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»Die Vaterlosen«

In Marie Kreutzers erstem Spielfilm konfrontieren sich Geschwister bei einem ungeplanten Familientreffen miteinander und mit der Vergangenheit.

»Familie ist eben nicht nur, was rechtlich und biologisch behauptet wird, sondern was wir daraus machen«, schreibt Marie Kreutzer in einem Statement zu ihrem ersten Langspielfilm. Im Fall der »Familie« in »Die Vaterlosen« ist es noch ein bisschen komplizierter als etwa in einer durchschnittlichen Patchwork-Familie: Als sich nach jahrelangem Zusammenleben eine Hippiekommune auflöst, müssen erst die Kommunen-Kinder »auseinander geklaubt« werden. Bluttests bestätigen Vaterschaften, ein Bub entscheidet sich gegen seinen biologischen Zeuger. Ursprünglich fanden die Bewohner der Wohngemeinschaft Pärchenbildung überholt, irgendwann hatten alle genug von den Rivalitäten unter den BewohnerInnen und den endlosen Diskussionen um die Aufteilung von Hausarbeit und Kosten. Ein Mann und zwei Frauen und mehrere Kinder bleiben in der Ex-WG zurück. Später werden eine der Frauen und ihre Tochter rausgeschmissen. Noch viel später bleiben ein Mann und eine Frau in dem verfallenden Haus zurück. Die Filmerzählung setzt ein als dieser Mann im Sterben liegt. Was davor geschah, wird in bruchstückhaften Rückblenden, nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt.

Unfreiwilliges Familientreffen

Der Vater Hans (Johannes Krisch) liegt also im Sterben. Die längst erwachsenen Kinder kommen »nach Hause«. Nur einer der Söhne, Niki (Philipp Hochmair), trifft den Vater noch lebend an und hat die zweifelhafte Ehre, Zeuge dessen letzter Worte zu sein, es sind keine Nettigkeiten, die der Sterbende ihm widmet. Vorgestellt wird Hans also zunächst als Zyniker, im Lauf der Geschichte zeigt sich, dass dieser Mann von den vier Kindern ganz unterschiedlich beurteilt wird, dass sich die Vater-Kind-Beziehungen änderten – mitunter dramatisch. In den paar Tagen, in denen die Geschwister, deren Lebensabschnittspartner

und Hans‘ Lebensgefährtin unter einem Dach wohnen, werden alte Erinnerungen ausgetauscht, kommt es zu Streitereien und auch positiven gemeinschaftlichen Erlebnissen, bilden sich neue Allianzen und zerbrechen Beziehungen. Kurz: Es läuft das ganze Spektrum an sozialen Aktionen ab, die halt so zu einem filmisch inszenierten Familientreffen gehören. Nach und nach kommt auch ein dunkles Geheimnis ans Licht…

Tolles Ensemble und ein bisschen Klischee

Marie Kreutzer hat mit »Die Vaterlosen« ein beachtliches Filmdebüt geschaffen, das mit mehreren Awards ausgezeichnet wurde und ein veritabler Publikumserfolg ist. Die Gelungenheit des Films verdankt sich wohl nicht zuletzt dem speziellen Schauspielerensemble, das Kreutzer vor der Kamera versammeln konnte. Es sind DarstellerInnen aus der jüngeren Generation österreichischer Schauspieler, die meisten sind durch Kino- und TV-Produktionen auch dem nicht ins Theater gehenden Publikum bekannt. Hervorzuheben ist dabei keiner, und das ist positiv gemeint, niemand spielt sich hervor. Alle Charaktere sind als eigenständige Persönlichkeiten konzipiert, vielleicht manchmal ein wenig klischeehaft. Ein bisschen platt ist auch die Symbolik, etwa des verfallenden Hauses in einem engen Tal oder das Jackett des Vaters, das von einem, dann von einem anderen der nunmehr Vaterlosen getragen wird.

Keine Versöhnung

Im Gegensatz zu klassischen Familiendramen wie etwa Thomas Vinterbergs »Das Fest« arbeiten sich die Kinder nicht an einem ?bervater ab, demaskieren keinen monumentalen pater familias und auch das Familiengeheimnis ist kein so grausliches wie Inzest. Zwar kreisen die Gespräche und Rückblenden um den nicht greifbaren Vater (die Erinnerungen und Einschätzungen der Geschwister divergieren oft), doch geht es auch darum, die Verhältnisse der Hinterbliebenen zueinander auszuloten. Dabei wird einiges enthüllt, entdeckt, ausgesprochen, aber Kreutzer verzichtet zum Glück auf Seelenstriptease und »befreiende« Aussprachen, und stimmigerweise fehlt die gro&szlige Aussöhnung. »Einmal hört man auf, das Kind seiner Eltern zu sein«, hei&szligt es in einem ganz anderen Film*. Das könnte auch als Erkenntnis in »Die Vaterlosen« gelten, in dem Sinn, dass die familiäre Vergangenheit weder rückgängig gemacht noch erneut beschworen werden kann.

*Nämlich in: »Liebe Geschichte« von Klub Zwei. Üsterreichischer Dokumentarfilm 2011

»Die Vaterlosen«: Üsterreich 2011. Regie: Marie Kreutzer. DarstellerInnen: Johannes Krisch, Andreas Kiendl, Andrea Wenzl, Emily Cox, Philipp Hochmair, Marion Mitterhammer, Pia Hierzegger u.a.

Derzeit in österreichischen Kinos

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Text
Jenny Legenstein

Veröffentlichung
08.05.2011

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