Apulien – jener Landstrich, der »Absatz« und »Fersenteil« des italienischen »Stiefels« umfasst – wurde erst in den letzten Jahren touristisch erschlossen, in den Nachrichten scheint die Provinz nur in Zusammenhang mit überfüllten Flüchtlingslagern auf. Das Festival »Finis Terrae« (der Titel leitet sich davon ab, dass die Gegend auch als »Ende der Welt« bezeichnet wird) zeigt acht Tage lang Dokumentar- und Spielfilme aus sechs Jahrzehnten, die in Apulien gedreht wurden. Zur Eröffnung werden die kurzen Dokumentarfilme »Sulla terra del remorso« (Gianfranco Mingozzi, 1982) und »Tommaso« (Cecilia Mangini, 1965) gezeigt sowie der Spielfilm »Il primo incarico« von Giorgia Cecere erstmals in Üsterreich aufgeführt. Zur Eröffnung und auch während mehrerer Filmaufführungen werden einige der FilmemacherInnen anwesend sein und für Publikumsgespräche bereit stehen.
Am Ende der Welt
»Il primo incarico« erzählt die Geschichte einer jungen Lehrerin, die in den 1950er-Jahren ihre erste Stelle in einem kleinem Dorf in Apulien antritt. Die urbane Intellektuelle hat Probleme mit der ihrer Ansicht nach rückständigen Kultur und den materiell primitiven Lebensbedingungen. Wird sie irgendwann dieses andere Leben akzeptieren oder sich sobald wie möglich nach Norden versetzen lassen? »Il primo incarico« ist der Debütfilm Giorgia Ceceres, die bisher als Drehbuchautorin u. a. für Edoardo Winspeare arbeitete. Auch drei Arbeiten Winspeares werden auf dem Festival gezeigt. In »Sangue Vivo«, Winspeares Drama um zwei ungleiche Brüder, versucht Pino seinen jüngeren Bruder mit Hilfe der Pizzicata, der modernen Form des Tarantismus, von dessen Drogensucht zu heilen. Tarantismus (»Tarantel-Kult«), als eine Form der Besessenheit, aber auch mystisches, ekstatisches Erleben, ist Thema mehrerer Filme des Festivals.
Moderne und Identität
Apulien ist jedoch kein Refugium der Archaik oder ein Open-Air-Museum althergekommener Bräuche, sondern eine periphere, von der Politik sicher oft vernachlässigte Region, die den Anschluss an Moderne sucht und auch um die Erhaltung der eigenen Identität ringt. Diese Widersprüchlichkeiten kommen in den Dokumentarfilmen Cecilia Manginis zum Ausdruck. »Brindisi’65« dokumentiert die Veränderungen, die die Errichtung einer petrochemischen Fabrik nach sich zieht. Die Pionierin des italienischen Dokumentarfilms ist übrigens Gast bei »Finis Terrae«.
Mit den Schicksalen von Flüchtlingen befassen sich die Filme »Where we go« (Paolo Pisanelli, 2000) und »Jetoj-vivo« von Ervis Eshja und Mattia Soranzo aus dem Jahr 2004.
»FINIS TERRAE – Kino aus Apulien«
16.-23. 11. 2010 im Top Kino Wien
Eröffnung am 16.11. um 19 Uhr im Italienischen Kulturinstitut, Ungargasse 34, 1030 Wien