Kombüse im Grazer Stadtpark © privat
Kombüse im Grazer Stadtpark © privat

Graz Special

Dieser Artikel fasst drei Texte aus skug #103 zusammen, die sich mit Graz aus Perspektiven zwischen ›Kulturhauptstadt‹ und ›Kulturverbotsstadt‹ beschäftigen. Die Texte spiegeln die Situation Sommer 2015 wider und stellen den von David Višnjić unter Mithilfe von Clara Wildberger organisierten, ersten Schwerpunkt zu österreichischen Stadtportraits und ihren Musik-, Kunst- und Kulturinitiativen im skug dar. - Am Ende dieser Text-Compilation findet sich auch ein Artikel von Chris Sperl über Graz vom Sommer 2013.

  • Hörverbotsstadt Graz
  • Noiserock zum Schlafen - Hella Comet
  • It's so cute, it's DIY! - Wilhelm Show Me The Major-Label und Numavi Records

Hörverbotsstadt Graz

Text: David Višnjić

Graz geriert sich offiziell als Kulturhauptstadt, die unbequeme Subkultur wird aber systematisch bekämpft und ausgehungert. Anlass für eine Zwischenbilanz und Porträts von wesentlichen Impulsgebern der Szene.  

Graz ist »UNESCO City of Design« und teilt sich dieses sogenannte Privileg mit lediglich zehn weiteren Städten weltweit – wie stolz auf diversen Websites und Drucksorten von Graz Tourismus verkündet wird. Vor zehn Jahren war die steirische Landesmetropole europäische Kulturhauptstadt, weshalb nach wie vor gerne daran erinnert wird, zum Beispiel in Form von massiven Tafeln entlang der Autobahn, an den Ein- und Ausfahrten von und nach Graz.

Generell schmückt sich das offizielle Graz gerne mit seinen kreativen Köpfen, seinen Design- und Modeshops, seiner jungen Architekturszene usw. Ohne die Förderungen der Wirtschaftskammer könnten auch diese »Kreativbranchen« vermutlich nicht existieren; alles Darüberhinausgehende, wie vor allem auch lokal angesiedelte und international orientierte und agierende MusikerInnen, MusikproduzentInnen-, LabelbetreiberInnen und VeranstalterInnen, die sich nicht vordringlich kommerziell positionieren, scheint dem offiziellen Graz nicht lieb und deswegen von verschwiegener bis minderer Relevanz.

Degradierte Kombüse

Die Kombüse ist nicht nur eine schrullige Hütte im Grazer Stadtpark. Diese Institution wird von den Befürwortern zu den besten Clubs Österreichs gezählt, von den Gegnern jedoch als »kleine Frittenbude« abgetan. Mittlerweile ist das Veranstaltungslokal Symbol der von offizieller Seite bekämpften Grazer Clubszene und auch essentieller Teil der damit verbundenen Widerstandsbewegung. Die Causa Kombüse selbst ist in den österreichischen Medien glücklicherweise breit genug abgehandelt worden, doch scheint es eher so, als wäre der Erfolg, der auf die mediale Präsenz zurückzuführen ist, nur ein vermeintlicher – in der Kombüse brennt zwar Licht, doch ist es darin so leise wie nie zuvor. Die Plattenspieler sind abgebaut, und somit wurde eine weitere Bühne für angehende DJs zerstört. Die Musik kommt nun von Playlists und darf gemäß behördlicher Auflagen die Konversationslautstärke nicht übersteigen. Die Betreiber sind noch am Abwarten, ob und wie lange das Projekt Kombüse als reiner Imbiss funktionieren kann. Die Schließung wäre jedenfalls ein weiterer Punktesieg für die konservative Stadtregierung unter VP-Bürgermeister Siegfried Nagl.

Elevate muss bluten

Das Elevate vereint seit 2005 als multidisziplinäres Festival Musik, Kunst und Diskurs. Jährlich sorgt es für Besucher aus aller Welt und für unzählige Nächtigungen in Graz und sollte so der Tourismuswirtschaft ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Und das Stadtmarketing freut sich, dass ihm – scheinbar umsonst – zugearbeitet wird. Aber anstatt das Elevate zumindest diesen Leistungen gemäß zu renummerieren (vom ideelen Wert, um dem es den Veranstaltern wohl eigentlich zu tun ist, gar nicht zu sprechen), endlich einmal besser zu subventionieren, wurde das Förderbudget für das laufende Jahr gekürzt.

Eben dieses Elevate und die oben genannte Kombüse sind nur zwei Beispiele für das sukzessive Austrocknen von Jugend-, Sub- und Popkultur in der steirischen Landeshauptstadt. Einer Stadt, die u. a. Acts wie Schlauch, Fetish69, die Striggles oder das Kollektiv Disko404, das Label Interstellar Records und die wichtige Konzertreihe »Interpenetration« hervorgebracht hat sowie die Institution Forum Stadtpark beheimatet. Einer Stadt, die – last but not least – eine blühende Gitarren-Noiseszene aufweist. Einer Stadt, in der trotz allen Gegenwindes eine aktiv gelebte DIY-Kultur existiert.

2014 wurde Graz »sauber« gemacht, 2015 soll es nun leiser gemacht werden. So der Plan des Bürgermeisters. skug befolgt einen von Austrofred in Ausgabe #100 gegeben Rat und »holt sein Publikum ab«, mit einem Schwerpunkt über die neben Linz wohl größte lokale Szene außerhalb Wiens. Die alternative Grazer Szene soll laut bleiben!


Noiserock zum Schlafen – Hella Comet

Text: David Rehak

Es gibt Bands, in denen ein Alphatier das Sagen hat. Das Grazer Quartett Hella Comet kommt dagegen ohne Rangordnung aus. Die vier Mitglieder sind ausgesprochene Betatiere: Weder beanspruchen sie die Führung, noch sind sie beliebig austauschbar.

Die Anfänge von Hella Comet liegen in den 1990ern; eine andere Zeit, die eine andere Musik nötig machte. Franz Gurt und Jürgen Hochsam waren lange die einzigen Konstanten. Ihr Gitarrenspiel legte schon damals das Fundament, auch wenn der Beton erst heute richtig trocken ist. Später stieg Lea Sonnek als Sängerin ein. Um den Kometen auf den richtigen Kurs zu bringen, musste sie die Band (und Österreich) zwischenzeitlich aber wieder verlassen. 2006 kam mit Markus Sworcik erstmals ein Schlagzeuger in die Gruppe, der die Gitarristen wirklich verstand. Erst mit ihm konnte sich das Fundament aushärten und Hella Comet in der heutigen Form entstehen und wachsen, allerdings ohne konkrete Zielvorgaben oder vorab fixierten Bauplan. Bis zu Sonneks Rückkehr blieben Hella Comet eine gut eingespielte Instrumentalband. Mit ihr war die Besetzung schließlich komplett.

Noch immer gibt es dabei keinen anvisierten Klang und keinen Masterplan, der der Musik Grenzen setzen würde. Hella Comet sehen ihre Musik als Reflexionsmedium persönlicher Erfahrungen und individueller Veränderungen, die die vier MusikerInnen durchleben: als Band und als Persönlichkeiten. Die kleinen und großen Themen, die sie umtreiben, lassen sich in einem offenen Soundkonzept einfach besser bearbeiten. Konsens ist dabei wohl nur, dass die Musik eindringlich und gitarrenlastig bleiben soll. Andere Vorgaben scheinen nicht zu bestehen. Ein ganz eigenes, wiedererkennbares Klangbild lässt sich auch erschaffen, ohne sich starren Genrekonventionen zu beugen. Bei Hella Comet resultiert es aus einer recht simplen, aber noch immer effektiven Methode: dem Ohrwurm. Ihre Stücke beißen sich in den Gehörgängen fest: nicht so sehr via Melodien, die sich einbrennen, oder Refrainparolen, die mitgegrölt werden wollen, eher durch Riffs, die sich wie von selbst in Loops verwandeln, Arrangements, die hängen bleiben und ihre HörerInnen verfolgen, oder Drumpatterns, die sich durchs Kopfradio prügeln.

Die meistverglichene Band Österreichs

Während andere Bands jahrelang dahindümpeln und sich erst neu erfinden müssen, haben Hella Comet ihre Klangsprache über einen langen Zeitraum kontinuierlich entwickelt. Ihre Grundlage bilden nach wie vor noisige Gitarren, auf denen dann die Songs – ohne Skript oder Fahrplan – aufgebaut werden. Einen bestimmten Namen wollen Hella Comet ihrer Musik nicht geben. Vielleicht werden sie deshalb so oft mit anderen verglichen. In der Selbstwahrnehmung verstehen sich Hella Comet als Jam-Band, die ohne fertige Songs ins Studio geht, die dort nur noch produziert werden müssten. Skizzen, Fragmente und ungefähre Ideen werden als Zutaten mitgebracht, aber der Prozess kann sich schnell wieder davon wegbewegen. Dabei muss niemand Angst haben, dass andere die eigenen Einfälle bearbeiten, sich zu eigen machen oder auf den Kopf stellen. Es geht lediglich darum, einen Prozess zu initiieren, bei dem sich alle wortlos verständigen und zu guter Letzt einigen müssen. Am Ende des Aufnahmeprozesses steht Musik, die Geschichten erzählt, ohne Worte, die von lauten Gitarren getragen und von Markus Sworciks wüst-hypnotischem Schlagzeug zusammengehalten werden. Lea Sonnek wiederum hat ihren Gesang zum Instrument gemacht. Die englische Sprachmelodie ergänzt die Musik und schafft eine Distanz, die in der eigenen Sprache nicht möglich wäre. Sich als deutschsprachige Indierockband dem medialen Hype anzubiedern, stand dagegen nie zur Debatte.

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 Hella Comet © David Visnjic

Ökosystem Hella Comet

Vermutlich klingen Hella Comet deswegen auch niemals störend oder aufdringlich, obwohl sich die Assoziation »Noise« meist sofort einstellt. Ihre Musik will nämlich in den Alltag passen, und eine bandinterne Ûbereinkunft lautet, dass sich zu guter Musik eben auch gut schlafen lassen muss. Und das geht nur, indem sie nicht als nervtötender Fremdkörper auftritt, sondern organisch und selbstverständlich wirkt. Das gelingt Hella Comet, weil alles, was sie machen, das Resultat harter Arbeit ist. Nicht im Sinne der Turbolandwirtschaft, sondern als allmähliches Entwickeln von Formen und Strukturen ganz aus sich selbst heraus. Meist ernten sie viel langsamer, als sie gesät haben.

Nachhaltige Musik? Der Durchlaufgeschwindigkeit österreichischer Kulturmedien mag das zuwiderlaufen, zumal es für eine Grazer Band sowieso nicht leicht ist, wahrgenommen zu werden. Die Zeiten, als noch von der »Grazer Noiseszene« berichtet wurde, sind lange vorbei. Von hier aus mag es schwer sein, Anschluss an die Wiener Musikszene zu finden, die zentralen Netzwerkplattformen sind in weite Ferne gerückt. Aber auch das scheint Hella Comet nicht weiter zu kümmern, haben sie doch mit Noise Appeal Records ein Label gefunden, das es ihnen erlaubt, sich ganz ihrer Musik zu widmen. Konzerte abzulehnen, ist dabei manchmal unerlässlich, um nicht permanent bei der Arbeit an neuem Material gestört zu werden. Hella Comet positionieren sich lieber mit einer neuen Platte als mit ständiger Bühnenpräsenz.

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Hella Comet © David Visnjic 

2016 soll die dritte LP erscheinen, die rauer und härter klingen und für die verstärkt analoges Equipment verwendet werden soll. Ein Tier-Cover wird es diesmal nicht geben. Soweit die selbst auferlegten Vorgaben. Inwieweit sie auch umgesetzt werden, wird sich zeigen. Dass Hella Comet sich damit noch mehr Gehör verschaffen werden, steht jedenfalls jetzt schon außer Frage. Die Band ist ein Organismus, ein fragiles Ökosystem, ein Stern am Noisehimmel, der sich – in der Konstellation Sonnek, Gurt, Sworcik und Hochsam – inzwischen stabil verankert hat und in Zukunft immer weitere Kreise ziehen wird.

»Celebrate Your Loss« Schnapsidee Rec./Pumpkin Rec., 2010
»10⬝« Noise Appeal, 2011
»Wild Honey« Noise Appeal, 2013
»TTMM« Interstellar Records, (Tape) 2014

Hella Comet / Noise Appeal


It’s so cute – it’s DIY!

Text: Katharina Wiesler

Wilhelm Show Me The Major-Label und Numavi Records sind Leuchttürme im manchmal tristen Popalltag von Graz. skug sprach mit den Betreibern dieser beiden innovativen Labels/Kulturvereine.

Wilhelm Show Me The Major-Label

Der Song »William, It Was Really Nothing« von The Smiths lässt vor meinem geistigen Auge Graz erscheinen, die Stadt, die dich runterzieht. Jede/r lebt hier sein Leben und ich lebe meines – dafür bietet dieser Wilhelm, der auch in Graz ansässig ist, die beste Alternative zu einem Majorlabel. Die Rede ist vom seit 2008 von Christian ›Turbo‹ Sundl betriebenen Kassettenlabel Wilhelm Show Me The Major-Label (WSMTML).

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Christian ›Turbo‹ Sundl © Clara Wildberger

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skug:
Gibt es eine Vorgeschichte zum Wilhelm-Label?

Christian ›Turbo‹ Sundl: Angefangen hatte es mit Feinkost Royal, der Szene, in der wir mit Upperclass Shoplifters, Black Fox Dance, Lady Lynch und Le Tam Tam waren. Mario Rampitsch kam auf die Idee, dass man für die Bands ein Label braucht. Ein ›normales‹ CD-Label wollten wir allerdings nicht. Schließlich kamen wir auf Kassetten. Wir haben bisher 37 Tapes, eine Flexi-Disc und eine Postkarte veröffentlicht. Neben sechs Releases von internationalen Bands liegt das Hauptaugenmerk auf heimischen Gruppen.

Förderungen von Seiten der Stadt Graz wurden stark zurückgefahren. Inwieweit betrifft das deine Arbeiten?
Im Schnitt mache ich fünf, sechs Kassetten pro Jahr, die Ausgaben belaufen sich auf etwa 1.000 Euro. Diesen Betrag nimmt man aber auch wieder ein. Insofern hat WSMTML kein Problem hinsichtlich Förderungen. Andere trifft es allerdings: Wilhelm ist zusammen mit der Location Spotting bei der Plattform KIM dabei. Und es stellt ein ziemliches Problem dar, wenn man plötzlich 14.000 Euro weniger zur Verfügung hat. So hatte das gravierende Auswirkungen für das Spotting, das, auch wenn man für die Postgarage oft nicht bezahlen muss, seine Konzertveranstaltungen einstellen musste.

Was machen KIM?
KIM, der Verein zur Förderung von Popkultur in Graz, hat als Label CDs herausgebracht, etwa Graz-Compilations mit The Famous Band Lasch, John Merlin, Supernachmittag und anderen. 2013 fragten sie mich, ob ich auch die KIM-Platten betreuen will. Wilhelm war von Anfang an bei KIM. Wir haben überlegt, in welcher Rechtsform wir das machen wollen, ob wir einen Verein gründen. Rampitsch hat damals ja bei KIM gearbeitet, und Martin Hörl, dem Chef des KIM, hat das gefallen.

Wie ist es, in Graz Veranstaltungen zu organisieren?
Was ich im Sub oder anderen Locations mache, ist in Graz generell nicht so einfach zu veranstalten. Vor acht Jahren, also vor dem Label, hatten wir mit Feinkost Royal angefangen, dann gab es Japanther, Wilhelm Show Me The Microphone und Wilhelmine Show Me The Microphone. Die erste Kassette kam 2008 bei der ersten Veranstaltungsreihe Lendwirbel heraus. Ich habe im Sub sehr gerne Konzerte organisiert, weil sie so klein sind. Und die gibt es ja weiterhin.

Siehst du in Graz Orte mit Entwicklungspotenzial?
Mit neuen Orten ist es immer schwer. Wir haben das mit Feinkost Royal am Anfang schon probiert, ganz neue Orte vorübergehend zu beleben, also ähnlich wie bei Lendwirbel. Einmal laut sein funktioniert, aber irgendwie einen Club irgendwo aufzumachen, geht nicht. Entweder man hat sehr viel Geld, um selber etwas zu bauen, oder man gründet einen Club da, wo bereits einer war.

Vielleicht herrscht ja zurzeit gerade eine Flaute?
Aber nach einer Flaute sollte wieder Neues entstehen. Es bekommt dann auch die Stadt mit, dass da etwas fehlt, und kann vielleicht wieder mehr zuschießen.

Bist du allein Wilhelm?
Jetzt schon. Seit den Anfängen habe ich die Leitung. Es hat immer verschiedene Leute gegeben, die Input geliefert haben. Ob das Rampitsch war oder Theresa Adamski, Lina Gärtner, Martin Gupper …

Ein Verein.
Genau. Wenn man ein Kassettenlabel macht, braucht man sich keine Hoffnungen zu machen, dass man so viel Geld einnimmt, um eine Firma zu brauchen.

Wo bekommt man die Tapes von WSMTML?
Plattenläden wie das Grazer Dux Records haben die Tapes in ihrem Stock. Hauptsächlich bekommt man die Tapes bei den Konzerten der Bands, außerdem gibt es auf der KIM-Website einen Online-Shop mit Gratisversand innerhalb Österreichs. Jede Kassette hat auch einen Download-Code, und auf der Label-Bandcamp-Seite kann man sich die Kassetten ganz durchhören.

Wie empfindest du das Interesse an Kassetten?
Früher hatte ich eine Statistik dazu, wie viele Leute die Sachen runtergeladen haben. Das waren überraschend wenige. Deswegen gehe ich nicht davon aus, dass es kein Interesse an Kassetten gibt.

Wie viele Songs befinden sich auf einer Seite?
Unterschiedlich. Die kürzeste war wahrscheinlich Goldsoundz/T.V. Buddhas, wo auf jeder Seite nur zwei Nummern waren. Die längste war wahrscheinlich Ja, Panik/Goldsoundz mit jeweils über einer halben Stunde Material. Meistens sind vier oder fünf Songs auf einer Seite.

Zurück nach Graz: Man findet sich gerne in seinen kleinen Gruppen zusammen. Passieren auch gruppenübergreifende Dinge?
Es hat immer wieder Ideen gegeben, einen Zusammenschluss mehrerer Grazer Vereine zu machen, ein Fanzine herauszugeben. Man trifft sich regelmäßig. Aber passiert wirklich etwas? Die Zusammenarbeit funktioniert anscheinend ganz gut beim KultLabor. Man kann sich ruhig zusammenschließen, aber im Grunde hat jeder Verein eine eigene Linie. Weshalb sich Kollaborationen nicht immer einfach gestalten.

Abgesehen von deinem Label, wo hätten die auf WSMTML veröffentlichten Bands in Graz erscheinen können?
In Graz gab es nichts. Wir haben bereits als Lady Lynch die Sachen selbst rausgebracht. Fettkakao hat es da schon gegeben, da musste man aber zuerst eine Verbindung herstellen. Das hat anscheinend ganz gut funktioniert. Einerseits bringt man die Kassetten raus, das Label gewinnt an Gewicht, und Nachbarlabels werden darauf aufmerksam. Und andererseits sind Bands zu anderen Labels gegangen, Goldsoundz und Just Friends And Lovers sind jetzt bei Fettkakao. Dass Bands abwandern, ist schon okay. Wenn man z. B. ein Album machen will, dann will man das vielleicht nicht unbedingt auf Kassette rausbringen. Generell will man doch eher eine CD oder Vinyl. Das neue Robotra-Album kommt dagegen nur auf Kassette heraus.

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Neben Wilhelm bist du als Produzent tätig.
Weil ich es gern mache. Und weil ich da ein bisschen reinkommen will. Die letzte Produktion war die Platte von Cry Baby, die demnächst auf Fettkakao erscheint. Philipp Forthuber und ich haben Aivery aufgenommen, die erscheint jetzt auf Unrecords. Es ist ein Hobby – ich mache das im Proberaum, es müssen nur rohe Demos sein.

Was müssen Bands tun, damit WSMTML sie herausbringt?
Man erkennt sofort, ob die Band musikalisch interessant ist. Aber auch die Attitude der Band ist wichtig. Natürlich bringt man keine rassistischen oder sexistischen Sachen raus. Wir haben viele feministische Bands, die müssen textlich aber nicht unbedingt feministisch sein, sondern es kann einfach …

… Punk sein.
Ja, Beach Girls And The Monster etwa sind eine feministische Band, aber sie singen nicht über feministische Themen. Genregrenzen sind mir egal. Meistens ist es dann aber Post-Punk. Das ist in meiner Plattensammlung ebenfalls so. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch andere Musikrichtungen veröffentlichen würde. Die letzte Kassette mit ESRAP war die erste HipHop-Aufnahme bei Wilhelm.

 

Numavi Records

Genregrenzen sind auch der zweiten Größe im Grazer DIY-Feld ziemlich egal. Angefangen hatte Numavi Records 1999, als ein paar Leute aus der oststeirischen Kleinstadt Weiz beschlossen, Punkkonzerte unter dem Namen »Kulturpirat« zu veranstalten. 2002 wurde daraus Numavi Records, man war damals zu zehnt. Drei Jahre später zog das Kollektiv nach Graz. 2006 wurde es konkreter, ein Kulturverein und ein Label wurden gegründet, um die selbsteingespielten Platten rauszubringen. Und die weiterhin veranstalteten Konzerte zogen immer größere Kreise.

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»Genau aus dem Grund haben wir das Label gegründet«, erzählt Mario Zangl. »Wir haben so viele ›interne‹ Bands. Aus dem DIY-Gedanken heraus – wir standen alle auf Rough Trade und die Hardcore-Szene – haben wir gesagt: nein, statt sich irgendwo zu bewerben, machen wir es selber.« Und Helmut Moser ergänzt: »Wir haben uns zunächst beschwert, dass die ganzen Bands überall spielen, nur in Graz nicht! Dann haben wir einfach selbst Konzerte organisiert.«

Die bekannteste ›selbermachende‹ Größe der Szene waren Killed By 9V Batteries (2002-2014). Die Split-Platte der Batteries gemeinsam mit der Band Picture Eyes war 2009 die erste Vinyl-Veröffentlichung des Labels. Davor gab es CD-Rs, unter anderem zehn von Wolfgang Möstls (auch ein Ursprungs-Numavi) Mile Me Deaf. Verkauft werden die Tonträger hauptsächlich auf Konzerten. Gigs sind nach wie vor das wichtigste soziale und künstlerische Tool von Numavi. So wurden auch die neuesten Numavi-Schützlinge Baguette bei einem Konzert im Grazer Club Sub entdeckt.

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»Nunca más vida« und Tweety

Der Name Numavi leitet sich vom spanischen »Nunca más vida« ab, was soviel wie »No Future« oder »Nie mehr Leben« bedeutet. Eine Kopfgeburt infolge von Teenage Angst, konstatiert Zangl, der früher bei Killed By 9V Batteries und mittlerweile bei Mile Me Deaf, Melt Downer und Bird Of The Year spielt. Die beiden Label-Mitbegründer Susanne Schwarz und Mario Zangl werden demnächst eine Dependance in Wien einrichten, die sich um Bookings von Bands wie VVhile kümmert. Das Mutterschiff bleibt in Graz und wird seriöser – mit einem fixen Büro im Volkshaus, wo auch ein Archiv seinen Platz finden wird und mit Label-MitarbeiterInnen, die Platten verpacken. Der Selbstvertrieb sei eher keine Option, vielmehr will man einen Vertrieb finden, der ähnlich wie Numavi funktioniert, nämlich »ohne Zwänge, ohne Abgaben«, so Zangl. Thomas Baumegger, auch ein Ur-Numavi, bastelt an entsprechenden Vertriebsstrategien. Numavi mietet sich gern in das Studio der Combinesch ein, eines Grazer Freiraums mit Musiklabor, Fahrradküche und Atelier-Space. Hier wird für ›interne‹ Numavi-Leute aufgenommen. »Für größere Acts sind externe Studios von Vorteil«, meint Zangl. Bei ausländischen Bands wird mit Labels kooperiert, die in ihrem Land produzieren, und Numavi kümmert sich um den österreichischen Vertrieb. Bei der Platte »More« der Belgrader VVhile war es etwa eine Kollaboration aus fünf Labels, darunter auch eines aus den USA.

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Wie 2014 sind Numavi auch dieses Jahr am Rostfest im steirischen Eisenerz. Auf dem Mitte August stattfindenden Festival treten außerdem Lonesome Hot Dudes, ESRAP, Dead End Friends, Baguette, Monsterheart und andere auf. Die nächsten Veröffentlichungen sind eine EP von The Gitarre der Liebe, das erste Album von Baguette, der Sampler »Rostfest Session 1-12« und Split-EPs von Bird Of The Year/Tommy Moonshine und von Melt Downer/Baguette.

Die vielen sympathischen Details der Numavi-Editionen stechen sofort ins Auge: das liebevolle Artwork, oftmals Siebdrucke des Grazer Kollektivs Das Voyeur, eine allgemein bemerkbare Leidenschaft für Kunst und der humorvolle Ton in den Pressetexten – Numavi ist nicht nur Plattform, sondern auch ein bisschen Familie.

So findet seit 2001 jedes Jahr einen Tag vor Silvester in wechselnden Locations eine Tweety-Party statt. »Wir sind damals alle in unserem Stammbeisl gesessen. Und wir sprachen darüber, dass Silvester niemanden von uns interessiert. Wir haben dann sechs Bierkisten gekauft und sind zum Hauptplatz gefahren, haben die Anlage voll aufgedreht, dort gefeiert und es Tweety-Party genannt«, schildert Baumegger den Beginn der mittlerweile eintausend Besucher und an die fünfzig helping hands zählenden Feier des Labels. Die Bezeichnung »Tweety« ist trefflich, handelt es sich doch, wie Schwarz anmerkt, um einen Kontrapunkt zu Sylvester, den Kater aus der Cartoon-Serie »Looney Tunes«. »Es ist immer eine Soli-Geschichte gewesen, die Bands spielen für Fahrtkosten und Essen, das von uns gekocht wird. Und es gibt eben die Möglichkeit, vor einem größeren Publikum zu spielen.«

Bei einer Tweety-Party spielen über zwanzig Bands, jeweils mit einer Zwanzig-Minuten-Performance. Statt regulärer Konzerte werden oftmals lieber Cover-Sets gespielt, oder es wird eigens eine Band, wie aus dem Ärmel geschüttelt, gegründet. Mit den Einnahmen werden kommende Veröffentlichungen finanziert.

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Numavi  © Clara Wildberger

Wider die Grazer Tristesse

Durch den Zusammenschluss zur Plattform KultLabor wird ein produktiver Austausch zwischen den diversen Kulturvereinen ermöglicht. Denn die Grazer Situation ist momentan nicht die beste, Förderungen wurden stark gekürzt. »Zu Beginn war das Credo: Keine Förderungen! Aber als die Sache größer wurde, haben wir gesagt: ›Okay, man will dann doch mehr machen und der Topf ist da, das Geld ist da, probieren wir’s mal‹. Es handelt sich eher um minimale Beträge, die gerade so groß sind, dass man sich nicht beschweren kann«, stellt Schwarz fest. Gefördert werden Konzerte, nicht Platten. Wichtig ist, dass das Geld zu den KünstlerInnen kommt. Die Label-Arbeit ist freiwillig, anders sei das, wie Zangl meint, in Graz nicht möglich und es mangele an Locations. Zwischennutzungen, wie er sie sich durchaus vorstellen könne, kämen in Österreich nicht gut an. Und was käme dafür auch in Frage?

Im Gegensatz zu Linz fehlt Graz der industrielle Hintergrund, und wenn Locations etwas abseits der innerstädtischen Trampelpfade liegen – siehe z. B. das Explosiv am Bahnhofgürtel – fährt das Publikum einfach nicht hin. Den Grazer Status quo umreißt Baumegger so: »Entweder man riskiert viel Geld oder man hat einen kleinen DIY-Club wie das Sub. Im Sub organisieren wir viele Konzerte von Tour-Bands, um ihnen einen Platz bieten zu können. Wir wollen keinesfalls, dass sie an Graz vorbeifahren. Das geht nicht.«

2003 hatte sich das sehr gut angehört: die Location ppc und viele andere Ideen … Doch die Verträge sind zehn Jahre später ausgelaufen und nun gibt es dort fast nur mehr 1980er- und 1990er-Jahre-Partys. Hoffnung sehen die Numavi-Betreiber im KultLabor-Projekt, in einer eigenen Venue und vielleicht sogar einem eigenen Festival. Weil das Grazer Publikum schon bei den Tweety-Partys Charme bewiesen hat, hätte es eine adäquate Fortgeherfahrung verdient. Das Sub ist die wohl einzig interessante Grazer Location im Moment, und als Kulturverein hat Numavi eine enge Bindung zu dem Ort, den sie eine Zeitlang geleitet hatten. Baumegger dazu: »Das Netzwerk ist sehr hilfreich, wenn man z. B. eine Band aus England kennt, dann redet man über die gleichen Dinge. Ûberall gibt es die kleinen DIY-Labels. Und es gibt immer wieder Leute, die sagen: ›Ja, wir sind jetzt auch ein Label!‹«


Verbotskulturhauptstadt Graz von Chris Sperl, orig. erschienen in skug #96, 10-12/2013.

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