Eine gewagte These zu Beginn: Wer sich mit dem Journalismus einlässt, will die Welt verbessern. Es geht ihr oder ihm um Aufklärung, um das Mitgestalten eines sinnvollen Diskurses und durchaus auch um den Kampf gegen Ödnis, Einerlei und Langeweile. Journalismus ist borderline Literatur, einfach weil es eine geschichtenerzählende Praxis ist. Wer schreibt, bemüht sich darum, die Dinge packend, klar und (seltsames Wort) »geistreich« darzustellen. Wie sollte es anders sein? Die geneigten Leser*innen können sich ihren eigenen Teil denken, wissen aber nach der Lektüre ein wenig mehr und kommen sich – idealerweise – nicht mehr komplett verarscht vor. In Letzterem liegt bekanntlich das aktuelle Zeitgefühl par excellence, denn die Menschen spüren sehr richtig, dass sie ununterbrochen manipuliert werden, angefangen von der Werbung der Bank »ihres Vertrauens« bis hin zu Online-Trollen, die endlich »alle Beweise« präsentieren können. Nur ist die Aufrechterhaltung hehrer Ziele für den Journalismus komplizierter denn je. Der aktuelle, rasend sich vollziehende mediale Wandel ist umwerfend. Geradezu monatlich wird die journalistische Arbeit durchgerüttelt und ein neuer Kniff soll der wachsenden Bedeutungslosigkeit zuvorkommen.
Wer heute professionell für Medien schreibt, kommt um Artificial Intelligence nicht mehr herum. Die AI macht beispielsweise bessere Titelvorschläge (die wenig prickelnde Überschrift dieses Beitrags wurde allerdings nicht nachbearbeitet, sie ist Ausdruck genuin menschlicher Überforderung). Bemerkenswerterweise ähneln die AI-Titel immer ein bisschen dem Vokabular ostdeutscher Wutbürger: »Missbrauch«, »Betrug«, »die Politik«. Genau solche Kaliber werden eben geklickt. Die größte Angst im Netz ist es, unsichtbar zu bleiben. Eine geistreiche Vieldeutigkeit, die Lust zum Lesen und eigenen Nachdenken machen könnte, kommt da einfach nicht gut. Vielleicht haben die Maschinen, die buchstäblich uns alle kennen, ja auch ein bisschen recht, war das hochtrabende Zeug nicht immer ein wenig bevormundend?
Es geht um die Person
Eigentlich müssten sich in der gewonnenen Barrierefreiheit des Netzes tausende Subgroups und Aficionados treffen und ihre kleinen intellektuellen Biotope errichten. Früher gruppierte sie sich gerne um Publikationen, aber das passiert kaum mehr. Die Identifikation mit einer bestimmten Art von Medium, das radical chic oder auch liebenswürdige Versponnenheit ausdrückt, besteht immer weniger. Das hat vielleicht mit dem Verschwinden von Print zu tun, das neuen Wahrnehmungsgewohnheiten nicht mehr Genüge tun kann, wie bereits seit Längerem festzustehen scheint. Zum Schaden aller Beteiligten. Wenn neben mir auf der Decke im Schwimmbad ein Smartphone liegt und nicht mehr die »The New York Review of Book«, wie sollen dann die anderen Badegäste noch merken, dass ich gute Noten in der Schule hatte? Wer dauernd ins Handy starrt, könnte auch Candy Crush spielen (wenn es das überhaupt noch gibt).
Deswegen wird die Online-Persona heute so wichtig und das ist ein Weg, den einzuschlagen man als Journalist*in wirklich wollen muss. Die erfolgreichen Stars haben längst mehr Follower als ihre Sender, Zeitschriften oder sonstige Newslets. Sie müssen 24/7 ihre Haltung zu Markte tragen und bezahlen dafür einen eigentümlichen Preis. Eine erfolgreiche österreichische Bloggerin beklagte: »Mit 50.000 Twitter-Followern stellt dich niemand mehr ein.« Journalismus ist immer eine Gefahr für das Größen-Ich. Journalist*innen liegen immer mal wieder auf Platz eins der gesellschaftlich unbeliebtesten Berufsgruppen und das ist nicht ganz unverdient. Das Bedürfnis, die eigene Meinung möglichst vielen Menschen mitzuteilen, ist verdächtig. Die eigenen Werturteile durchziehen schließlich auch noch die Darstellungen, die als besonders objektiv und sachlich gelten wollen. Niemand kann einen Sachverhalt darstellen, ohne ihn zumindest ein wenig zu kommentieren.
Den Dingen einen Spin zu geben, kann zur Sucht werden. Die Junkies wechseln dann in die Kommentarspalten und ihre Egos steigen wie Heißluftballons zum Himmel. Dass dann die Medien selbst das Bedürfnis haben, sich wechselseitig für ihre Expertise zu beweihräuchern (z. B. »Runde der Chefredakteure« im ORF) ist nicht hilfreich. Journalist*innen sollten idealerweise Kommunikator*innen sein, die ihre Lust daran haben, Wissen, Meinungen, Ideen anderer zu verbreiten und anschaulich darzustellen. Die alte Grundregel des Journalismus lautet: Finde eine Person, die interessanter ist als du, und schreibe über sie. Österreichischer Kulturjournalismus steht auch deswegen kurz vor dem Zusammenbruch, weil man sich bei manchen Kolleg*innen fragen muss, warum sie überhaupt noch Interviewfragen stellen, wo sie doch ohnehin alles besser wissen.
Sich mit Journalist*innen solidarisieren? Geht’s noch?
Wenn die Verkaufs- und Klickzahlen runtergehen, führt dies nicht dazu, dass die Beteiligten weise oder demütig werden (das Lieblingswort von Wahlsieger*innen passt hier einmal, denn die schwindende Zahl an Leser*innen ist tatsächlich eine Demütigung). Im Gegenteil lässt sich eine Tendenz erkennen, die überall versucht, aus Medienarbeiter*innen Schmalspur-Celebrities zu machen. Wenn die eigene Person mit in die Waagschale geworfen wird und permanent die Follower bedient werden müssen, dann darf man sich auch nicht wundern, wenn die Glaubwürdigkeit sinkt. So kann ein Berufstand immer mehr in Verruf geraten und es ist dann umso schwerer, zur Solidarität aufzurufen.
Dennoch versucht dieser Artikel – offen gestanden – genau dies. Es sind längst nicht alle aufgeblasen und nur ein verschwindend geringer Anteil von Journalist*innen wird zu gut bezahlt. Dem Rest fehlt immer mehr die Zeit, die eigene Arbeit zu machen. Wer allein vom journalistischen Schreiben leben will, sitzt in den verbliebenen Redaktionen auf einem Feuerstuhl. Selbst die »Wiener Zeitung«, die älteste noch erscheinenden Tageszeitung der Welt, wurde jüngst abgedreht und soll jetzt so ein hippes Internetding werden. Ein typisches Schicksal. Sogar die größten Publikationen versuchen mit weitgehend hoffnungslosen Social-Media-Aktiönchen Quote zu generieren. Sie bezahlen dabei Unsummen an die wahren Netzgiganten, um in Feeds gespült zu werden, und können den Erregungswellen doch immer nur hinterherhecheln.
Zeitungen, Fernsehsender und Radiostationen glauben über Instagram, TikTok und Co. relevant bleiben zu können, womit sie paradoxerweise nur die Macht jener neuen Sozialen Medien stärken, die feinsäuberlich darauf achten, dass niemand mehr ihre Plattformen verlässt. Diese Plattformen brauchen keine Journalist*innen mehr, die Arbeit machen die User*innen selbst, und zwar unbezahlt. Wer in diesem Umfeld ohne Anstellung in einer Redaktion freiberuflich schreibt, schreibt am besten drei Artikel am Tag. Es ist ein raues Umfeld für den Journalismus geworden und es ist nicht unmöglich, dass das Berufsbild eines nicht allzu fernen Tages komplett verschwindet.
Paradigmenwechsel von Qualität zu Quantität
Aber wir wären nicht im Jahr 2024, wenn dies nicht alles letztlich nur Kinkerlitzchen und höchst spezielle Sorgen eines betroffenen Berufstandes wären, weil das größte und weitaus wichtigste Problem ist, hier wie überall, Elon Musk. Oder Peter Thiel oder einer jener IT-Milliardäre, die versuchen, das News-Geschäft zum unmittelbaren Propaganda-Apparat ihrer eigenen Interessen zu machen. Dabei sind sie erschreckend weit gekommen. Geholfen hat ihnen ein beeindruckender Paradigmenwechsel, der sich durch die Digitalisierung vollzogen hat. Kurzversion: Das Fundament unseres Wirklichkeitsbezuges lag seit der Antike im Versuch, »den Kern eines Dinges« zu erkennen. Atom, Grundgedanke, Idee, Prinzip wie immer man das auch nennen will. Etwas hält sich vor uns verborgen und will erst entdeckt werden. Das Versteckte ist aber grundursächlich dafür, dass die Dinge uns so erscheinen, wie sie es eben tun. Das gilt es aufzudecken, egal wie ephemer und gut versteckt es sein mag. Crime-Reporter, politische Kommentator*innen oder auch Psychoanalyst*innen waren (und sind) von einem aufklärerischen Geist beseelt, der meint, in den Details die Lösung zu einem Rätsel zu finden.
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts geht die Entwicklung aber in die nahezu entgegengesetzte Richtung. Erfolgsversprechend schien dank der aufkommenden Computerisierung die Devise: Wir pfeifen auf die Details, sondern schauen uns nur die möglichst größte Summe an. Norbert Wiener und Co. hatten den cleveren Einfall, in den ungeheuer großen und mit menschlichem Bewusstsein undurchdringbaren Datenmengen das »Rauschen« der Details zu unterdrücken und so ein scheinbar klareres Bild zu gewinnen. Die Erfassung der Wirklichkeit wird stochastisch, wird zur mit viel Datenmaterial unterfütterten Statistik. Das seltsame Geheimnis der einzelnen, individuellen Entscheidung eines Menschen, das ohnehin weitgehend unergründlich bleibt (aber Gegenstand eines guten Artikels sein könnte), wird unerheblich im erfassenden Überblick der Entscheidung von hundert, tausend oder einer Million erfasster Spezimen Mensch. Das macht die heutigen Sozialen Medien so heiß für beliebig hohes Investment der ohnehin schon Superreichen. »Big Data« erscheint so vielversprechend, es kann (eventuell) ausgelesen werden, was die Masse macht (und vor allem machen wird), und dann geschaut werden, wie man das manipuliert bekommt.
Der generierte Mainstream
Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Nehmen wir an, es gelänge nachzuweisen, dass die allgemein angenommenen Unterschiede zwischen – schematisch gesprochen – A und B viel geringer sind als angenommen, dass eigentlich A weitgehend gleich B ist. Dann kann dieser Nachweis in einem von Professor*innen hoch bewunderten Artikel von hoher Qualität münden. Politisch viel interessanter ist hingegen, ob von 300.000 Menschen quantitativ gesehen mehr A oder B wählen. Diese wesentlich weniger originelle Information ist im wahrsten Sinne des Wortes von höherem Wert. Insbesondere wenn sie dazu verhelfen kann, mehr Menschen dazu zu bringen, A statt B zu wählen (obwohl diese Wahl eigentlich nachweislich unerheblich ist).
Deswegen fühlen sich Musk, Thiel und Co. wie die neuen Herren der Welt. Ob es ihnen mit angeblicher »künstlicher Intelligenz« und sonstigen Kniffen gelingen wird, gewisse qualitative Eigenschaften außer Kraft zu setzen, ist mehr als fraglich. Hier wird viel Unsinn betrieben mit der Lust an Untergangsvisionen à la »eine computerisierte, größere Intelligenz wurde entfesselt, die sich selbstständig macht« etc. Das Geheimnis, das ein Mensch nun einmal für sich darstellt, werden auch die Tech-Giganten nicht aus der Welt schaffen können, sie können es nur vernebeln. Wenn es ihnen gelingt, eine genügend große Anzahl von Menschen aus Politik und Medien zu überzeugen, dann wird es ganz schwer, diese Verneblung aufzuhalten. Die Qualität einer einzigartigen Einsicht, die sich in einem journalistischen Text zeigen kann, wird null und nichtig in der Quantität des generierten Mainstreams.
Was reiche Unternehmer*innen so an Informationsströmen produzieren lassen, ist notwendig reaktionär, denn sonst würden sich die Besitzenden ins eigene Fleisch schneiden. Somit wird es für linke, subversive Medienarbeit, für freies, unabhängiges Publizieren, das tatsächlich versucht, ein bisschen gegen den Strom zu schwimmen, immer schwerer. skug und andere Medien des Bündnisses alternativer Medien fragen sich, wie wir als kleine Medien hier noch sinnvoll agieren können, wie es online oder offline noch bespielbare Nischen gibt, die Empowerment zulassen, und wo man nicht nur ein brav werkelndes Rädchen im Plan eines digitalen Mediengiganten ist. Und genau diesen Fragen werden wir uns stellen:
»Medien: Wo artikulieren sich linke Alternativen?«
Das verflixte siebte Jahr. 2018 gründete sich BAM!, das Bündnis alternativer Medien, auf dem Volksstimmefest. Von »an.schläge« bis »Unter Palmen« haben sich »kleine« Medien zusammengeschlossen, um wechselseitige Sichtbarkeit zu erreichen und plurale, feministische und dissidente Ansichten im medialen Diskurs besser zu verankern. Doch die Arbeit ist in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Denn der mediale Wandel ist strukturell rechts und hilft kräftig mit, linke Sichtweisen zu marginalisieren. Angesichts dessen fragen sich Frank Jödicke und Michael Zangerl im skug Talk mit anderen BAM! Medienmacher*innen & Friends: Was tun? Mit im Panel sitzen Loren Balhorn (»Jacobin«), Lea Susemichel (»an.schläge«), Jenny Legenstein (»Augustin«), Ulli Weish (Radio Orange 94.0), Mirko Messner (»Volksstimme«), und Sonja Luksik (»Tagebuch«). Einfach vorbeischauen beim Volksstimmefest am Samstag, dem 31. August 2024 um 16:00 Uhr im Diskussionszelt auf der Jesuitenwiese. Wir freuen uns auf euch!