Philip Pollack im Gespräch mit unserem Autor Michael Zangerl beim Demokratie-Brunch im Grätzelmixer am 11. November 2024 © Frank Jödicke
Philip Pollack im Gespräch mit unserem Autor Michael Zangerl beim Demokratie-Brunch im Grätzelmixer am 11. November 2024 © Frank Jödicke

Ein Gesetz, um Kritiker*innen auszulöschen

Dank dem »Transparenzgesetz« der Fidesz-Partei stehen in Ungarn viele NGOs und Medien vor dem Verlust sämtlicher Bezüge. Eines der größten europäischen Antirassismus-Netzwerke, »United for Intercultural Action«, steht vielleicht vor dem Aus. Bis 21. Mai 2025 ist es noch möglich, sie zu unterstützen.

Das ungarische Parlament hat kürzlich ein Gesetz beschlossen, um die »Transparenz im öffentlichen Leben« zu fördern. Was auf dem Papier wie eine Maßnahme zur Korruptionsbekämpfung anmutet, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Versuch, eine Reihe an kritischen NGOs und Medien auszuschalten. Das International Press Institut (IPI) nennt den Gesetzesentwurf »die größte Bedrohung für die Pressefreiheit seit Jahren«. Das Vorgehen der Regierung Orbáns ist perfide – und kompliziert. Knapp heruntergebrochen ist es innerhalb der Europäischen Union die erste Anwendung eines Gesetzestypus, mit dem Putin ab 2012 gezielt Regierungskritiker*innen ausgeschalten hat: eine Policy zu »ausländischen Agenten«. 

Das ist nichts, was an den »Rändern der demokratischen Welt« passiert. Die Herangehensweisen der Fidesz sind Vorbild für Autoritäre in ganz Europa. Darüber sprachen wir mit Philip Pollack, dem Herausgeber des ungarisch-slowakischen Magazins »Kompromiszum« und Leiter des europäischen Antirassismus-Netzwerkes »United for Intercultural Action«. Er argumentiert: »Es ist wirklich, wirklich notwendig, dass die Europäische Union und zivilgesellschaftliche Organisation dies verstehen: Die EU wird bereits von Orbán beeinflusst. Wenn die EU weiterhin vor autoritären Maßnahmen kuscht, gibt es kein Halten, was ihr – die breite europäische Zivilgesellschaft – erleben werdet. Die FPÖ kopiert Orbáns Playbook seit Jahren. Was wird wohl passieren, wenn sie an die Macht kommt?«

Umgehen von Rechtsstaatlichkeit

Es lohnt sich also, beim »Transparenzgesetz« genauer hinzusehen. Formal erteilt es dem ungarischen Staat die Berechtigung, gegen »Missbräuche, die die Souveränität Ungarns ernsthaft verletzen«, vorzugehen. Doch was darunterfällt, bestimmt das letztes Jahr eingerichtete »Amt für Souveränitätsschutz«. Es ist notorisch dafür, politisch zu agieren. In einem Kommentar für den »Standard« monierte etwa die Forscherin Dorka Takácsy: »Das Gesetz zur Schaffung des Amtes konzentriert sich ausschließlich auf westliche Soft-Power-Methoden und betrachtet keine der Formen der Einmischung als Verletzung der ungarischen Souveränität, die beispielsweise aus China oder Russland stammen. So blieb das Amt beispielsweise bei einem Hackerangriff auf die Netzwerke des Außenministeriums durch Putin-nahe Hacker völlig untätig.« Das »Amt« ist – formal – keine Behörde. Seine Beschlüsse sind daher auch nicht vor Gericht anfechtbar. Vielmehr soll es bloß »Vorschläge« an die Regierung richten, die diese per Dekret umsetzt. Kurz: Die Existenz des Amtes erlaubt es, rechtsstaatliche Verfahren zu umgehen. 

Der aktuelle Gesetzesentwurf ist eine erschreckende Verschärfung dieser juridischen Konstruktion. Es sieht vor: Die Regierung kann alle Vereine, die Gelder aus dem Ausland beziehen und versuchen, das öffentliche Leben irgendwie zu beeinflussen, auf eine »Schwarze Liste« setzen. Nicht nur Großspenden von Milliardären. Sondern alle Gelder. Egal ob es sich um EU-Förderungen handelt oder 5 Euro einer Einzelperson. Auch lässt der Entwurf wenig Zweifel daran, wer auf dieser Liste landen dürfte: Unterstützer*innen von »Migrantenghettos«, »palästinensischen Organisationen« und »LGBTQ-Propaganda«. Und wer einmal auf der Liste ist, darf keine Gelder aus dem Ausland mehr annehmen, die nicht ausdrücklich behördlich genehmigt wurden. EU-Förderansuchen? Müssten vorab genehmigt werden. Von welcher Behörde? Das weiß man aktuell nicht. Spenden von Ungar*innen mit Doppelstaatsbürgerschaft? Müssten genehmigt werden. Gelder aus dem Inland? Gefährlich. Denn man müsste beweisen können, dass es sich wirklich um eine Inlandsspende handelt, sonst drohen hohe Strafen. Das 25-fache der Spende, zu zahlen innerhalb von 15 Tagen. Bei einem Event den Spendenhut herumzugeben, kann eine kleine Organisation künftig ins Grab bringen.

Gezieltes Abwürgen von Kritik

Das »Transparenzgesetz« soll am 21. Mai 2025 ratifiziert werden. Damit öffnet es politischer Willkür Tür und Tor. Es ist wie gemacht, um unliebsame NGOs und Medien finanziell auszuhungern. »Wir wissen nicht einmal, was wir tun müssten, um nicht auf der Liste zu landen«, stellt Philip Pollack fest. »Es ist unmöglich, sich davor zu schützen. Wir müssen – mit 100 Prozent Gewissheit – davon ausgehen, dass dieses Gesetz dazu gemacht ist, unseren Sektor auszulöschen. Es ist ein Kreuzzug gegen alle, die der Regierung unangenehm werden. Es ist ein Versuch, Medienakteure zum Schweigen zu bringen, die auch nur ansatzweise versuchen, die Regierung an ihre Rechenschaftspflicht zu erinnern.« 

Wie sieht das in der Praxis aus? Nehmen wir »United for Intercultural Action«, dem Philip Pollak als amtierender Direktor vorsteht. »United« ist eines der ältesten und größten europäischen Antirassimus-Netzwerke. Seit 1993 dokumentiert es Todesfälle an den europäischen Außengrenzen – 60.620 Menschenleben, and counting. »Das ist der größte bestehende öffentliche Datensatz dazu«, erklärt Philip. »Wir sind das schlechte Gewissen Europas.« Ihr Büro? In Budapest. Damit gilt das internationale Netzwerk als eine ungarische NGO. Der ungarische Staat hat damit zukünftig die Möglichkeit, »United« die Gelder einzufrieren. »Sollten wir auf der Liste landen«, erläutert Philip Pollak, »können wir unsere Tätigkeiten in Ungarn nicht aufrechterhalten. Wir könnten dort nicht mehr international arbeiten.« Er gesteht offen ein, dass er nicht weiterweiß. Muss er auswandern? »Es ist anders als bisher. Ich kann nicht sagen, welche Art von Handlung angemessen ist.« 

Umso wichtiger ist internationale Solidarität. »Wir sind von Unterstützung abhängig – durch Spenden. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, können wir nicht garantieren, dass wir sie erhalten.« Auch sei es notwendig, entschieden gegen die Regierung Ungarns vorzugehen. »Wenn Autoritäre sehen, dass solche Maßnahmen umsetzbar sind, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen, werden sie das Signal sehen. In ganz Europa. In den USA. Viktor Orbán ist der beliebteste Autokrat. Sein Einfluss kann fast nicht überschätzt werden. Etwas Gewaltiges kommt auf uns zu. Jetzt ist die Zeit, zusammenzustehen.« 

Bis 21. Mai 2025 ist es noch »gefahrlos« möglich, an »United« zu spenden. Danach tritt das »Transparenzgesetz« in Kraft.

Edit 20. Mai 2025: Kurz nach Veröffentlichung dieses Artikels hat uns folgendes Update von Philip Pollack erreicht: »Despite statements from Hungary’s governing Fidesz party throughout last week, the bill has not been rushed through parliamentary procedures. However, following the proposal’s passing in the parliament’s Judicial Committee on May 19th, it will be briefly discussed for amendments, after which MPs will hold their plenary vote on the matter on June 10th. It is fair to say that Fidesz’s supermajority in the house will adopt the bill without major changes or amendments.  From parliament the procedure moves to the country’s president, Tamás Súlyok, who will likely sign the proposal into law, and make it thereby pass into effect after three days. At the current best case scenario, we have until Friday the 13th of June to collect all of our foreign funding, after which we could become blacklisted by Hungary’s Sovereignty Protection Office.«

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