© Frank Jödicke
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Eros und Thanatos im Fahrgeschäft

Im Super Autodrom im Wiener Prater präsentierten die Performer*innen von Andother Stage gemeinsam mit Autor Kilian Jörg mit »Autodestruct me, baby!« am 9. Juli 2025 eine Show, die zum Ineinanderkrachen einlädt.

Im Prater gibt es immer eine Menge zu schauen. Alles blinkt und dudelt und im Autoscooter vereint sich vorzüglich, was die Vergnügungsmeile zu bieten hat: Man kann auf dem Riffelblech stehen, ein wenig gaffen und versuchen, dabei cool auszusehen. Oder man steigt in die Manege und fährt mit den überraschend wendigen Autos im Kreis. Und weil man hier, anders als bei den meisten Fahrgeschäften, das Steuer selbst in die Hand nehmen darf, werden die Endverbraucher*innen zu Herr*innen ihres Schicksals. Sie dürfen bestimmen, wo es lang geht. Nicht, dass sie dabei weit kämen, aber immerhin. Die Mutigen dürfen sogar gegen den Strom fahren und früher oder später kracht es lustig. Blaue Flecken auf den Schienbeinen dürfen dann mit nach Hause genommen werden. Mithin also die perfekte Bühne, um einmal über unsere Automobilität nachzudenken. 

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Vorhang hoch fürs Blechle

So etwas in der Art dürfte sich auch der Künstler, Philosoph und, legen wir die Karten gleich mal auf den Tisch, skug-Autor Kilian Jörg gedacht haben. Das Auto verfolgt ihn seit Kindesbeinen (sein Vater war Motorjournalist) und beschäftigt ihn immer wieder auch wissenschaftlich-künstlerisch. Zuletzt hat er mit »Das Auto und die ökologische Katastrophe« ein Werk vorgelegt, das schon im Titel verrät, dass Jörg die Sache mit der Automobilität dann doch eher kritisch sieht. Bei der interaktiven Show »Autodestruct me, baby!« am 9. Juli 2025 im Super Autodrom im Prater wurde dann auch aus diesem Buch zitiert.

Gemeinsam mit dem Team aus Schauspieler*innen, Tänzer*innen und Musiker*innen von Andother Stage verwandelte sich das Super Autodrom in einen Reflexionsraum über Autoabhängigkeit und Autogelüste. Dafür fährt zu Beginn einmal das Garagentor, von dem das Autodrom rundherum des nachts geschützt wird, runter, um sich dann gleich wieder, wie ein Theatervorhang, feierlich zu heben und den Blick auf die Bühne freizugeben. Den Beginn macht ein wildes Autoscooter-Ballett, bei dem die Darsteller*innen die Tanzbeine weit aus den Fahrzeugen schwingen lassen, um mit den Scootern, so gut es eben geht, zu tanzen.

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Ich will fahr’n, ich will Spaß

Kilian Jörg bezieht die Kabine des Fahrchipverkäufers und bittet das Publikum, sich zwischen die Scooter zu wagen. Der Balanceakt des Abends besteht darin, die jahrmarktüblichen Schau- und Erlebniswerte einerseits durchaus zu liefern, aber eben andererseits auch entsprechend zu verfremden. Lesungen aus dem Buch über die Klimakatastrophe und das Automobil machen deutlich: Wir stecken in einer problematischen Verschmelzung mit den Autos fest. Wo würde das deutlicher als hier? Mehr als zwanzig Fahrgeschäfte im Prater üben in verschiedener Form bereits mit den Allerkleinsten ein, wie geil das Autofahren ist. Und tatsächlich, es macht ja auch großen Spaß. 

Das Enssemble für choreografische Komposition rund um Brigitte Wilfing und Jorge Sánchez-Chiong hat genügend Freichips, damit alle Zuschauer*innen mal fahren dürfen. Hatten wir ganz vergessen, wie viel Spaß uns das als Kindern gemacht hat? Die angereiste Art Scene kann aus dem Ineinanderkrachen nun schwerlich tiefere Erkenntnisse ziehen als die üblichen Praterbesucher*innen, die nach handfester Unterhaltung suchen. Die sich übrigens ebenso eingefunden hat und von den deklamierten Reden und den elektronischen Klängen nicht abschrecken lässt. Kunstszene und typische Praterbesucher*innen finden zusammen und lauschen mal der üblichen Autodrom-Disco und dann wieder, wenn beispielsweise Isabella Forciniti an die Regler tritt, feinen experimentellen Klangwolken. Sogar Turntables wurden angekarrt, um unvorhersehbarere Sounds auf die Autoscooter-Bühne zu bringen. 

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Wir erleben die ewige Wiederkehr

Es ist nicht einfach, gegen den Praterbetrieb anzuinszenieren. Ein Scooter liegt wie ein riesiger toter Käfer vor dem Autodrom und gibt den Blick auf sein Fahrgestell preis. Das ist zumindest ein kurzer Hingucker, während es im Autodrom bald mehr Content gibt. Brauchen wir die blechernen Hüllen, damit das Auto der Ort ist, wo der Phallus wie im Uterus wieder zur Ruhe kommt? Etwas in der Art hatte sich Jean Baudrillard erhofft. Das Wiener Publikum erhält dies zumindest mal als Denkanstoß geliefert. Seltsam ist das schon, wenn da wer aus der Kabine Theoriefetzen über Automobilität durch den Prater wandern lässt. Wie viele dies ergreift und zum Nachdenken anregt? Hmmm, aber sie haben es zumindest mal gehört. 

Noch mehr Theatermittel werden eingesetzt. Zwei Darsteller machen den Car-Wash und führen unmissverständlich vor Augen, wie sexuell aufgeladen Autoputzen sein kann. Jetzt gibt’s was zu sehen! Befreit uns der Schock der Inszenierung von der Autosexualisierung? Vielleicht nicht. Und wenn die Maschinen anders eingesetzt werden? Spielerischer? Die Autos sind ja nun wirklich vorzüglich wendig, warum nicht mit ihnen Fußball spielen? Zwei Teams kicken gegeneinander und versuchen, den Ball mit den Scootern anzustupsen. Leider halten sich einige nicht so ganz an die Spielregeln und nehmen den Ball freimütig in die Hand. Fein, das ist lustig, zeigt aber wiederum nur auf, wie vielseitig die Mini-Autos sind. Man kann sie begehren und sie machen dann auch noch physisch Spaß. Diese Theaterbude ist nicht unbedingt moralische Anstalt. Aber es kommt besser.

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Können wir uns anders bewegen?

In den stärksten Momenten der Inszenierung wird das Publikum gebeten, reglos und mit geschlossenen Augen in den Fahrzeugen zu verharren. Erinnert ihr euch, wie schön die wildbewegte Fahrt war? Wie ihr es geliebt habt als Kinder? Aber riecht ihr die Schmiere, den Benzingeruch von den Go-Karts nebenan? Oder könnt ihr die Natur erahnen? Die Darsteller*innen halten als frechen Scherz »Wunderbäume« unter die Nasen der Anwesenden, die sonst unter Rückspiegeln von Taxis den Nikotingeruch übertünchen sollen. Aber dann schieben die Darsteller*innen ganz sanft die Fahrzeuge mit ihren Händen über die Bahn. Der eckige und aufbrausende Motor lässt sonst die Körper zucken, aber jetzt, mit menschlicher Kraft, werden die Fahrzeuge zu Sänften. Wir könnten uns doch friedlicher bewegen – nicht wahr? 

Bald dröhnt wieder die Musik durchs Autodrom. Aber jetzt soll richtig getanzt werden – als Menschen ohne Autoprothese. Steigt aus euren Fahrzeugen und »Reclaim the streets!«, ruft Kilian Jörg aus der Chipverkäuferloge. Die Tanzmucke erfasst die Anwesenden und sie tanzen auf den Trümmern der überkommenen Mobilität. Der SUV wird als »Subjekt und Verdrängung« verspottet und plötzlich gesellen sich Fahrräder dazu und nutzen den Raum des Autodroms nun friedlicher. Ein voller Erfolg also? Am Ende gibt es eine Abstimmung. Wollt ihr nochmal fahren oder weiter tanzen? »Wieder fahren!«, ruft es begeistert durch das Autodrom. Okay, ein Teilerfolg. So ist das eben, wenn das »Desaster wie Popmusik klingt«. 

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