© DALL-E/OpenAI
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Fußball in der Wüste

Das Bemerkenswerteste an der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer im winzigen Golfstaat Katar ist weniger der Sport als das Zusammentreffen und ungewollte Sichtbarmachen verschiedener aktueller Konflikte. Von Identität über Kapital bis zu Rassismus, es besteht Redebedarf im skug Talk.

Für Deutschland läuft es gerade nicht gut. Das Land ist beim FIFA World Cup 2022 ausgeschieden und sucht jetzt nach Gründen. Wenn sich so viele mit einer Sache identifizieren und bereit sind, darüber zu fachsimpeln, dann kann es sich eigentlich nur um Fußball handeln. Man ist es gewohnt, dass sich während einer WM alles nur ums »runde Leder« dreht. Bei der in Katar ist das aber nicht so. Die aktuellen Krisen sind zu wirkmächtig. Angefangen von der Angst vor Blackouts, weil nicht mehr genügend russisches Gas für den ruinösen deutschen Lebensstil vorhanden ist, bis hin zu den immer schwerer zu leugnenden Folgen der hereinbrechenden Klimakrise (40 Grad im Schatten und kein Wasser mehr im Rhein fällt auch unpolitisierten Menschen auf). Kurioserweise hat dies alles unmittelbar mit Katar zu tun. Erstmals spielt die WM im Winter, weil dann die Hitze im Wüstenstaat gerade noch auszuhalten ist. Ursprüngliche Konzepte, wie der mörderischen Sommerhitze mit Außenklimaanlagen und fliegenden Dächern (riesige Drohnen) beizukommen sei, wurden alle fallen gelassen. Es geht einfach nicht, so viel zum Geoengineering. Man bleibt überhaupt lieber beim Bewährten und der grüne deutsche Wirtschaftsminister Habeck hat sich deshalb bei der katarischen Führung gerade einen Vertrag für Gaslieferungen an Deutschland für die nächsten 15 Jahre gesichert, weil er natürlich auch nicht an die baldige Energiewende glaubt. Aber diese ganz unglaublichen Zusammenhänge sind nicht einmal das Hauptthema. Worum es eigentlich geht? Man will gut sein!

Toleranz, Akzeptanz und Leistung

Die deutsche »Fußballgroßmacht« diskutierte darüber, dass beim Bau der Stadien, die in zwei Wochen niemand mehr braucht, mehr als sechstausend Bauarbeiter*innen umgekommen sind, die unter sklavenartigen Bedingungen schuften mussten. Denn Katar hat angeblich Geld für alles, nur nicht für gerechten Lohn und Arbeitsschutz. So funktioniert eben Kapitalvermehrung. Außerdem hält der katarische WM-Botschafter Khalid Salman Homosexualität, wie im deutschen Fernsehen zu sehen, für einen »geistigen Schaden«. Ein führender Mitarbeiter des FC Bayern drückte es unnachahmlich so aus: Die FIFA kann sich ihre ganze Toleranzwerbung [an einen dunklen Ort] schieben, wenn sie dagegen nicht protestiert. Der Teamkapitän der Deutschen wollte deshalb, wie die Captains sechs weiterer Nationen, eine Regenbogenteambinde tragen. Das wurde verboten, deshalb posierte die Nationalmannschaft beim Gruppenbild vor dem Spiel mit der Hand vor dem Mund. Ein kurioser Protest der Multimillionäre, denen dauernd ein Mikro unter die Nase gehalten wird, aber immerhin. Das Spiel danach gegen den »Fußballzwerg« Japan ging allerdings verloren und Deutschland begann zu diskutieren.

Dem Team fehle der »9er«, liebevoll das »Kampfschwein« genannt. Ein Spieler, der im Zentrum den Überblick behält und voller »männlicher Tugenden« ist. Das kann auch mal heißen, die eigenen Leute anbrüllen und dem Gegner den »Ellbogen in die Fresse« stoßen. Sonst kommt man einfach zu nichts. Früher gab es diese Spieler. Sie hießen Franz Beckenbauer oder Michael »Wir gewinnen jeden Zweikampf« Ballack. Jetzt findet das deutsche Team kaum mehr Tormöglichkeiten und lässt das Haupt hängen. Grund: Es wird zu viel diskutiert. Die rechtsextremistische AfD meint durch das ganze »Woke-Gequatsche« seien »deutsche Tugenden« verloren gegangen. Der Witz hierbei, diese »Diagnose« ist international die gleiche. Das französische Team versank vor einigen Jahren in seinen Identitätskonflikten, weil die arabischstämmigen Spieler die westafrikanischstämmigen für undiszipliniert hielten, nach gewonnenem WM-Titel wurden Elogen der Eintracht angestimmt. Das Team sei ein Modell für die neue Weltgemeinschaft. Immer ein bisschen schwer zu sagen, was hier Ursache und was Wirkung ist. Wenn es auf dem Platz nicht so läuft, dann beginnt plötzlich die Hautfarbe zu strahlen?

Von der sexuellen Ausrichtung mal ganz abgesehen. Angeblich unterhielt der FC Bayern Räume für gewisse Stunden, damit Spieler ihre Homosexualität dort unbeobachtet ausleben konnten. Die moralisch nicht unbedingt gefestigte Vereinsführung hatte nix gegen Schwulsein per se, sie fürchtete nur die Ablenkung durch die mediale Skandalisierung. Ist das dann schon Toleranz? Akzeptanz ist es nicht. Der damalige Vereinspräsident Uli Hoeneß ließ ins Büro kommen, wer in Münchner Schwulenbars gesichtet wurde, und erklärte dann den Ablauf. »Mach was du willst, aber lass es nicht deine Leistung beeinträchtigen!« Ja, so sans, die erfolgreichen Fußballmanager. Das Faszinierende am Fußball und ganz besonders an dieser WM ist, dass sie fungiert wie ein Magnet für Bösewichte und aktuelle Konflikte. Wenn plötzlich eine Mehrheit in deutschen Landen »gegen« diese WM ist, dann ist das vielleicht weniger die Empörung wegen des verbrecherischen Umgangs mit Arbeiter*innen, der »Umweltsünden« durch sinnlose Bauwut und des Hasses auf LGBT+ als einfach auch das gute alte Ressentiment gegen Araber*innen und ihre »Rückständigkeit«. 

Welches Potenzial hat der Fußball?

Die Komplexität der Situation lässt Diskutierfreudige mit der Zunge schnalzen, der Salon skug bietet dafür die Bühne. Die brennende Frage soll hier weniger sein, wie sich die bei dieser WM am Fußball kondensierenden weltpolitischen Problem kommentieren lassen (das wird überall fleißig getan), als einmal über die Möglichkeiten für Aktivismus im fernen Österreich zu reden, wo sich die Fußballnationalmannschaft in weiser Voraussicht gegen eine WM-Teilnahme entschieden hat. Außerdem: Muss man sich den Spaß am Sport und am Mitfiebern nehmen lassen, weil Unholde damit Geld verdienen? Hat nicht der Fußball, bei dem Menschen aus aller Welt, unterschiedlicher Religionen, Moralvorstellungen, Hautfarben und zumindest heimlich auch verschiedener sexueller Orientierung zusammenkommen, um ein Spiel zu spielen, auch emanzipatorisches Potenzial? Ist es nicht auch ganz großartig, wenn Menschen gemeinsam eine Mannschaft bilden und trotz Nieselregen Sonntagvormittag mit Leidenschaft auf dem Platz stehen? Steckt nicht in allen von uns ein Ted Lasso, der Teams anhand von Menschlichkeit bildet und nicht anhand von Siegeswillen?

Schwierige Fragen also, aber wir haben genau die richtigen Gesprächspartner*innen dafür. Nikola Staritz ist Expertin im Bereich Sport & Antidiskriminierung bei der Initiative fairplay, die sich dem Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung verschrieben hat. Sie selbst arbeitet auch als Fußballtrainerin. Kurt Wachter (angefragt) hat im Sommer den »Cup der Menschenrechte« mitorganisiert, der im Rahmen des Projektes »Unser Spiel für Menschenrechte« Gruppen und Personen, die durch die WM in Katar zu den Betroffenen gehören, zum Spiel verhalf. Entgegen Ausbeutung und Menschenrechtsverletzung sollte hierbei globale Gerechtigkeit, Antidiskriminierung und Nachhaltigkeit in den Fokus kommen! Außerdem Sebastian Schönbauer (angefragt), kritischer Fan und Aktivist von den legendären Freund*innen der Friedhofstribüne des ebenso legendären Wiener Sport-Club. Die haben Anfang November zu »Boycott Qatar! Arbeitsrecht ist Menschenrecht« aufgerufen. Viel Wissen, viel Aktivismus, damit nicht doch der Plan der katarischen Führung aufgeht, dass nach einer Weile alle doch wieder nur über Fußball reden. Das machen wir, aber nicht in deren Sinne. Also unbedingt am 7. Dezember 2022 beim Salon skug im Wiener rhiz vorbeischauen, gerne auch mit Fanschals. Wir beginnen diesmal pünktlich um 19:30 Uhr mit unserem skug Talk und freuen uns auf euch! 

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