Von 18. April bis 6. Mai 2013 zeigt das Österreichische Filmmuseum in Wien die bislang größte Retrospektive zum Schaffen Hanns Eislers als Filmkomponist. Mit dabei sind Klassiker von Jean Renoir, Fritz Lang, Alain Resnais, Douglas Sirk, Slatan Dudow, Joris Ivens, aber auch viele kaum bekannte Werke. Man kann diese eigenwillige Zusammenstellung auch als Teil der »internationalistischen« Filmgeschichte der 1930er bis 1950er Jahre betrachten, die nicht nur Eislers Biografie als Exilant und Remigrant illustriert, sondern die gesamte Ära charakterisiert.
»Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt«
Ein Pflichttermin ist etwa der legendäre Streifen »Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt« aus dem Jahr 1932. Das Agit-Prop-Meisterstück des Bulgaren Slátan Dudow, an dessen Drehbuch auch Bertolt Brecht mitgeschrieben hat, entstand unter hastigen und repressiven Bedingungen und hat sich bis heute eine schnörkellose Frische bewahrt. »Kuhle Wampe« springt unbekümmert zwischen Dokumentar-, Spiel-, Experimental- und Propagandafilm hin und her, auf Sozialanklage folgt Naturästhetik folgt Milieustudie folgen tendenziöse Bildmontagen. Für Eislers Filmmusik eröffnet das entsprechende Freiräume. Ruppig, fast bruitistisch die energische Untermalung von Kolonnen arbeitslosen Fahrradfahrern zu Beginn, leichtfüßig und schwärmerisch das Frühlingschanson. Am Ende natürlich das »Solidaritätslied«. Eisler zwischen Strawinsky und Weill – und trotzdem eine Klasse für sich.
»Hangmen also die«
Ebenso not to missed on a big screen sollte »Hangmen also die« (1943) sein, die unheilvolle Zusammenarbeit von Fritz Lang und Bertolt Brecht. Besonders die extreme Stilisierung der Nazis irritiert bis heute. Langs Mabuse-Nazis galten damals als Hollywood-Ûbertreibung, heute wundert man sich vor allem über die eigenwillige Diskrepanz zwischen realem und fiktivem Grauen. Auch die Oscar-Nominierung ist bemerkenswert, denn Eislers Filmmusik kommt eher spärlich zum Einsatz. Aber der Film endet mit dem Komintern-Lied, das für das amerikanische Publikum in die Widerstandshymne »No Surrender« umgewandelt wurde. Diese Szene, in der die von den Nazis zum Tode Verurteilten ihren Widerstandswillen bekunden, leidet ebenso wie Langs Mabuse-Nazis am falschen Pathos, ist aber nichts desto trotz überwältigend.
»A Scandal in Paris«
Wer es gerne süffisant mag, sieht sich »A Scandal in Paris« (1946) vom späteren Meister des Melodrams, Douglas Sirk, an. Es mag verwundern, dass Eisler die Musik zu dieser eher harmlosen Burleske über den französischen Meisterdieb Vidocq schrieb, die noch dazu in äußerst dezenter Lautstärke eingesetzt wurde, aber immerhin kann man die Kuriosität einer Art chinesischer Spieluhrmusik bestaunen und eine der beiden Filmheldinnen wird mit einer Musical-Einlage vorgestellt – bei einem Film der im Frankreich des 19. Jahrhunderts spielt! Aber es ist nicht alles bloß galante Nettigkeit hier. Dass der Titelschuft am Ende durch die Liebe zwar geläutert, aber in erster Linie aufgrund seiner Manieren bzw. blasierten Eleganz Aufnahme in die High Society findet, hätte wohl auch einen Pierre Bourdieu amüsiert.
»Bel Ami«
Eher eigenwillig ist auch die Verfilmung von »Bel Ami« (1955), nach dem berühmten Buch von Guy Maupassant. Der österreichische Film von Louis Daquin mit Johannes Hesters in der Titelrolle zeichnet sich durch einen schwülstigen, gedämpften Tonfall aus, so verwaschen wie die farbigen Ûberblendungen zwischen den Szenen. Tatsächlich steckt in der Geschichte des anfänglich naiven Frauenhelden, der bald herausfindet, dass Politik und Karriere auch im Boudoir gemacht werden, ein eigenwilliger Zynismus. Am spannendsten ist es vermutlich, sich diese Verfilmung im Vergleich zu der 2012er-Version mit Robert Pattinson und Uma Thurman anzuschauen. Eislers Musik kommt hier eher dezent zum Einsatz, gleichsam auch in einer verwaschenen Version.
»Herr Puntila und sein Knecht Matti«
Diese Brecht-Verfilmung von Albert Cavalcanti ist die dritte und letzte filmische Zusammenarbeit von Eisler und Brecht. Der Film, der gemeinhin als misslungen bezeichnet wird, ist dennoch sehenswert. Brechts holzschnitzartige Polarisierung war wohl bereits 1955 zu wenig glaubhaft. Wir sehen auf der einen Seite den aufrichtigen, über jeden Zweifel erhabenen Proletarier und Chauffeur Matti, auf der anderen Seite seinen versoffenen und also bourgeoisen Chef, der nur im Vollrausch den Arbeiter als Freund haben will. Regisseur Cavalcanti machte daraus eine Komödie der heillosen Ûbertreibung. Eingepasst ist die Geschichte in die gesungene Erzählung der drei Arbeiterinnen, die vom Gutsbesitzer im Rausch als Ehefrauen eingeladen und nüchtern wieder rausgeworfen worden. Hier sind womöglich die drei Hexen von »Macbeth« Pate gestanden. Dass bei Brecht und Eisler daraus eine volksnahe Variante wird, geht nicht ganz auf, dazu ist diese Intonation des Gesangs zu kunstgewerblich geraten. Dennoch zählt »Herr Puntila und sein Knecht Matti« zu den hörenswertesten Beispielen, exponierter gibt es das Spätwerk Eislers als Filmkomponist kaum zu hören.
Beschwingte Joris-Ivens-Vertonungen
Zu den Pflichtterminen zählen schließlich die Filme von Dokumentarfilmlegende Joris Ivens, vor allem »Regen« (1928) und »Neue Erde« (1933). »Regen« ist ein Filmgedicht, ein Stimmungsbild in 15 Minuten, die Geburt des impressionistischen Ivens, wenn man so will. Eislers Musik dazu gilt als sein kammermusikalisches Meisterwerk, entsprechend gibt es auch eine reine Konzertfassung, »Fourteen Ways to Describe Rain«. Sogar Schönberg zollte dieser in der Zwölftontechnik geschriebenen Musik Respekt (die aber nicht nach Schönberg oder Webern, sondern eben nach Eisler klingt). Aus heutiger Sicht womöglich sehenswerter ist »Neue Erde«, der Film über die niederländische Zuiderzee, die durch einen Dammbau zu Ackerland wurde. Ein damals beispielhaftes Projekt. Großartig auch heute noch zu sehen, wie sich der Film visuell zuspitzt, wie Ivens mit Wiederholung und Intensivierung und sogar spiegelverkehrten Aufnahmen arbeitet, um am Ende völlig den Tonfall zu kippen. »Die Ballade von den Säckerschmeißern« erklingt, weil die Erschließung dieses Ackerland angesichts der Weltwirtschaftskrise vorübergehend völlig nutzlos wird. Da das Großkapital das Spekulationsgut Getreide nicht verschenken will, vernichten die Bauern große Teile ihrer Ernte, während weltweit Menschen verhungern. Ivens als Filmpoet und Agitator gleichermaßen, das muss man gesehen haben. Die Musik dazu zählt zu den beschwingtesten Eintragungen in Eislers Filmregister, eine Art Spagat zwischen Chanson und reduzierter Sachlichkeit.
»Schicksal am Lenkrad«
Ebenfalls ein Geheimtipp ist »Schicksal am Lenkrad« von Aldo Vergano (Ö, 1954). In der ersten Hälfte des Films, wo der junge Bauernsohn und begeisterte Automechaniker Franzl keinen Job findet und ganz nebenbei die Situation der Jugendlichen in der österreichischen Nachkriegszeit thematisiert wird, könnte man glatt an einen Ableger des italienischen Neorealismus denken. Auch die Verquickung mit Journalismus und Marketing (in den 1950ern!) macht anfangs durchaus Sinn, aber gegen Ende des Films kippt die Sache in jene Lustspielheiterkeit und Zahnlosigkeit, die den österreichischen Film dann jahrzehntelang lähmen sollte. »Schicksal am Lenkrad« ist dennoch absolut sehenswert, nicht zuletzt wegen Eislers einfühlsamer Musik. Ein absolutes Highlight ist die Szene, in der Franzl das Auto stiehlt und sich auf heimliche Erkundungsfahrt begibt. In einem anderen Film und einem anderen Land wäre das eine oscarverdächtige Passage gewesen.
Komplettes Programm: www.filmmuseum.at