Georg Eisler setzte sich ab Mitte der 1960er-Jahre in einer Werkreihe mit Menschen und Demonstrationen auseinander. »Die Politik ging auf die Straße und wurde für mich sichtbarer. Das Laufen auf der Straße war ein Zeichen der Zeit«, schrieb er. »Eisler ging es in seiner Werkreihe um das Agieren in der Gruppe«, meint Kuratorin Kerstin Jesse in der Ausstellung »Im Blick: Georg Eisler. Spurensicherung« im Oberen Belvedere in Wien. »Er wollte den Raum mit Laufenden gestalten, damit sich die Menschen als Teil der Masse sehen.« Auf die Frage nach dem Schriftsteller Elias Canetti, der sich ja ebenfalls gerne mit dem Thema »Masse« beschäftigte, erzählt die Kuratorin, dass Eisler Canetti kannte und in seinem Atelier besuchte. Er fand Canetti toll!
Neben dem Bild »Laufende im Tränengas« aus 1972 hängt ein Foto von der Wiener Demonstration gegen den antisemitischen Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz im März 1968 an der Wand. »Vergifter der Jugend« steht auf einem Schild. Auf dieser Demonstration wurde der Straßenbahn-Gewerkschafter und antifaschistische Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger getötet. »Das Aufflammen der Neonazipropaganda nahm Eisler sehr mit«, sagt Jesse. Manche Bilder wirken wie ein Filmstill.
Keine toten Farben
Die Belvedere-Kuratorin suchte keine Akte aus, denn Eislers fast tägliches Aktzeichnen erschien ihr als eine Übung im Körperzeichnen. Es gibt sogar ein paar hellere Bilder, die aus dem Grau herausstechen – wie das »Cafe Sperl« (1975) mit seinen hellblauen Fenstern. In einem Schaukasten sind Tagebuchteile ausgestellt. »Heute eilte ich sehr früh ins Atelier und fing sofort mit der Ziegelfabrik an. Der Kreidegrund saugt sehr stark und ich muss aufpassen, dass die Farben nicht tot werden«, steht da in lesbarer Handschrift.
Jesse zu Eislers Arbeitsweise: »Eisler malte fast wie mit Aquarellfarben Ton in Ton mit ineinander verwebten Farbakzenten. Er untermalte mit Tempera, dann verwendete er Ölfarben. Nach dem Krieg hatten die abstrakten Maler und die Surrealisten die Vorherrschaft, für ihn blieb aber sein expressiver Realismus die einzige Ausdrucksmöglichkeit.« Eine seiner Lehrerinnen war bereits 1938 in Prag Friedl Dicker-Brandeis, die Malerin, die in Auschwitz ermordet wurde. Schon Georg Eislers Kindergarten im Wiener Goethehof war von Dicker-Brandeis (gemeinsam mit Franz Singer) gestaltet worden!
Musikerin als Mutter
Georg Eisler war der Sohn der Sängerin Charlotte Demant und des Komponisten und Schönberg-Schülers Hanns Eisler. Beide Eltern waren Kommunist*innen. Seine Mutter hatte in Czernowitz Musik studiert, bis ihre Familie 1914 vor der russischen Armee flüchten musste. Nachdem sie jugoslawische Kommunist*innen versteckt hatten, emigrierten Mutter und Sohn schon 1936 nach Moskau, wo Charlotte Eisler an der Herausgabe des Vokalwerkes von Gustav Mahler arbeitete. In der Nazizeit lebte Eisler mit seiner Mutter in Manchester, Salford und Stockport. Sein Vater war allein nach Amerika ins Exil gegangen. Nach dem Krieg kehrte Georg Eisler im Alter von achtzehn Jahren nach Wien zurück. Seine Mutter hielt die kleine Familie mit Konzerten und später als Gesangs-Professorin am Konservatorium über Wasser.
Gemeinsam mit den Künstlern Rudolf Schönwald, Alfred Hrdlicka und Fritz Martinz unterhielt Eisler eine Lithographie-Werkstatt in Wien. 1969 trat er aus der KPÖ aus. Von 1968 bis 1972 war er Präsident der Secession. Eisler befasste sich auch später mit gesellschaftlichen Motiven, wie man zum Beispiel an dem Bild »Berlin, Ausländermeldeamt« (1987) sieht. Ein Kind streckt im übervollen Warteraum des Ausländermeldeamtes den Arm nach einem anderen Kind aus, das zögert. Die Kuratorin hat alle Tage- und Arbeitsbücher von Eisler gelesen, die zwischen 1962 und 1997 entstanden. Es wird an einem Werkverzeichnis des Malers gearbeitet.