäre ein Gedanke, der die Logik, der unsere Gesellschaft verhaftet ist, ausstreicht. Dieses »You can always do better«. Stete Steigerung und Verbesserung. Aber als Künstler gilt es vielleicht darauf zu achten, die Dinge so zu tun, als würde man sie zum ersten Mal machen?
Ja, unbedingt. Was sehr gefährlich ist, dass man sich nie sagen sollte, insbesondere, wenn man bereits viel geschrieben hat, dass man es ja schon geschrieben hat. Leider passiert mir das manchmal, da schreibe ich einen Satz auf und denke, das Thema habe ich schon abgehandelt. Das ist falsch, denn man würde es bei der Wiederholung anders sehen. Ich darf mich da nicht beklagen, aber was sich ein bisschen mit dem Alter ändert ist, ist Folgendes: Mit 20 habe ich zwei Mal im Jahr kreative Schübe gehabt und hätte mindestens zwei, drei LPs im Jahr machen können. Vieles wirft man dann in dieser Phase weg. Die Schübe werden dann später weniger. »Auf der Suche nach dem Wunderbaren« habe ich in so einem Schub geschrieben. Das ist ein Buch, das entstanden ist wie ein Gedicht. Sicherlich ist es auch so, dass ich ein paar Themen bereits geschrieben habe. »Ich liebe diese Hure« brauche ich nicht nochmal schreiben und es ist auch nicht mehr mein Thema, so wie es damals eines war. (lacht)
Etwas an diesem Anfängergeist ist ein echter Praxistipp. Weil es gibt nichts Schlimmeres, als einen Text mit dem Gedanken anzufangen, der muss jetzt besser werden als der vorherige.
Das ist furchtbar. Das klappt nie.
Besser man setzt sich mit dem Vorsatz hin: »Jetzt schreibe ich irgendeinen Mist!«
Das ist auch wichtig, finde ich. Denn vieles, was im ersten Moment noch als Mist erscheint, sollte man stehen lassen und es ein halbes Jahr später wieder hervorholen. Dann denkt man sich vielleicht: Donnerwetter. Außerdem ist man in der Lage, gewisse Dinge – vor allem handgeschriebene – auch wirklich zu vernichten. Das muss ja nicht alles nachher in der Vita auftauchen. Warum hat der Thomas Mann seine Tagebücher nicht verbrannt? Er hat zwar bestimmt, dass sie erst dreißig Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden, und die haben dann Sachen offenbart, die nur große Kenner seines Werkes herauslesen konnten. Vielleicht wollte er aber irgendwie doch, dass seine latente Homosexualität irgendwann herauskommt.
Anfängergeist befreit davon, Muster im eigenen Werk zu erkennen. Wenn ein Song gelungen ist, dann gibt es später einen reflektierenden Blick drauf und jene Strukturen werden erkannt, die einmal geklappt haben und die neuerlich eingesetzt werden könnten. Ein typisches Popphänomen, dass manche Bands eine Karriere über einen einzigen Song variieren – muss ja gar nicht in jedem Fall schlecht sein.
Also ich hatte das nie. Ich habe ja damals den »Willi« nicht mehr gespielt, weil ich nicht mehr der Schreiber des »Willi« sein wollte. Wenn ich einen Text vor mir hatte, von dem ich gespürt habe, der stimmt, der ist großartig, dann geschah dies eigentlich ohne Selbstlob, sondern ich habe das betrachtet, wie wenn ich ein Gedicht von einem anderen gelesen hätte. Wie bei einem Kästner-Gedicht, bei dem ich denke: Wie kann man das nur so gut formulieren? So stand ich da bei meinen gelungenen Liedtexten. Da lief ich nie Gefahr, Mustern zu folgen, vielleicht weil ich diesen Anfängergeist hatte. Es hat mich einfach immer erwischt. Ich weiß eigentlich außer dem »Willi« auch nicht, wie und wo und in welchem Zustand ich das geschrieben habe. Unter Drogen habe ich ja selten geschrieben. Allerdings fällt mir ein Beispiel jetzt doch ein. Im elendsten Zustand, in meinem Haus, als ich am Verrecken war. Alle Fenster fest verschlossen, saß ich im Keller und habe mein Crack geraucht. Dann schreibe ich plötzlich »Frühling wird’s und ois wui wieder himmelwärts«. Völlig wahnsinnig. Ich wusste, draußen muss so etwas Ähnliches wie Frühling sein. Den Song »Wut und Zärtlichkeit« habe ich damals auf dem Weg von meinem Haus einfach ins Handy diktiert, der war da, der war sofort fertig.
Wenn wir uns ein Wettrennen vorstellen würden, Schlagerstars gegen kritische Liedermacher, dann würdige ich sagen, die Schlager liegen gerade ziemlich weit vorne.
Natürlich. Die Aufmerksamkeit, die mediale Bedeutung, klar. Wahrscheinlich aber auch in einem sportlichen Laufwettbewerb. (lacht)
Ist das irgendwie Teil der Probleme, die wir gerade erörtert haben, und wenn ja, ist es ursächlich oder Auswirkung?
Es gab, glaube ich, nur einmal eine Zeit, nach dem zweiten Weltkrieg, das war in der Liedermacherzeit Anfang der 1980er-, Ende der 1970er-Jahre. Da gab es den Schlager, wir haben drüber gelacht, aber er hat nicht annährend diese Publikumswirksamkeit gehabt. Bestimmte Publikumskreise, meistens waren es die Älteren, die waren schon vorhanden, aber jetzt ist es wieder die Jugend, die den Schlager feiert. Interessanterweise mit einer gewissen Ironie, aber sie feiern ihn. Sie wollen schon ein bisschen Abstand nehmen von den Inhalten, aber sie wollen auch die Party.
So wie bei den ironisch getragenen Trachten.
Meine Frau zum Beispiel ist in den Achtzigern groß geworden als Teenie und das war eine ungeheuer politische Zeit. Die große Friedensbewegung und da ist man mit Liedermachern aufgewachsen. Viele, die das damals erlebt haben, sind auch heute noch in meinem Publikum. Aber das ist in den Neunziger-Jahren total gekippt. Das war ein Sieg des Neoliberalismus, eigentlich hat die Konterrevolution gesiegt. Diese Konterrevolution hat lange Zeit drauf gewartet, mit Thinktanks sich vorbereitet, und in den Neunziger-Jahren haben sie zugeschlagen und der Jugend ganz bewusst und gezielt eingeredet, dass es viel wichtiger ist, tolle Markenkleidung zu tragen, als auf eine Demo zu gehen. Dann war Demo plötzlich peinlich. Es war nicht peinlich, im Laden in der Schlange zu stehen, um sich die dreizehnte Jeans zu kaufen.
Und der Schlager hat mitgemacht.
Der Schlager hat davon profitiert. Erstmal gäbe es gegen so einen Schlager gar nicht so viel zu sagen. Ich kenne ja noch die ganzen Schlagerschreiber von früher, die haben fette GEMA-Gebühren verdient und waren halt lustig drauf. (lacht) Aber es war kein Politikum damals. Heute ist der Schlager eigentlich ein Politikum. Etwas ist interessant und deswegen bin ich ein bisschen weniger ängstlich. Vor 1933 gab es ja eine Ballung von Genies. Zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg gab es all diese grandiosen Dichter, Musiker und Komponisten, die sogar teilweise sehr populär waren. Selbst die Schlager waren damals gute Schlager. Viel kam von jüdischen Komponisten und Sängern, die dann, wie Maurus Pacher sagte, »zum großen Geschenk Hitlers an Hollywood wurden«. Großartige Autorinnen und Autoren, die Räterepublik, man denke nur an Kurt Eisner, Ernst Toller, Erich Mühsam, Egon Friedell, Bertolt Brecht, Mascha Kaleko – was war das für eine Zeit! Im Nachhinein könnte man fast sagen, das war ein letztes großes Aufbäumen großer Geister, bevor dann die Niedertracht ihren Einzug hielt. Dieses Aufbäumen vermisse ich im Moment. (lacht) Und deswegen hoffe ich, dass die Niedertracht nicht zu schrecklich sein wird.
Das ist eine Wette, aber hoffentlich stimmt es. Vielen Dank für dieses wirklich außergewöhnliche Gespräch.
Dieses Interview wurde anlässlich von Konstantin Weckers Tournee am malerischen Faaker See (Baško jezero) in Kärnten geführt.