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Dream On. Zum Tod von Mark Bell.

Ein persönlicher Nachruf.

Dass Techno und seine diversen Verwandten nicht nur dem nächtlichen Entertainment dienlich sind ist allgemein nicht so bekannt. Leider. Jedoch kann Techno (wir nennen es nun der Einfachheit halber mal so) etwas sein worüber stundenlang im nüchternen Zustand philosophiert werden kann, ja es ist viel mehr als nur ein »fetter Beat, Alter«. Einige Fachdjangos nenne es dann gerne IDM – Intelligent Dance Music. Viele andere hören darin nur Krach oder bekommen es gar mit der Angst zu tun wenn diese vertrackte, zerschnippselte, auf den ersten Blick arythmisch bis kakophonisch anmutende elektronische Musik das erste Mal auf die Gehörgänge trifft.

Als Kind der Provinz hatte ich ebenso große Schwierigkeiten dieser Musik auch nur irgendetwas abzugewinnen. Aufgewachsen in einem 600-Seelen-Kaff war es mir unverständlich, dass neben Iron Maiden und Pearl Jam auch andere Musik ihre Daseinsberechtigung haben kann. Vor allem wenn es sich noch dazu um diesen aus Waschmaschinen, Toastern und Mikrowellen kommenden, mit billigen Fanfaren gepaarten, Baustellenlärm handelt. Das war doch nur etwas für die Typen die sich alle Jahre wieder im benachbarten Seeort mit ihren bis zur Unbrauchbarkeit verbauten Deutschen Kompaktautos treffen, die Bewohner aller umliegenden Gemeinden terrorisieren, und dabei besagten, sägenden Müll hören.

 

 

Dass Techno aber ein Kasten mit vielen Schubladen ist, die es Wert sind entdeckt zu werden haben mir dann vor allem zwei Acts gezeigt: Underworld und LFO. Der brachial süße Klang von Smith und Hyde auf der einen Seite haben ihre Faszination sofort auf mich übertragen. Das basslastige, psychedelische aber doch mit klaren Melodien gepaarte, dass LFO produzierten hat dieses Interesse an der Materie zunehmend verstärkt (und dazu geführt, nicht bei Underworld hängen zu bleiben). Mark Bell war Mastermind hinter diesen drei Buchstaben. Er war es, der gekonnt den Spagat zwischen Bass, Detroit, Acid und Rave spannen konnte. Nun, das war LFO Album Nummer eins, »Frequencies«. Das darauffolgende »Advance« war dann wieder etwas komplett neues, und beim ersten Mal verstörend – vor allem wenn man, wie ich damals, keine Wartezeit zwischen den beiden Alben hatte, ob des jungen Alters. »Advance« war somit der erste Kontak mit dieser IDM. Und Teufel war das spannend! Warp Records wurde somit zu mehr als nur einem Begriff und das Spiel »Jugend forscht« ging munter weiter. Der ganze Rattenschwanz an Warp-Acts wurde sichtbar und Aphex Twin war auf einmal auch nicht mehr der vermeintlich Irre mit dem Markerschütternden Blick. Auch Björk muss dabei erwähnt werden, wurde Mark Bell doch ab »Homogenic« ihr Haus- und Hofproduzent.

Zur selben Zeit habe ich schon Depeche Mode entdeckt gehabt und bin der Musik verfallen, mit allen Klischees die dazugehören (haters gonna hate!). »Exciter« war das erste bewusst und aktuell wahrgenommene Album der Briten. Dankbar für den Klang den Tim Simenon der schwierigen »Ultra«-Produktion verpasst hat, kam »Exciter« und da war auf einmal dieser Bass, jenes Element mit dem Bell am ehesten zu beschreiben war. Kitschig anmutend, war diese Platte aber nicht nur zum Kuscheln gemacht, sondern der perfekte Autofahrsoundtrack, die perfekte allein-daheim Kulisse, ein vor anfänglichem Pathos umhülltes musikalisches Ûberraschungsei das noch Jahrelang gepellt werden konnte. Das erste Mal wurde mir dabei bewusst, dass nicht die Spieler das Spiel schmeißen, sondern auch der Trainer einen doch nicht unwesentlichen Teil zum Gesamtpaket beiträgt. Auch heute noch ist »Exciter« ein Meisterwerk und es wäre keines, wenn Bell nicht den Sound diktiert hätte.

Mark Bell hat mir geholfen die Rolle des Produzenten zu verstehen (erst viel später wusste ich das Werk von Flood zu schätzen). Vor allem hat Bell aber einem verbohrten Teenie wie mir geholfen Musik, nicht nur elektronische, bewusster zu hören, mich damit genauer zu beschäftigen und die beim Musikhören gefühlte Emotion auf die nächste Ebene zu heben. Er war einer der Musikschaffenden, die mich in meiner heutigen Wahrnehmung von Musik geprägt haben. Und er hat mir die Türen zu vielen anderen, dem Techno auf den ersten Blick komplett fremden Genres geöffnet.

Mark Bell ist letzte Woche nach Komplikationen in Folge einer Operation verstorben. Er wurde 43 Jahre alt. Dream on.

 

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Text
David Višnjic

Veröffentlichung
14.10.2014

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