1989 war auch eine Zeitenwende für die Wiener Musikjournaille. Es war nicht Bedarfserhebung, sondern ein Bedürfnis für viele, ein Musikblatt zu gründen, das über den Fanzine-Status hinausragen sollte. Insofern war klar, dass ein Freund wie Hans Kulisch, mit offenen Ohren in vielerlei Richtungen, bei der skug-Gründung 1990 dabei sein musste. Hans, der als einziger von allen skuggies die Beatles live erlebte, war ein Musikzeitschriftenkäufer, machte aber, immer am Puls der Zeit, die Digitalisierung mit. Auch beim DJing und auf der steten Suche nach neuen Klängen.
Hans sah seine Berufung als »Musikdienstleister«, auch als DJ für Hochzeiten. Selbstvermarktung war ihm zuwider, denn er wollte sich nicht anbiedern. Hier war er sehr strikt und musste dafür in Kauf nehmen, immer am Rand der Musikszene zu bleiben. Dabei erkannte Hans Trends lange vor allen anderen. So schrieb er als skug #15 Titelstory den ersten großen Artikel über Techno in Österreich, der in englischer Übersetzung vorliegt. Hansʼ Leidenschaft für Sounds ging aber weit übers Schreiben hinaus. Seine famose Bhangra-Phase trug auch Plattenveröffentlichungsfrüchte: Mit Stani Vana produzierte Hans Kulisch die CDs »Indian Masala Mix« Vol. 1 und Vol. 2 (2000, 2002) und auch eine CD mit Mora & Fur.
Hans war auch ein vifer Veranstalter, besonders legendär sind seine Fake-Partys aus den 1990er-Jahren, wo etwa Fadi Dorninger als Smiling Buddha aus Hong Kong die Gäste zum Tanzen brachte. Nicht zu vergessen Hans Kulisch als geschickter Booker: Eine besonders glückliche Zusammenarbeit war 2007 eine Kooperation von skug mit Into The City/Wiener Festwochen. In Kooperation mit dem ITC-Team um Wolfgang Schlag wurde eine Programmbeilage aus skug #70 als Extra-Magazin aufgelegt. Mit einem Schwerpunkt, auf den wir nach wie vor stolz sind: skug mit Hans Kulisch als Booker & ITC veranstalteten das weltweit erste Dubstep-Festival mit Acts wie Kode 9 oder Benga, den er für das Folgeheft skug #71 interviewte. Außerdem porträtierte Hans u. a. den HipHop-Pionier Kurtis Blow für skug #67.
Hans war aber auch Familienmensch und hinterlässt einen 18-jährigen Sohn, Jasper. Und hatte leider auch Pech, etwa einen beinahe tödlichen Freizeitunfall mit einer schlimmen Kopfverletzung, der ihn aus einer aktiven, relativ erfolgreichen Lebensphase herausriss. Klarerweise verstand er sich als Künstler und musste doch immer wieder Demütigungen des AMS einstecken. Eine Selbstverständlichkeit ist, dass Hans politisch links tickte und mit seiner Situation nicht zufrieden sein konnte. Seine Inspiration holte er sich aber weiterhin sehr aus der Musik, zuletzt verstärkt in Live-Konzerten von im Dialekt singenden Musiker*innen wie Anna Anderluh, Alex Miksch oder Tini Trampler, die alle am Krankenbett für Hans spielten. Menschen und Gemeinschaft waren ihm sehr wichtig.
Die einzige Veranstaltung im Jahr 2018 am 30. November im Clownmuseum mit Hans (die Band) live sollte leider auch seine allerletzte sein. Um diese Zeit herum schlug das Schicksal erbarmungslos zu. Vor ca. zwei Jahren wurde bei Hans eine Vorstufe von Leukämie entdeckt und tragischerweise konnte eine septische Wunde, die er sich im vergangenen November zuzog, aufgrund der Leukämieerkrankung nicht heilen. Ein OP-Termin war so gut wie fixiert, doch verschlechterte sich Hansʼ Gesundheitszustand am Samstag vor seinem Tod unerwartet massiv. Anna Anderluh von der Band Hans, die er promotete, sang mehrmals am Sterbebett und auch Vid Jeraj aus Zagreb, der Musiker/Poet aus dem Clownmuseum-Avant-Vorprogramm, war ein ständiger Begleiter. Viele Freund*innen und Kolleg*innen, darunter auch der Autor dieser Zeilen, konnten noch die Möglichkeit wahrnehmen, bei ihm zu sein. Es war sooo traurig … Rest in Peace, Hans Kulisch! Dein Spirit soll weiterleben!
Weitere persönliche Nachrufe aus dem Freundes- und skug-Kreis:
Richard Schuberth (Schriftsteller und Autor, u. a. für »Concerto«, »Konkret«, »Der Standard«)
Gestern ist Hans Kulisch von uns gegangen. Nach längerer Krankheit und kurzem Leiden.
Ich kannte ihn seit Mitte der 1990er, als wir beide fürs Musikmagazin »Concerto« schrieben. Richtige Freunde wurden wir erst vor drei, vier Jahren.
Und da erst lernte ich wunderbare Eigenschaften von ihm kennen, die mir vorher verborgen waren. Hans war ein Maniac. Selten habe ich einen Menschen sich mit mehr Hingabe und Leidenschaft einer Sache widmen sehen. Seine Sache war die Musik. Damals in den 1990ern war er als DJ und CD-Produzent vor allem für Samples indischer Banghra- und Bollywoodmusik bekannt, doch war das nur ein kleiner Teil seiner unfassbar großen Bildung. Die populären Genres und Stile der letzten 50 Jahre hatte er im kleinen Finger. Ihn drängte es nach unerforschten Gefilden. Unermüdlich rezipierte er Pop aus Ghana, HipHop aus Peru, traditionelle Kunstmusik aus Indonesien, Ska aus Kasachstan … und was es noch alles uns Unbekanntes auf dem Erdenrund gab. Bis zu seinem Tod. Ohne akademische Überfrachtung, ohne diskursives Halbwissen, mit einer kindlichen Neugier und Begeisterung, die von unsereinem schon ab 20 peu-à-peu abbröckelt.
Wie ein älterer Bruder hat er mich im Flex (1998 war es, glaub ich) als frischgʼfangten World-Music-DJ zu sich in die Kanzel geholt.
Hans war ein plebejischer Dandy. Ruppig, rau, direkt, mit seinem markanten Gesicht und seinen halblangen, silbernen Haaren wirkte er mitunter verlebt, wären da nicht diese leuchtenden Kinderaugen gewesen, doch gewandete er sich stets in Samt, bunte Hemden, elegante Ballonstoffe und andere eigenwillige Accessoires.
Er liebte Literatur fast so wie die Musik und verschlang sie mit ebensolcher Gier. Mit glühenden Ohren, sagt man. Bei ihm glühte alles. Seine Begeisterung, die er ohne Genierer kundtat, war oft Anlass für sanften Spott. Doch war sie auch das Geheimnis, warum er nie ein alter Mann wurde. Und da ihm instrumentelles Denken fern war und er zu sehr für die jeweilige Sache glühte, hatte er nie viel Geld. Seine Mittellosigkeit wurde ihm durch immensen Reichtum an anderen Schätzen abgegolten. Weder Mensch noch Dinge waren ihm je Mittel, sondern immer Zweck.
Er hasste Arschkriecher und den Kulturbetrieb. Der Weg von seinem Herzen führte auf kürzestem Weg zur Sache selbst. Den Musiker*innen und Menschen, die er mochte, war er in bedingungsloser Loyalität ergeben. Er hatte keine Konzepte für all das, es war sein Wesen. Ein rastloses, sich ständig neu formierendes, unendlich neugieriges, naiv-kluges Wesen.
Hans hat sich seinem bevorstehenden Tod nie gestellt. Seine fiebrig entworfenen Pläne hätten für weitere 64 Jahre gereicht. Kaum aus dem Spital entlassen, organisierte er im November noch ein großes Konzert der von ihm geliebten Band Hans (Anna Anderluh, Helgard Saminger, Clemens Sainitzer und Julian Preuschl) und mit der Clownin Martha Laschkolnig im Circus- und Clownmuseum Wien. Dann musste er wieder ins Spital. Letzte Woche schrieb er einen letzten Artikel fürs »Concerto« über seinen Freund Alex Miksch fertig und fiel hernach in tiefen Schlaf. Kurz davor telefonierte ich mit ihm. Er war optimistisch wie immer und beendete das Gespräch mit der Begründung, dass er jetzt auf einen Tschick gehen müsse. Danach schlief er ein.
Hans Kulisch, treueste Seele, unermüdlicher Forscher, man with the child in his eyes, wir bleiben noch ein Weilchen. Aber du erlaubst, dass wir von der Erinnerung deiner Intensität und Freude weiternaschen.
Georg D. Schneider aka DJ Kramuri (Freund von Hans, bekannt unter georg#wirrdenken)
Hans Kulisch in the mix! 2018 sprachen wir oft über die Musikszene in Wien. Hans war sehr kritisch. Einmal fragte er spontan in einem angesagten Lokal ein paar leuten: »He! Wo geht man gerade in Wien hin, um den Underground zu erleben?« Die Antworten befriedigten ihn nicht. Das Braten im eigenen Saft hat Hans verachtet. Platzhirsche, die es irgendwie geschafft haben, hat er lächerlich, ja, peinlich gefunden. Hans hat global gedacht und auch in größeren Maßstäben. Wenn sich kreative Menschen diverser Disziplinen zusammenschließen und das Schubladendenken aufgeben, dann kann Neues entstehen. Dass Jahr für Jahr immer dieselben Institutionen Geld bekommen und damit nur Mittelmäßiges ohne Mut zum Risiko zustande bringen, hat ihn auch gegiftet. Bis zuletzt hat er sich gefragt, wo er denn in Zukunft auflegen soll. Bei meinem vorletzten Besuch im Spital hat er mir eigene Musikstücke vorgespielt, die er noch veröffentlichen wollte. »Hör’ dir das an«, sagte er und deutete mit dem Zeigefinger auf sein Handy. »Diese Musik hab’ ich vor zirka zehn Jahren gemacht, aber du kannst sie noch überall spielen. Darum geht’s. Das ist der Punkt«.
Fadi Dorninger (Redaktion/Herausgeber skug-Frühphase, SRA, Musiker bei Wipeout etc.)
Hans liebte Musik, ganz gleich welcher Art, so lange sie Energie und Leidenschaft transportierte. Durch ihn lernte ich Banghra, guten Hispanic-House und andere exotische Dance-Music kennen. Werde dich dadurch immer gut in Erinnerung behalten, denn solche Töne dringen leicht an mein Ohr. Ruhe sanft, bester Hans!
Didi Neidhart (ehemals skug-Chefredakteur, aktuelles Musikprojekt: Low Profiler)
Zu skug-Zeiten hatte Hans ja kurz mal das Motto »Rüber mit dem Süba«, weil er für die Finanzen (Inserate lukrieren, Anm.) zuständig war. Ansonsten hat er ja quasi fast im Alleingang Techno ins skug gebracht und das war, glaubʼ ich, dann auch die erste Story über Techno in Wien. Dies hat er gewusst, aber sich nicht viel darauf eingebildet. Zudem hat er Dance immer schon sehr global (transglobal lange bevor es um Global Bass ging) gehört und verstanden (deshalb auch all die »exotischen Sachen, ohne dabei in die World-Music-Falle zu tappen). Und es war immer eine Freude, ihn zu treffen, weil er ebenso leidenschaftlich in Sachen Musik war und dabei auch das »Bescheidwissertum« bei skug sehr schätzte (im Sinne von die Gedanken zum Tanzen bringen). Hans war ein Guter und hat vielleicht mehr Leute beeinflusst, als er es wohl je dachte. (Meine ersten Rezensionen in Sachen Electronica geschahen ja quasi im Diskurs mit ihm – und auch Huckey Renner).
Heinrich Deisl (skug-Chefredakteur nach Didi Neidhart, Ö1-Zeit-Ton, Campus & City Radio 94.4 St. Pölten)
Ob durch seine Musik oder in Gesprächen: Hans zuzuhören, bedeutete stets, ein Fenster in andere Welten aufgestoßen zu bekommen. Es gab wohl kaum jemanden, der so vorbehaltlos die Sounds der ganzen Welt in sich aufsog. Da brauchte es immer wieder eine gehörige Portion offene Ohren, um ihm zu diesen versteckten Inseln folgen zu können. Das mag einer der Gründe gewesen sein, dass Hans zeit seines Lebens weit weniger Aufmerksamkeit und Wertschätzung zuteilwurde, als sie ihm zugestanden wäre. Vielleicht teilte Hans das Schicksal des sprichwörtlichen Propheten, der im eigenen Land wegen der Verwirrung, die er stiftete, wenig galt, weil das eigene Land mit dieser sozusagen babylonischen Sprachvielfalt – also die enorme musikalische Bandbreite, über die er so treffend Bescheid wusste – kaum etwas anzufangen wusste; Exotik im besten Sinn. Bis zuletzt umarmte er künstlerisch die Welt, auch wenn die Welt es nicht immer gut mit ihm meinte; manchmal war sie richtig gemein zu ihm …
Ich kann mich an seine Ausführungen über Sitten, Gebräuche, Kulturen und besonders die Musik anderer Länder erinnern. Hans kam in der Welt herum und machte sie zu seinem Zuhause. Er erzählte von seinen Treffen mit House-Produzenten aus Chicago und Techno-Musikern aus Detroit, indischen Bhangra-Meistern, lateinamerikanischen Baile-Funk-Schraubern und Londoner Dubsteppern.
Durch Hans hatte ich unter anderem Sweet Susie, DJ Sirius und Wolfgang Schlag kennengelernt. Er war die Verbindung zu Tina Hochkogler und Bri Bauer. Grandiose Abende waren das, wenn auch Onno Ennoson, Manni Montana und DJ Leon dabei waren: eine Wunderkammer, was musikalisch alles möglich ist. Und über allem stets eloquent, nie dogmatisch, immer enthusiastisch und neugierig Hans Kulisch.
Neben Didi Neidhart war Hans für mich die wichtigste Inspiration bei skug, mich mit elektronischer Tanzmusik auseinanderzusetzen. Groove als Pulsschlag des Lebens.
Ein unvergesslicher Nachmittag war das im Krankenhaus mit Freunden, einem Stoffkuschellöwen, der über ihn wachte, und Gedichten von Bert Brecht. Beim Nachhause Gehen sprachen wir davon, ihn in den nächsten Tagen wieder zu besuchen. Nicht einmal zwölf Stunden später war Hans in sein Sounduniversum zurückgekehrt.
Er hinterlässt eine unfüllbare Lücke. Sein Spirit sollte in uns weiterleben. Und das könnte heißen: genau hinschauen, sich nicht vom Mehrheitsbrei abspeisen lassen und freundschaftlich miteinander umgehen. Denn bei allem berechtigen Grant war Hans vor allem ein liebenswerter, offener, zutiefst menschlicher Mensch, beseelt von einer Leidenschaft, der Musik.
Die Mehrzahl der Texte von Hans Kulisch wurden in den skug Printausgaben veröffentlicht, einige sind aber auch hier zu finden: https://skug.at/a/kulisch-hans/
Wir verabschieden uns von Hans Kulisch am Dienstag, dem 16. April 2019 um 15:00 Uhr in der Feuerhalle Simmering. Es wird gebeten, von Kranz- und Blumengaben abzusehen. Dafür besteht die Möglichkeit, die Abschiedsfeier mit einem freiwilligen Beitrag zu unterstützen: Verwendungszweck: »Bestattungsbeitrag Hans Kulisch«, Jasper Kulisch, IBAN AT67 6000 0103 1019 7233, BIC BAWAATWWXXX