Catherine Jauniaux &amp; eRikm<br />Foto by <em>Francois</em>
Catherine Jauniaux & eRikm
Foto by Francois

Gebrannte Kinder

Neue Veröffentlichungen vom experimentellen russischen Label Mikroton - zweimal auch mit starker österreichischer Präsenz.

Das von Vladimir Kudryatsev gegründete russische Label Mikroton Recordings wird heuer sechs Jahr alt. Kein Baby mehr, aber doch noch ein Kleinkind, wenn auch ein durchaus fleißiges.
Auf über 30 CD-Veröffentlichungen hat man es mittlerweile gebracht, meist in einer Auflage von 300 Stück. Nicht nur deswegen, sondern auch weil es um experimentelle Zugänge in der oft sperrigen Welt der Elektroakustik geht, haben wir es hier mit einer eher hermetischen Welt zu tun. Wer nach näheren Informationen sucht, nach Besprechungen, Erläuterungen, Sondierungen, findet meist nur knappe Hinweise und ein Netz von Querverweisen – eine kryptische Künstlerwebsite hier, ein Soundsample da, ein paar magere Presseinfos. Dahinter steckt aber kein System, eher passt es zur unfreiwilligen Verweigerungshaltung der Sache an sich. It’s experimental music, baby. Viele Soundsamples kommen auf kaum mehr als eine Handvoll »Likes« auch mit den Followers könnte man keine Armee aufstellen. Das ist schade, da Mikroton seine Fühler international ausstreckt (und dabei vor allem in Wien und Berlin ganz gut aufgestellt ist), und auch die Zugänge durchaus unterschiedlich sind. Denn Kudryatsev, der sich selbst als »Old School Produzent« und Mann im Hintergrund bezeichnet, pfeift auf Genregrenzen und produziert nur, was ihm persönlich interessant erscheint. Ein Blick auf die aktuelle Produktion unterstreicht das nachdrücklich.

Blau wie die See, schwarz wie die Nacht
kammerer_1.jpgCD No. 26, »Why Is The Sea So Blue«, stammt von der Südtiroler Sängerin Margareth Kammerer und glänzt mit einem großartigen deutsch-österreichischen Line up (Christof Kurzmann, Axel Dörner, Burkhard Stangl, Werner Dafeldecker). Wir hören eine eigenwillige Auslotung zwischen Jazz und Elektroakustik, bei der Jazzstandards in betörender Sperrigkeit gegen den Strich gebürstet werden, wobei sich Kammerer wohlgemerkt nur die Songtexte ausborgt. Herrlich, wie das von Song zu Song stilistisch ausfranst und doch ganz dem Klangspektrum des Ensembles treu bleibt. Auf dem Stück »mmmm«, ein Duett mit Christof Kurzmann, lachen einem sogar die Extended Versions kurz entgegen. Nicht nur für hopelessly devoted fans eine schwere Empfehlung. Die Vorgängerveröffentlichung »Vtoroi« von Ilia Belorukov und Kurt Liedwart (CD No. 25) tümpelt wiederum zur Gänze im scheppernd-knarzigen Einheitsland der Elektroakustik umher. Ein wenig Elektrostatik hier, ein paar Objektsounds da, dann wieder some bits of field recordings sowie ein verzerrtes Saxophon. Das ist insgesamt »eh okay«, nur hat man das schon unzählige Male so oder so ähnlich gehört.
nachtlieder.jpgAuf CD No. 31 wiederum präsentiert Michael Thieke eine Handvoll »Nachtlieder« in einer eher Richtung Jazz zu vermutenden Instrumentierung (mit unauffälliger Rhythmusgruppendopplung), aber das Resultat ist weitaus grenzgängerischer als erwartet. Was hier am Anfang wie ein verwehtes Hafenrequiem anhebt, gleitet erst ab ins meditativ Verschrobene, um dann in eine noisige Hardcore-Ecke zu driften, aus der Thiekes Klarinette, Luca Venituccis Akkordeon oder Martin Siewerts Gitarre wie Bojenlichter hervorstechen. Man liest es an den Namen, eine internationale Besetzung ist hier am (großartigen) Werk. Da darf man sich auch eine relaxte Nummer wie »Dear Pretty Baby« achselzuckend erlauben. Sehr hübsch, sehr gelungen. Wie der Soundtrack zu einem sinistren Hafenthriller, allerdings in einer Béla-Tarr-Inszenierung.

Impro-Business as impro-usual
Die »Nachtlieder« von Michael Thieke könnten womöglich auch ein paar Uneingeweihte in die schroffen Soundwelten der Elektroakustik locken, keine Option ist das bei CD No. 29. »Live In Morden Tower« präsentiert genau das, was der Titel verspricht, einen Impro-Live-Auftritt der Herren Rhodri Davies (elektrische Harfe), John Butcher (Saxophone) und Lee Patterson (Elektronikzeugs) in der Stadt Newcastle. Das ist purer Stoff für Die-Hard-Connaisseure, ein fitzelig-anspruchsvolles Soundgemälde auf fraglos hohem Niveau, mit einigen fein gelungenen Passagen, aber überwiegend as sperrig as hell. Die Freunde der kompromisslosen Live-Impro bedient Mikroton allerdings öfter, etwa auch auf CD No. 17 & 18. Auf den zwei CDs von »Shifting Currents« improvisieren die Herren Rick Reed, Keith Rowe und Bill Thompson nicht nur miteinander, sondern auch in Reaktion zu einer Live-Installation, die sich wiederum aus früheren Performances speist. Bei so viel überlagerter und interagierender Musik fragt sich aber doch, wieso das Resultat stellenweise so monolithisch anmutet.

Am sonoren Hexenkessel
erikm_1.jpgUnd da wir schon dabei sind, können wir gleich auch noch auf CD No. 21 & 22 verweisen. Unter dem Titel »Mal Des Ardents / Pantonéon« präsentieren die Vokalartistin Catherine Jauniaux und der vielbeschäftigte Elektroakustiker eRikm zwei Konzerte (auf zwei CDs), einmal im französischen Montpellier, einmal im schweizerischen Basel aufgenommen. Jauniaux‘ Stimmkünste sind eher in die Kategorie der furiosen Sounderlebnisse einzuordnen, ein entfesselter Hexensabbath im Kehlkopf sozusagen, nur dass (anders etwa als bei einer Diamanda Galás) der Drang zu lebensverachtender Melodramatik kaum vorhanden ist. Vor allem auf »Pantonéon«, dem Baseler Konzert, packt die Sängerin ihren beeindruckenden Repertoirekoffer aus und lädt die HörerInnen zu einer irrwitzigen Soundreise ein, die im Ûbrigen von eRikm kongenial begleitet wird. »Mal Des Ardents« hingegen ist einen Hauch fitzeliger, hier brodelt der Hexenkochtopf nah am Ohr, daraus entsteigen sonore Jungfrauen in heidnischer Zickigkeit, die selbst hartgesottenen HörerInnen einiges abverlangen. Trotzdem ist das Resultat irgendwie ziemlich Wow – und heißt ja auch nicht umsonst (übersetzt) »Brandmale«.

Zum Abschluss gönnen wir unseren Ohren noch ein klein wenig Entspannung. Mikroton CD No. 24 stammt von Hanno Leichtmann und bietet elektroakustischen Minimalismus mit Gastmusikern, dementsprechend als »Minimal Studies« betitelt. Diese sind erstaunlich zugänglich, ja, an einigen Stellen nahezu tanzbar. Man fragt sich beinahe, wie das ins Mikroton-Portfolio passt (wenn man es nicht schon wüsste). Andererseits ist das Attribut »zugänglich« sehr unterschiedlich auslegbar. Wer unter tanzbar nur die Dorfdisco versteht, ist hier fehl am Platz. Aber das ist natürlich im Grunde die falsche Argumentation, weil erneut einer Ausschließungslogik folgend. Die Hälfte der hier vorgestellten CDs knallen vor uneingeweihten HörerInnen ohnehin schallend die Türen zu. Das ist ihr gutes avantgardistisches Recht, aber es ist doch auch schade, weil die nach unverbrauchter Musik dürstenden Massen auf diese Weise wohl kaum gewonnen werden können. Und Vladimir Kudryatsev sein Label weiter aus eigener Tasche betreiben muss. Dagegen wollen wir jetzt aber endlich etwas unternehmen, oder?

In sehr informatives Interview mit Mikroton-Chef Vladimir Kudryatsev, wo er auch über seine Wien-Affinität spricht und sich selbst als »Old School Produzent« bezeichnet, gibt es übrigens in Freistil No. 43 nachzulesen, siehe freistil.klingt.org

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