Foto © Hannes Böck
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Die Moderne transversal gelesen

Das Ausstellungsprojekt »art is: new art« macht sich auf den Weg, um die Spuren Arnold Schönbergs als Vordenker der Moderne in der Gegenwartskunst nachzuzeichnen.

Schon faszinierend, auf welch unterschiedlichen Koordinaten Ausstellungen aufbauen, die sich auf die Sphäre von Klang, Sound oder Komposition beziehen. Selbst die alte Rubrik »Musik und Kunst« mit Projekten in der Art wie »Wagner – Visions d’artistes: d’Auguste Renoir à Anselm Kiefer« (2009) in der Cité de la Musique in Paris spielt da noch eine Rolle. All die Sound-Art-Retrospektiven seit den 1990er Jahren hingegen reflektieren den generellen Medienwandel im Feld der bildenden Kunst, zumeist beginnend bei den italienischen Futuristen über Fluxus hin zu visuellen Aspekten neuer elektronischer Musik am anderen Ende der Parabel. Nicht zu vergessen die Personalen singulärer Figuren wie Christian Marclay oder – soeben in der Schirn in Frankfurt/Main – Yoko Ono, die sich souverän über tradierte Demarkationslinien zwischen den Zeichensystemen erheben. Zunehmend werden unter dem Paradigma von Sound als Signatur des medialen Zeitalters unterschiedliche Pole in Resonanzen zueinander gebracht, wie Medientheoretiker Frank Hartmann auf Marshall McLuhan rekurrierend argumentiert.
Einen sehr eigenständigen Weg nimmt in diesem Kontext »art is: new art« am Arnold Schönberg Center in Wien. Erstmalig beleuchtet die Ausstellung das breite Interesse an Schönberg in der Gegenwartskunst, in Malerei, Zeichnung, Video oder räumlichen Environments; nicht allein in musikbezogenen Werken und nicht nur zu Arnold Schönberg als einen der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, wie man spontan vermuten könnte, sondern auch zu Arnold Schönberg als Maler, als Erfinder und überhaupt Visionär und Triebkraft der Moderne. Dessen Persönlichkeit entsprechend setzt sich »art is: new art« deutlich vom herkömmlichen Format Musik- oder Soundausstellung ab.
Nicht fehlen darf in einem derart übergreifenden Aufriss die Arbeit eines Simon Starling (*1967, GB). Immerhin hat er bereits 2001 mit »Inverted Retrograde Theme« in der Wiener Secession konkret Schönbergs Zwölfton- Methode aufgegriffen, damit aber gleichzeitig die Moderne als Konstruktion an einem der Originalschauplätze thematisiert.

Die Moderne skelettiert
Ein Blick in den Rückspiegel erinnert, wie der Brite damals Muster der musikalischen und der architektonischen Moderne verschränkt und so einen Transfer zwischen Ideengeschichte und materieller Repräsentation vollzogen hat, was er jetzt im Schönberg Center neu aufrollt. Ursprünglich hatte Starling durch Interventionen in der Deckenkonstruktion die Secession in eine Halle mit industriellem Charakter überführt, dort zwölf Reihen Neonröhren per Zeitschaltuhr aufflackern lassen und zudem mehrere Klaviere durch analytisches Skelettieren auf typische Bestandteile reduziert, woraus sich Parallelformate zur Struktur der Zwölftonmusik und deren Aspekten von Spiegelung, Umkehrung und Translokation ergaben.
Naheliegend natürlich, dass Simon Starling jetzt davon Abstand nahm, vielleicht auch noch das Schönberg Center auseinanderzunehmen, dessen Architektur außerdem aus einer ganz anderen Zeit stammt. Es begeht soeben das Jubiläum seines 15-jährigen Bestehens. Im Rückblick auf das seinerzeitige Konzept wendet er Dekonstruktion und Analyse jetzt auf die eigene Vergangenheit an: Im Remake »Project for a Catalogue (A Retrograde Theme), 2013-2001« zeigt er am Schönberg Center in neuer Materialität Polaroids, eine Lichtskizze und annotierte Proofs aus dem Katalog der Secession, versehen mit visuellen Akzenten und eröffnet damit ein 48 neues Spiel aus gegenwärtiger Sicht. Naheliegend auch angesichts solch verschachtelter Echobewegungen, dass »art is: new art« keine leichten Häppchen zum schnellen Konsum auslegt. Warum auch? Schönbergs Intention wäre es nicht gewesen. Plakative »Erotik«, Nacktbesuche im Museum und Penisfestspiele, die selbst die naivsten »Heute«- LeserInnen ins Museum bringen sollen, gibt es ohnehin genug. Doch Achtung! Spaß machen darf die Kunst allemal! Die Freuden an kritischer Reflexion und Bildung müssen keineswegs in rigide Repetition irgendeines aufgepfropften Wissenskanons münden. Der Bereich, den der Minimalist, Systematiker und übrigens auch Musiker (The Red Krayola) Steven Prina (*1954, USA) gestaltete, überrascht und gefällt einfach: Grundsätzlich an kulturell relevanten Designkonzepten interessiert, reflektiert er Ideen Schönbergs auf graphischer Ebene, indem er den Kreis als Motiv etwa in Zwölfton-Scheiben und in Zeichnungen wie dem kuriosen Entwurf Schönbergs für einen Fahrschein der Berliner Verkehrs-AG in verschiedensten Variationen ausstellt und für ein eigenes Werk auch noch Schönbergs »Sechs kleine Klavierstücke« op. 19 heranzieht. Wirkt fast wie ein Ausflug ins Bauhaus.

Spielerisches Unterlaufen rigider Tradition
»Bildung« hingegen als disziplinierendes Instrument der Exklusion ebenso wie die Ideologisierung musikalischer Stile unterläuft Marina Rosenfeld (*1968, USA) seit jeher. Wo auch immer sie auftritt, changiert sie lässig zwischen den Genres. Im Zuge einer Vinyl-Night remixte sie in der Rolle der Klassik-DJane Schönberg. In der Ausstellung selbst läuft »Six Inversions« (2013), eine Zweikanal-Musikvideoarbeit, deren Entstehung eine Vorstellung davon vermittelt, wie sich Lesbarkeiten von Schönberg als ideelle Koordinate konstituieren. Eine Bewegung in Schleifen, die allgemeine Fragen kritischer Rezeption berührt. Denn bereits mit einer Performance zur Eröffnung der Whitney-Biennale 2008 zeigte Rosenfeld eine gehörige Portion Nonchalance im Umgang mit der Moderne. Ûber eine 16-Kanal-Steuerung hat sie in der 200 Meter langen Park Avenue Armory-Hall in der Upper East Side Bezug nehmend auf György Ligetis Orchesterwerk »Lontano« (1967) gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen »Teenage Lontano« aufgeführt. Ihnen wurde Ligetis Komposition per MP3-Player und Kopfhörer zugespielt, um das Stück frei nachzusingen, was Rosenfeld wiederum als Ausgangsmaterial für Live-Manipulationen am Laptop diente. Motiviert durch reflektierte Unlust, sich an verpflichtende Regeln der Wiedergabe zu halten, zielen Rosenfelds Projekte auf spielerische Subversion ab, wobei sie ihre eigene Rolle bewusst zwischen allen Stühlen belässt.
Nun recherchierte sie im Schönberg-Haus in Mödling bei Wien für ihre Videoarbeit in Kooperation mit dem Jazz-Pianisten Anthony Coleman, der übrigens schon als jugendlicher Chorsänger mit den »Gurre-Liedern« vertraut wurde. Hier also – an der Wiege der Zwölftonmusik – setzte sie sich selbst an den Ibach-Flügel aus Schönbergs Besitz, wobei dodekaphonische Originaltexte, dem Charakter nach eher unvollendete Skizzen, Diagramme und Fragmente von Arnold Schönberg die musikalische Basis für den freien Dialog und das ausschweifende, assoziative Spiel von Rosenfeld und Coleman bildeten. Die Geschichte jedoch wäre nur halb, würde sie nichts erzählen über die Sprünge zwischen dem Visuellen und der Musik, zwischen Notation und Schrift und nicht zuletzt zwischen dem algorithmisch Digitalen und dem Analogen, wie sie in der zeitgenössischen Kunst gang und gäbe, für Schönberg typisch und speziell für diese Ausstellung als Resonanzsystem der Medien grundlegend sind. Damit ein kurzer Schwenk auf biografische Spuren: Schönberg wurde bekanntlich 1933 von den Nazis vertrieben. Nach internationalen Engagements verließ er Berlin und emigrierte schließlich in die USA, wo er über Boston nach New York übersiedelte und sich dann in Los Angeles niederließ. Per E-Mail berichtet Marina Rosenfeld vom 49 Niederschlag seines Werks in ihrer Familiengeschichte, basierend auf einer Entdeckung in der Bibliothek ihres Vaters: eine Studie zu Schönberg, verfasst vom deutschen Musikwissenschaftler und Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt (1901-1988) aus den 1960er Jahren, versehen mit einer Vielzahl kritischer philosophischer Anmerkungen mit Bleistift durch Rosenfelds Großvater. Zwar soll dieser weder Gelehrter noch Musiker gewesen sein, immerhin aber leidenschaftlicher Autodidakt, der das Buch mit persönlich gefärbten Eindrücken und Recherchen beschrieben und so einen (analogen) Hypertext geschaffen habe. So wird plausibel, was Marina Rosenfeld unter Konvergenz der Medien versteht: Sie nimmt das Buch als ein Stück fixierter Geschichte wahr, um das sich an den Rändern der Seiten mäandernd ein Raum öffnet wie auf dem Computerbildschirm: ein Rahmen um den ursprünglichen Text, gezeichnet aus handschriftlichen Buttons.

Geschichtskonstruktion als Bühne
Als »Inversion«, also Umkehrung, nimmt sie in ihrem Video nun unterschiedliche Rollen ein: als Leserin, als Musikerin, als Komponistin oder Arrangeurin. Damit endlich führt der Weg zurück zu Schönberg und der Struktur der Ausstellung »art is: new art«, die von Schönberg als Künstlerfigur mit verschiedenen Identitätsmustern ausgeht und die Annäherung über Parallelformate vollzieht. Außerdem verlinkt »art is: new art« die aktuellen Arbeiten mit Originalen Schönbergs. In der Malerei im Bereich von Silke Otto-Knapp (*1970, D) etwa. Deren Augenmerk gilt den jeweiligen Bedingungen für Raumdispositive in Malerei, Bühne oder performativen Kunstformen. Unter anderem präsentiert sie nun Schönbergs Ölbild »Nachtstück [II]« aus dem Jahr 1910 aus einer Reihe von Nachtlandschaften und Landschaftsbühnen. In inhaltlicher Nähe dessen agiert Florian Pumhösl (*1971, A), wenn er in abstrakten Bildern einen analytischen Zugang zu Schönbergs Raumvorstellungen sucht, die er aus den Bühnenskizzen für das von zionistischen Ideen beeinflusste Sprechdrama »Der Biblische Weg« (1926-27) extrahiert. Das Stück ist in Wien erst 2001 im Rahmen der Festwochen zum ersten Mal aufgeführt worden.
Was bei Pumhösl Rekonstruktion im Sinne einer Erweiterung ist, manifestiert sich bei Mathias Poledna (*1965, A) als Re-Inszenierung von Geschichte an Hand eines konkreten Objekts, wobei dessen Beitrag auf der Rekonstruktion eines 1911 von Arnold Schönberg entworfenen Schrankes basiert, was Poledna mit einer musikalischen Cover-Version vergleicht, damit aber auch Schönbergs Verbindung zu Adolf Loos herausarbeitet. Natürlich ließe sich fragen, ob es sich dabei nicht jeweils um sentimentale Rückbezüge handelt. Allerdings konzentrierten sich die beiden Kuratoren Christian Meyer und Edek Bartz nach historischen Ausstellungen zu Leben und Werk Schönbergs nun tatsächlich auf allerneueste Werke der Kunst. Selbst für Marcel Odenbach (*1953, D) gilt dies. Auch wenn sein Stoff für Collagen aus bekannten Schönberg-Fotos und künstlerischen Werken aus dessen Lebensumgebung besteht, darunter ein Selbstportrait Richard Gerstls von 1902, wo dieser sich, auf seine innere Qualen hindeutend, mit nacktem Oberkörper malte. Pawel Ksiazek (*1973, PL) wiederum interessiert in seiner Malerei das Phänomen der Erinnerung als Konstruktion zwischen Fiktion und Realität. Seine Bilder sind Teil eines Zyklus mit dem Motiv der Hände als symbolischem Schöpfungsgestus, unabhängig davon, ob es sich um die Anatomie von ArbeiterInnen, KünstlerInnen oder MörderInnen handelt. Für Ksiazek ist Malerei Bildhauerei im Sinne eines erweiterten Begriffs von Skulptur.
Lediglich die Arbeit von Rodney Graham (*1949, CAN) könnte Insidern bekannt vorkommen, doch bezieht sie sich mit einem von Graham selbst komponierten Loop für eine Spiellänge von fast 39 Milliarden Jahren auf Schönbergs Abhandlung »Parsifal und das Urheberrecht« (1912), die das Schönberg Center 2008 erwerben konnte. Ginge man nur von Neuem aus, wiegt dies zweifellos die Konzeptkünstlerin Hong-Kai Wang (*1971, TW) auf, wenn sie in einem wirklich ganz neuen Video vor dem Hintergrund von Schönbergs Biografie die Lebensund Arbeitsbedingungen von in Wien lebenden KomponistInnen aus verschiedenen Ländern an Hand von Phänomenen der Emigration und der Migration bearbeitet, wobei die Interviewten ausgewählte Statements in Kompositionen mit Sprechgesang interpretieren. Tatsächlich also handelt es sich um kein Projekt, das sich so im Vorübergehen einfach mitnehmen ließe. Aber warum auch. Es ist eine spannende Spurensuche, die Flächen öffnet hin zur Figur Arnold Schönberg und in aktuelle Konzepte der Kunst. Der Titel »art is: new art« stammt übrigens aus einem schriftlichen Statement Schönbergs zu einer Debatte über den kulturellen Stellenwert moderner Kunst, 1949 an der California School of Fine Arts: »Kunst ist für mich: neue Kunst. Das, was nie zuvor gesagt oder getan worden ist – nur das kann Kunst sein.«

»art is: new art«. Reflexionen zu Schönberg in der Gegenwartskunst
Sonderausstellung am Arnold Schönberg Center bis 30. Juni 2013

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