Wir sind ja nicht immer ganz glücklich mit unserer Demokratie, nicht wahr? Zu oft wirkt sie für uns wie ein abgekartetes und sehr unbefriedigendes Spiel. Einer der Hauptbaufehler dieser unvollständigen, man kann sie gerne »bürgerlichen« Demokratie nennen, liegt hierin: Es entscheiden selten die, die es betrifft. Harry Rowohlt hat es einmal gut zusammengefasst: Bei Hausversammlungen stimme er immer gegen die Reparatur des Daches, weil er schließlich im Erdgeschoss wohne. Schlimmer noch, es ergehen ständig Befehle von Leuten, die zwar ihre eigenen Zwecke sehr genau kennen, aber keine Ahnung von der sachlichen Materie haben, an jene, die das dann ausführen müssen und es eigentlich viel besser wüssten. Besonders ärgerlich: Zwischen Befehlsgeber*in und Befehlsempfänger*in besteht fast immer ein monetärer Vermögensunterschied. Das ist es, was die bürgerliche Demokratie so unbefriedigend macht. Wer das Geld hat, schafft an, die anderen hecheln hinterher. Wider besseres Wissen muss ausgeführt werden, was letztlich allen schadet. Saublöd.
Was fehlt der Demokratie?
Aber hat die Demokratie unserer Tage nicht ein Versprechen im Gepäck, das allen Menschen Repräsentation garantiert? Und kann denn nicht letztlich über alles abgestimmt werden? Theoretisch sehr wohl, aber praktisch? Schon mal gegen zu hohe Mietpreise gestimmt? Gegen unerträgliche, ungerechte Vermögensverteilung? Nö. Über Besitz darf ohnehin nicht abgestimmt werden, denn wo-kämen-wir-da-hin? Als die Büros des Österreichischen Nationalrats unlängst ihren Ausweichsitz auf dem Heldenplatz einnahmen, wurden zuvor – als Schmuck des Gebäudes – Textstellen aus der Bundesverfassung angebracht. Als erstes hing da der Spruch: »Das Eigentum ist unverletzlich.« Eh klar, das Wichtigste zuerst, denn alle Besitzverhältnisse müssen bleiben wie sie sind. Amen. Damit ist dem gemeinsamen Entscheiden und Abstimmen weitgehend jeder Zahn gezogen. Das Gemeinwesen verkommt zur Farce, weil es Besitz einiger weniger ist.
Anton Pannekoek und Rosa Luxemburg haben dies vor über hundert Jahren klar erkannt, genau beschrieben und wollten der Ungerechtigkeit mit dem Errichten von Räten beikommen. Sie waren damals die linke, marxistische Avantgarde. Wohlgemerkt, Lenin und Trotzki waren es nicht. Die waren weitestgehend opportunistische, libertäre Machtmenschen. Was sie in der Sowjetunion errichteten, war nur eine etwas anders gelagerte Form von Kapitalismus, die Staat und Partei zu autoritären Unternehmern machte. Gerechtfertigt haben sie es damit, dass sie auf die eigentliche Weltrevolution noch ein bisschen warten wollten. Nun ja, die kam dann halt nicht. Luxemburg und Pannekoek aber wussten ganz genau, Sozialismus ist das nicht, was die Sowjets spielen, sondern ziemlich genau das Gegenteil davon. Genützt hat dies Wissen wenig. Rosa Luxemburg wurde erschossen und in die Spree geworfen, als sie sich bei ihrem Kampf um eine bessere Welt zu weit hinausgewagt hatte. Erschossen übrigens von jenen, die eine »bürgerliche Demokratie« errichteten, die sie, wohl aus Furcht vor den Sowjets, mit gewissen guten Ansätzen versehen haben. Anton Pannekoek wurde mit Vergessen bestraft. Dagegen geht das Papiertheater Zunder jetzt an und erzählt die Geschichte jenes Mannes, der sich die aufopferungsvolle Arbeit angetan hat, alles zu lesen, was Lenin schrieb, und dieses – uns Späteren zum Genuss – kritisch zu kommentieren. Vorhang auf!
»Pannekoeks Katze«
Wir schreiben 1918/19: Der Krieg tobt bereits das vierte Jahr. Hunger und Massenarmut sind Alltag. Eine dreiviertel Million Menschen beteiligt sich am Jännerstreik. Brot und Frieden wollen die Menschen. Wie in Russland. Dort ist die Revolution wirklich. »Lernen wir Russisch!«, wird zum geflügelten Wort. Im November 1918 implodiert das Habsburgerreich. Endlich Friede! Der österreichische Staat wird neu strukturiert. Arbeiter*innen organisieren sich in Räten, sie nehmen politische Entscheidungen selbst in die Hand. Nicht die Parteien sollen das Leben bestimmen, sondern die Menschen. Vier Aktivist*innen mischen sich ein und überschreiten die sozialen Grenzen. Sie übernehmen eine Ortschaft, um eine Räterepublik auszurufen, die Reichen zu besteuern und Güter umzuverteilen. Sie wollen eine andere Gesellschaft aufbauen. Hier und jetzt.
Das Wiener Papiertheater Kollektiv Zunder brennt für libertär-emanzipatorische Politiken und macht Theater an der Schnittstelle von Geschichte, Aktionismus und Medienkunst. Das Stück unternimmt den Versuch, das Unvorstellbare vorstellbar zu machen. Wie realisiert man eine Utopie? Wie funktioniert solidarische Selbstermächtigung? Und was kommt nach dem Aufbruch? Zwei Spieler*innen bewegen die Figuren und vier Sprecherinnen leihen ihnen und ihrer Geschichte eine Stimme. Zusätzliche Videoprojektionen, eingebettet im Bühnenbild, verdichten die Handlung. Wir werden Zeug*innen der Abläufe und Mechanismen einer historischen Bewegung, deren Diskurs aktueller nicht sein könnte. »Pannekoeks Katze« spaziert am 17., 19., 21. und 23. September 2018 im Rahmen der Wienwoche durch den 2. Wiener Gemeindebezirk. Mitgehen!