Lumisokea, HORIZON 2015
Lumisokea, HORIZON 2015

Experimentelle Musik in Aspern Seestadt

Ûber den Horizont Hinaus! Aspern Seestadt! Ein skug-Interview von Nina Prader mit Lona Gaikis, der Kuratorin von »Czirp Czirp«: über die Events HORIZON und NARRATIVES, veranstaltet Anfang 2015 im Kultursalon SALoTTo sowie über die Wahrnehmung von dem Verhältnis zwischen Kunst und urbanem Wohn- und Kulturprojekt am Stadtrand von Wien.

skug: Voran gleich die Frage an Sie als eine der Kuratorinnen für den Salon SALoTTo: Was waren vier wichtige Punkte, um das Verhältnis von Kunst, in Ihrem Fall auch Sound, und diesem speziellen Ort programmatisch gerecht zu werden oder zu reflektieren?

Lona Gaikis: Das Salotto befindet sich ja eigentlich in einem unwirklichen Brachland. Zwar gibt es kleine Anfänge in der Kulturarbeit, wie das mobile Jugendzentrum, auch am Flugfeld, und eine kleine Gartensiedlung am Rande der Landebahn sowie das signifikante Flederhaus, aber das sind wirklich erst kleine zivilisatorische Keimsprossen in der Mondlandschaft um Aspern Seestadt.
Wenn man hier ankommt hat man eher das Gefühl in einer ausgestorbenen Pioniersiedlung im wilden Westen der USA angekommen zu sein als am kulturellen Hotspot Wiens. Das reizt und ist eine Herausforderung!
Als mich die Kuratoren Raimund Deininger und Jürgen Weishäupl, die das Projekt bereits 2014 in Triest veranstalteten, fragten, ob ich ein Programm dort machen möchte, habe ich sofort zugesagt, weil dieser Ort einfach noch nicht belegt ist. Ihr Ziel ist es, im Salotto ein heterogenes Publikum anzusprechen und die unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen zusammenzubringen.
Mein Veranstaltungsprojekt heißt ja »Czirp Czirp«: das lehnt sich der Lautschrift eines Vogelgezwitschers an – ist also bereits ein Sound – der sich seit 2009 an den unterschiedlichsten Orten nieder lässt. Musik und Sound interessieren mich, weil sie Medien sind, die so unmittelbar wirken und die Hörerinnen körperlich und geistig absorbieren. Der Vogel ist das Motiv, das auch den nomadischen Geist des Programms am Besten zur Geltung bringt.
Um auf Ihre Frage zurück zu kommen, wie ich den Sound und die Kunst hier reflektiere, müsste ich tatsächlich vier Ebenen aufziehen: den kuratorische Rahmen mit »Czirp Czirp«: an sich; die Auswahl der Künstlerinnen, in der ich gezielt Positionen suche, die in sich Musikkulturen und Klang reflektieren, auch Stile invertieren; eine möglichst nahe Zusammenarbeit anzuregen und, das ist letztlich wirklich wichtig, mit den technischen Gegebenheiten und einer guten Gruppe an Leuten zu arbeiten.

Was trägt die lange Anreise in die Seestadt zur Location, zur Kunst oder den Erwartungen beim Publikum bei? Exklusivität? Atmosphäre?

Ein Reise ist es wahrlich! Ich genieße ehrlich gesagt den Ausflug aus der Stadt heraus, den Blick zurück auf die Skyline der Donau City. Es ist so, als würde man neuen urbanen Raum erobern.

Wie standen das Lichtspiel von Aspern zu Silvester mit dem Soundspiel im Verhältnis? Ihre Einladungskarte erinnert an die Polarlichter (Aurora Borealis).

Schöne Frage – das Lichtspiel ist kein Kino. Das, was Catherine Ludwig vom Architecture Institute, Julia Starsky oder Stefan Kainbacher von Neon Goldin zu Silvester machten geht über modernes Spektakel hinaus. Da gehen Kunst und Wirklichkeit ineinander über.
Licht war aber wirklich Ausgangspunkt für mich, die Künstler Lumisokea auszuwählen und der dunklen Jahreszeit einen erleuchteten Ausblick zu geben. Koenraad Ecker (BE) und Andrea Taeggi (IT), die beide in Berlin leben, zeigten eine eindrucksvolle visuelle Show im Rahmen ihres Auftritts: komplett verdunkelter Raum voll mit Nebel, in dem die Lichtstrahlen der Projektoren durch den Raum schießen und von den Körpern der Besucherinnen unterbrochen werden. Das verkehrt den üblichen Umgang mit Bildern im Genre der Visuals und wirft das Publikum in seiner visuellen Erfahrung auf sich selbst zurück. Eine ähnliche Wirkung im Hören schreibe ich der Musik zu.

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Das Programm von HORIZON beschreibt den Abend mit den Worten »club culture as point of transgresssion«. Kannst du diesen Transgressionsbegriff mit dem Abend und dem Ort in Verhältnis stellen? Wie radikal kann man im Rahmen des SALoTTo und in der Seestadt sein?

Der Begriff »Transgression« mag einen zur Zeit oft im kulturellen Kontext begegnen und meint eine Grenzöffnung zur Ûberschreitung etablierter Normen durch die Erfahrung von Kunst/Musik/Tanz/Performance/Film.
Techno und dessen Clubkultur – um diesen ging es an dem Abend – würde ich dieses Potential zuschreiben. In einem orthodoxen Techno-Idealismus geht es zugespitzt um die Auflösung von Geschlecht, Rasse, Herkunft und Kategorie sowie die Verschmelzung mit dem Rhythmus, mit der Maschinen- oder Computermusik, wenn man so will. Ich verstehe die »Transgression« als Potenz, die der Kunst inhärent ist. Wie es mit Idealen so ist, sind sie nur schwer in Wirklichkeit mit aller Radikalität umzusetzen. Die Protagonistinnen an dem Abend und ich sind nicht an radikalen Umwälzungen interessiert. Dazu sind wir, glaube ich, die falsche Generation. Es geht da vielmehr um das Spiel mit normierenden oder kategorisierenden Codes und deren Aufweichung.
Eine mögliche Verbildlichung der Idee der »Transgression« als fragil vibrierende und durchlässige Ebene sehe ich in der Arbeit von Benjamin Tomasi. Ihn beschäftigte tatsächlich die Vorstellung dieser Grenze der Ûberschreitung.

Wie sehen Sie im Gegensatz dazu die Veranstaltung NARRATIVES? Was waren Ihre Vorstellungen? Worum ging es Ihnen hier?

 
Für die Veranstaltung NARRATIVES habe ich Künstlerinnen eingeladen, die in ihrer Arbeit vielleicht weniger an der Ebene der Ûberschreitung oder transformativen Momente agieren, sondern eher Narrative erzeugen. Moon Wheel (Olle Holmberg), dessen Musik stark von Dub, Psychedelia und Drone-Elementen beeinflusst ist, versetzt einen in einen Trance-ähnlichen Zustand. Die Performance ist eine Art schamanischer Ritus. In der Musik tauchen zum Teil Field Recordings auf, die ein ganz eigenes Environment erzeugen.
Christina Nemec alias Chra war ebenfalls eingeladen. Sie ist eine der spannendsten Musikerinnen in Wien und hat in letzter Zeit einige neue Sachen produziert.
Wiens Ambient-Virtuose Stefan Juster spielte auch, zur Zeit unter dem Namen Jung an Tagen. Er begeistert mich immer wieder mit seinem ganz feinen Acid-Synth-Sound und Noise-Elementen.

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Harmonieren die Aspirationen/Werte von der neuen Medienkunst mit der neuen Aspern Seestadt? Wenn Ja, wie? Wenn, nein, wie?

Inwieweit die Aspiration neuer Medienkunst mit Werten der Stadtentwicklung harmonieren oder nicht ist so früh nicht zu sagen. Was als gutes Zeichen gedeutet werden sollte, ist, dass Aspern Seestadt das Ohr und Auge für Medienkunst öffnet und mit dem Salotto ein so vielfältiges Programm unterstützt.

Kritiker der Seestadt prophezeiten ein »Vorstadtghetto« oder einen »Stadtentwicklungsflop«. Ist das Kulturprogramm ein Mittel, um das zu verhindern? Oder ein Deckmantel für die vorhergesagte , »Problemzone«?

Kritiker bewerten Dinge oft aus der Entfernung und projizieren »Erfahrungswerte« oder »Befindlichkeiten« auf Unternehmungen, die Wandel bringen. Manchmal ist man gut beraten zu fragen, aus welchen Interessen heraus solche Prophezeiungen gemacht werden. Ich kenne diese Kritik aber gut.
In Wahrheit gibt es in Aspern Bauprojekte, die z. B. auf partizipativer Entscheidungsfindung der Bewohner beruhen. Das finde ich ziemlich progressiv. Ich bin der Meinung, dass das Formen von Stadtraum auch zu einem großen Teil an der Offenheit der Bewohner in Aspern aber auch der Grätzel- Wiener im Ring liegt. Dass diese Debatte aber während der Entwicklung des Stadtteils aufkommt ist eigentlich ein gutes Zeichen, da hier noch Handlungsspielraum ist.

Home / Kultur / Open Spaces

Text
Nina Prader

Veröffentlichung
28.03.2015

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