Mit ihrem neuesten Album hat es Kaitlyn Aurelia Smith geschafft, meiner bisherigen Lebenserfahrung ein musikalisches Gegenstück zu geben: »Let’s Turn It Into Sound« ist facettenreich, in seiner Freiheit famos, aber fundamental verwirrend. Irgendwie ist der Schwindel stimmig, aber ich habe keine Ahnung, warum. Be(un)ruhigenderweise ist Ratlosigkeit stets ein geteilter Zustand. So wird Smiths Musik in der einschlägigen Presse völlig unterschiedlich klassifiziert. »Let’s Turn It Into Sound« sei Hyperpop (»The Quietus«), Ambient (»Treblezine«), zeitgenössische Musik (»The Guardian«) oder eine Mischung aus New Age, Klassik und experimenteller Elektronik (»PopMatters«). Vielleicht sollte man Kritiker*innen nicht vertrauen. Vielleicht braucht es auch streitbare Klassifizierungen, um vorläufig anzuzeigen, was Smith erprobt. Sie selbst bezeichnet in Interviews »Let’s Turn It Into Sound« als Versuch, Gefühle, für die passende Worte fehlen, in Klänge zu verwandeln. Was aus der Fassung bringt, regt an, erstarrte Formen zu revidieren. Genres mischen sich. Modulare Synths werden mit verfremdeten Stimmen, Holzbläsern, tropischen Beats, IDM-Rhythmen und Field-Recordings kombiniert – allein auf dem ersten Track. Die Musik ist so verspielt, dass sie realitätsfern wirkt. Einer Psychoanalyse-Sitzung ähnlich werden Themen lediglich durch opake Assoziationsketten zusammengehalten. Am Ende bleiben nur prekäre Versuche, Erlebtes sprachlich auszudrücken. »Let’s Turn It Into Sound« ist eine existenzielle Erfahrung, im Guten und im Schlechten. Wie das Leben bietet es großartige Momente, aber ist gleichzeitig langwierig und überfordernd. Wenn ich ehrlich bin, genieße ich es, wenn es in den Hintergrund tritt. Es zieht in seinen Bann, nicht trotz, sondern aufgrund des Gefühls, dass es besser sein könnte. Die naive Kunst Smiths besteht darin, in Weltfremdheit Lebensnähe zu beweisen. Sie lehrt uns, dass es einfältige Ohren braucht, um der Polyphonie menschlicher Erfahrungen zu lauschen.
Kaitlyn Aurelia Smith
»Let’s Turn It Into Sound«
Ghostly International
Text
Michael Zangerl
Veröffentlichung
18.09.2022
Schlagwörter
Ghostly International
Kaitlyn Aurelia Smith
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