»Musik wächst aus Körpern heraus, der Weg führt vom Körper in ein Instrument, in die erweiterte Klangwelt mit Effekten«, so Mia Zabelka bzw. Zahra Mani über die diesjährige phonoFEMME-Festival-Intention. Wobei sich via Ätherwellen ein weiterer, der Radioklangkosmos auftut. Es geht um die Übersetzung der Gestik, der Körperlichkeit der Musikerinnen in Klang. Und die Entkörperlichung von Räumen, das »disembodiment of spaces« mittels Loop-Stations und Delays beispielsweise.
Den souveränen Auftakt am Samstag, dem 21. September bestreiten Mia Zabelka und Zahra Mani. Ein improvisierter Spannungsbogen, der mittels E-Geige, E-Bass und Elektronik samt entfesseltem, verzerrtem E-Violinen-Solo im Aufgebot an Spacemusik andockt, ohne dezidiert Spacemusik sein zu wollen. Bei ihrem das Festival beschließenden Auftritt fürs Kunstradio am Sonntag, dem 22. September geht es allerdings wesentlich intergalaktischer zu. On air rezipieren Agnese Banti und Roberto Paci Dalò im Studio des USMA Internetradios in San Marino die »Soundbälle«, die Mani/Zabelka aus dem RP4-Studio via Livestream »zuwerfen« – und umgekehrt. Ein Wunderwerk, scheinbar gleiten die Musiker*innen wie ein frei floatendes Klangschiff, auf dem sich flüchtiger Sound irdisch materialisiert, durch den Äther. Nachzuhören auf »7 Tage Ö1« bis 23:00 Uhr am 29. September 2019.
Viv Corringham
Doch zurück zum ersten Festivaltag im Cafè des ORF Radiokulturhauses in der Argentinierstraße in Wieden. Die Vokalistin und Klangkünstlerin Viv Corringham manipuliert zunächst Vogelgezwitscher. Die Quellenlage ihrer Field Recordings ist nicht einfach zu dechiffrieren und auch ein markantes Bienensummen ist nur die Grundlage, um darüber eine Art Joiken bzw. schamanistisches OM-Singen zu entfalten und dieses mit anderen Mundgeräuschen zu unterlegen. Gleich darauf hebt die in New York lebende Britin mit politischem Gesang an: »I saw the signs, everyone carries a burden«.
Corringham singt davon, dass wir nicht stolz sein können auf das. was auf und mit der Welt passiert. »There is no alibi«. Vokalcrescendi schrauben sich kaskadenartig in hohe Sphären und irgendwie klingt das nach Meredith Monk, jedoch weirder, verzweifelter? Corringham steuert ihre Stimme durch ein iPad, und entkörperlicht via diesem »voice processing« ihre natürliche Stimme. Dabei wird einmal mehr offenbar: Stereo, gut abgemischt, klingt das überirdisch wundervoll. Drastischer Schlusspunkt: Von London über Mumbai bis Miami und New Orleans leben die Metropolenbewohner »on the borderline of sea level«. »Rising!« ruft Corringham eindringlich. Ein klimatisches Horrorkabinett, das schaudern lässt.
Cao Thanh Lan/Annette Giesriegl
Spannend auch das Aufeinandertreffen von Cao Thanh Lan mit Annette Giesriegl. »Didi disddis issis iiissi…«. Giesriegl, eine in Graz lebende Vokalextremistin und -forscherin, sprechsingt Laute, die höhere Sprachkunst ergeben. Darauf antwortet die Austrovietnamesin Cao Thanh in tieferen Registern und will diese komischen Laute von einem Translationsprogramm übersetzen lassen, ins Chinesische, Korsische, Portugiesische usw. Schmunzelnd stellt der Rezensent fest, dass Cao Thanh, das bewusst machend, »absichtlich« scheitert und ihr Notebook fragt: »Did you mean…« und sehr seltsame Bezüge herstellt.
MAG
Nach ihrem großartigen Gig für den Salon skug im März 2019 steht Magdalena Ågren erneut auf einer Wiener Bühne. Dank den phonoFEMME-Kuratorinnen Mia Zabelka und Zahra Mani. Wie Greta Thunberg ist die Schwedin mit dem Zug angereist. 27 Stunden sind es von Göteborg nach Wien. Vor ihrem Auftritt meint MAG gewitzt, dass sie wohl der poppigste Act von phonoFEMME 2019 sein wird. In der Tat. »Sick, Sick, Sick« hat enormen Punk-Gestus. MAG schreit ihre Wut mit Bestimmtheit heraus, dramatisch am Megaphon. Der Drumcomputer rattert und die Posaunenloops marschieren im Stampfrhythmus davon.
»Natter Ser Dig« (»Die Nacht sieht dich«) widmet MAG allen Menschen, die nicht so privilegiert sind wie sie selbst. Der »depressive Hase« neben dem Keyboard stellt sich als Eigenbausynth mit Oszillatoren heraus, wobei MAG drei strohhalmartige Öffnungen drückt. Beinhart krachen Basssynthieläufe, über sturem Drumcomputergeratter, unterspült von knarzend tuckernden Sequenzermelodien. Gegen Ende ertönt wieder elegisches Live-Posaunenspiel, das sogleich als Posaunen-Live-Sample weiterläuft. Dazu singt MAG, ihr Leid klagend, sirenenhaft ins Mega- und opernhaft ins Mikrophon. »En Fis I Ryman« entpuppt sich nicht nur in der Übersetzung als »A Fart in Space«! Kein Schas, sondern knallharter Trombone-PunkʼnʼRoll von ultimativer Dringlichkeit. Mit Sequenzersahne und hoher Singstimme versehen, samt aufbrausend-gloriosem Posaunenjubel, wo Drumbox und Posaune marschieren, dass es eine Freude ist. Auch »Fun, Fun, Fun« fährt wie Hölle und mündet in ein finales Feedbackgewitter.
MAG sind übrigens die CDs ausgegangen. Dieses Manko behebt sie mit einer sehr liebenswürdigen Intervention. Statt ihrem aktuellen Album verkauft Magdalena Ågren ein minikleines Plastikspielzeugfaultier, das in seinen Pranken eine winzige Papyrusrolle hält. Darauf steht MAG und darin befindet sich der Downloadcode für »Magnitude«.
Frauen an die Macht!
Fehlt nur noch ein Resümee: Das »Disembodied Spaces« betitelte Konzertwochenende hat die Erwartungen weit übertroffen. phonoFEMME ist eines der charmantesten Avantgarde-Festivals weltweit, noch dazu ein vor lauter herausragenden Sounds überquellendes, mit garantiert 100 % Female-Artists-Anteil. Ach, es wäre um so vieles entspannter, regierten nur Frauen die Welt!
Link: www.facebook.com/phonofemme
https://oe1.orf.at/programm/20190922/572961/phonoFEMME-2019