Ian MacKaye © Manfred Rahs
Ian MacKaye © Manfred Rahs

Die Exaktheit des Ausdrucks

Vor 30 Jahren veröffentlichten Fugazi ihr grandioses Album »Repeater«. So wenig gealtert die darauf artikulierte Power klingt, so wenig überholt lesen sich die Statements im skug-Interview von 1990. Hier also noch ein legendärer Beitrag aus skug #1, im Jubiläumsjahr erstmals online zu lesen.

Das poppige Spiel mit Image und Bühnenpersonae mag immer wieder inspirierend und strategisch vielversprechend sein. Aber auch ein bewusster Verzicht darauf, ohne Rückfall in rockistische Authentizitätsallüren, kann ungeahnte emanzipatorische Energien freisetzen. »Repeater« darf als Klassiker der Konsumkritik gehört und gelesen werden: von »Merchandise« (»You are not what you own!«) über »Greed« bis »Blueprint« mit seiner Maxime »Never mind what’s been selling, it’s what you’re buying!« 30 Jahre später muss immer noch explizit darauf hingewiesen werden, dass das Private bzw. Persönliche politisch ist und Politisches jederzeit jede*n persönlich angehen kann. Fugazi waren glücklicherweise »keine Heiligen«, wie Joe Lally im Interview mit Rainer Krispel meinte. Aber sie blieben vorbildlich in Sachen DIY-Pragmatismus, gerade in den 1990ern, zwischen Major-Vereinnahmungen und Tour-Sponsoring-Verlockungen. Ian MacKaye: »Was du sagst, bedeutet nichts, was du tust, ist wichtig.« Fugazi taten das Wichtige. Ihre Musik blieb spannend. Dass sie sich nie offiziell auflösten, sondern nach einem letzten großartigen Album »The Argument« die gemeinsamen Aktivitäten ab 2002 einfach auf Eis legten, mag ins Bild dieser unbestechlichen Band passen. Dischord Records hält derzeit bei knapp 200 Veröffentlichungen. Und bevor allzu nostalgische Gefühle aufkommen sollten, sei an das tolle, heuer erschienene Coriky-Album von Ian MacKaye, Joe Lally und Amy Farina erinnert sowie ein Fugazi-Ratschlag von bleibender Gültigkeit zur Lektüre mitgegeben: »You can’t be what you were, so you better start being just what you are.«

Originaltext in skug #1

Fugazi – I’m not playing with you

Die Band, die jede/r kennt und liebt, weil sie nun endlich auch den Massen eine Spielform zugänglich gemacht hat, von der eigentlich eh schon immer alle überzeugt waren. Das Drängen, Stoßen und Ziehen um Fugazi ist groß, doch sie werden von ihrer Geschichte, Haltung und der Kraft der Musik vor einem Verlust (Verkauf) der Identität bewahrt, was den nötige Entscheidungs- und Handlungsfreiraum offenhält.

Das erste Fugazi-Demo enthält ein Stück namens »Furniture«, in dem es heißt: »You already know where I’m coming from.« Dieser Satz deutet bereits eine Stärke Fugazis an – ihre Geschichte und ihre Verankerung darin. lan MacKaye spielt zu Beginn Bass bei den Slinkies, aus denen im September 1979 die Teen Idles werden. Sie zählen zur ersten Generation der Washington D.C. Hardcore Bands. Um ihre EP »Minor Disturbance« veröffentlichen zu können, gründet er nach Auflösung der Teen Idles gemeinsam mit Jeff Nelson das Dischord Records Label. Erklärtes Ziel ist die Dokumentation der eigenen Musik sowie die der Freunde, und zwar auf eine Art, die allen Beteiligten größtmögliche Fairness garantierte – sprich auch für den Konsumenten niedere Preise. Keinen Bullshit, also auch keine Presse-Kits oder -Bemusterung, sondern pure Musik, pure Haltung.

»Flex Your Head« ist die erste LP des Labels und dokumentierte die frühe Washington D.C. Szene. Heute hält Dischord bei 47 Veröffentlichungen und immer noch gelten die gleichen Grundsätze. Als sich die Teen Idles auflösen, lässt Ian MacKaye den Bass Bass sein und übernimmt das Mikrophon. Minor Threat formieren sich und definieren, obwohl lan MacKaye den Begriff alles andere als schätzt, Hardcore mit. Minor Threats Bedeutung bleibt, außer vielleicht in einigen europäischen Hardcore-Kreisen, auf Amerika und dessen Untergrund »beschränkt«. Dort sind sie allerdings massiv präsent, so unterschiedliche Musiker wie Mudhoney und David Grubbs von Bastro geben sie als Einfluss an. Für ihre Haltung gilt ähnliches, die Posse Rock’n’Roll und ein entsprechender Lebensstil kommt nicht einmal verfremdet vor – Menschen, die Musik machen, Punkt.

Vieles von der Exaktheit des Ausdrucks Fugazis geht auf die Erfahrungen Minor Threats mit Mechanismen der Vereinnahmung bei den Songs »Straight Edge« und »Out of Step« zurück. lan MacKaye: »Eine Sache, die wir als Fugazi definitiv vermeiden wollen, ist, einfache Antworten zu geben, zu sagen, dieser Song ist darüber und dieser darüber. Niemals werden wir so etwas in einem Interview sagen. Bei Minor Threat habe ich gelernt, dass du versuchen kannst, einen Song so direkt wie möglich zu halten, eine Million Interviews darüber geben kannst, sogar versuchen, den Song auf Platte zu erklären, er würde immer noch missinterpretiert werden, they would still verstehen nicht.«

Ian MacKaye © Manfred Rahs

Fugazi lassen dem Hörer und Zuseher die Wahl bzw. die Freiheit des Interpretierens, nehmen sich dafür jedoch ebenso die Freiheit, sich zu seinen Reaktionen zu äußern und seine Erwartungshaltung zu kommentieren. Kommt ihnen jemand wirklich dumm, stehen sie nicht zurück, darauf zu reagieren – ein besonders stupider Bonehead im Wiener Publikum kommt so zu dreifachen »Fuck you!«-Ehren. Punk-Rock! »Für mich ist unsere Musik immer noch Punk-Musik. Es gab eine Menge positiver Energie im frühen Punk.« Allerdings – selbstverständlich – deklariert er sich oder gar die Band nicht tatsächlich als Punk oder Punk-Band, weil es zu viele unterschiedliche Definitionen davon gibt und eine Schubladisierung bedeutet. Dementsprechend ist auch die Einleitung zur zweiten Beefeater-LP (»This is lan MacKaye of Dischord Records, thank you for choosing this Hardcore product.«) zu verstehen: »Es ist ein Witz. Weißt du, was diese Geigen im Hintergrund sind, die Geigen, diese schmutzige Musik? Es ist ›Steppin’ Stone‹. Hardcore? Für mich waren Beefeater wirklich anders, auch Rites of Spring waren anders.«

»Steppin’ Stone« erscheint ursprünglich auf der zweiten Minor Threat-7″ 1981 und wird so etwas wie ein Standart-Cover fast jeder frühen D.C. Band. Mit Beefeater und Rites of Spring fallen die Namen zweier zentraler Dischord Bands, aus denen sich später mit Brendan Canty (Drums), Guy Picciotto (Vocals, Guitars) von Rites of Spring und Joe Lally (Bass) aus dem Beefeater-Umfeld Fugazi formieren. Für die neue Band lässt sich jeder Beteiligte Zeit. »Diese Band kommt besser miteinander aus als alle anderen Bands, in denen ich bis jetzt war. Wir waren vor zwei Jahren in Europa, bevor wir eine Platte hatten. Wir tourten hier und in Amerika. Wir wollten dadurch der Band eine Chance geben, eine Band zu werden, uns kennenzulernen, um einem Ian-MacKaye-Projekt auszuweichen. Wir hätten bei Enigma unterschreiben, uns als Ex-Minor-Threat vermarkten lassen können. Wären wir darauf eingegangen, um größer zu werden, hätte es uns tatsächlich zurückgehalten.«

Außerdem ginge auf diese Weise die Kontrolle verloren, ein Umstand, den die eigene Plattenfirma am besten gewährt und eine weitere ihrer Stärken ausmacht, was – andersherum – Fugazi wieder die wachsende Popularität gelassener nehmen lässt. Auch oder gerade wegen der aufkommenden Ausverkaufsschreie. »Wichtig ist, dass wir uns selbst ausdrücken, wie, wann und wo wir wollen, und dass wir uns um alles kümmern. Zu viele Leute messen dem, was du sagst, zu große Bedeutung bei, und sie wollen, dass du bestimmte Dinge sagst, dich mit bestimmten Dingen verkündest. Aber: Was du sagst, bedeutet nichts, was du tust, ist wichtig. Wir werden von einer großen Menge sogenannter alternativer Untergrund-Leute beschuldigt, uns auszuverkaufen usw. Ich denke, sie können unsere Platten durchchecken, wie wir handeln und was wir tun, und dann sollen sie verdammt ihren Mund halten. Wir kümmern uns wirklich sehr darum, wo wir spielen, wie wir spielen, für wieviel Geld wir spielen und um die ganze Situation …«

Guy Picciotto © Manfred Rahs

Fugazi selbst und die Bands der Mitglieder vorher haben eine Unmenge »kleiner« Konzerte gespielt. Aus der langen Geschichte heraus ist Fugazi die Substanz der Ideen, die dieselben Leute schon seit Jahren immer wieder neu und immer umfassender formuliert haben. Daraus ergeben sich Anspruch und Praxis als eine weitere Konstante der Band. Die in einem Embrace-Interview gemachte Aussage »We’re back fighting the bullshit« gilt nach wie vor, effizienter und wirkungsvoller denn je. So haben sie etwa in D.C. selbst seit Jahren kein Konzert gespielt, das nicht ein Benefiz für Frauenhilfsgruppen, Obdachlosenorganisationen oder für ein Sozialversicherungssystem gewesen wäre. Sie setzen dem Wahnsinn, dem amerikanischen im Besonderen, kleine, wirkungsvolle Schritte entgegen und sind nicht so naiv, zu glauben, an großen Zusammenhängen etwas verändern zu können – »to change the big picture« – sondern verändern ihre Umgebung, lassen ihr Geld für ihre Ideen arbeiten. Musik als Eingreifen.

Eingreifen ist auch wirklich nötig, einer politischer werdenden Ausprägung von Musik folgend, die in D.C. im sogenannten »Revolution Summer« um 1985 beginnt, jener Phase, aus der die schon erwähnten Bands wie Rites of Spring, Beefeater und Embrace stammen. Einhergehend mit einer musikalischen Öffnung werden die Statements und Aussagen der Bands in größere Zusammenhänge gestellt und der Begriff »Emocore« geprägt, der auf einer unsinnigen Trennung von politischen und persönlichen Texten beruht und hauptsächlich auf D.C. Bands angewendet wird, was umso unsinniger ist, als Embrace- und Beefeater-Texte eigentlich sehr klare, deutliche Statements sind. In dieser Zeit etwa überzeugt Tomos Squip Janes von Beefeater in nächtelangen Diskussionen lan MacKaye vom Vegetariertum.

»Jeder sagt, dass Embrace-Texte so persönlich gewesen wären. Ich hingegen finde, dass das einige der politischsten Texte waren, die ich jemals geschrieben habe. Wie kann ein Lied wie ›Money‹, ›Said Gun‹ (›If you have to fight then fight the violence that rules your life‹) oder ›No More Pain‹ nicht politisch sein? Ich mache keine Trennung zwischen Politik und persönlichen Dingen. ›No More Pain‹ sagt: Your emotions are nothing but politics. Ich sehe keinen Unterschied. Wir kommen aus Washington D.C. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Washington D.C. ist eine Industriestadt wie so viele Städte, es gibt welche, die haben Minen, manche haben Autofabriken, manche sind Unterhaltungszentren, Washington hat ein Geschäft: die Regierung. Ich erlebe das Regieren als Geschäft, es ist nur ein Job für die Leute und jede Industrie hat ein erstes Ziel – sich selbst zu etablieren, sich selbst am Leben zu erholten. Regieren unterscheidet sich nicht so sehr von anderen Dingen, es ist nur ein Beruf. Unglücklicherweise ist er jedoch in einer Position, von der aus die Leben der anderen Menschen kontrollierbar sind und tatsächlich auch kontrolliert werden, genauso wie die Medien oder Unterhaltung und eine Menge anderer Dinge. Ich habe nicht hier Politik und anderswo alles andere. Es ist ein Ding, alles gehört zusammen. Politisch handeln heißt, sich um sich selbst zu kümmern. Die schlimmsten Heuchler, die ich je getroffen habe, waren Leute, die Slogans verwenden, ohne je auch nur einen davon auf ihr Leben anzuwenden.«

Joe Lally © Manfred Rahs

Fugazi blicken in das Wesen von Dingen, in ihr Funktionieren, in ihre Mechanismen und in die immer wieder allzu menschlichen Gründe und Motive, ohne jedoch zu moralisieren. Sie fordern nichts, sie setzen uns nur Fugazi vor, ihren Prinzipien, nennen wir sie ruhig Liebe und Gerechtigkeit, getreu. »Everything you point at points straight back to you« singt Guy Picciotto mit One Lost Wish. Dieser Wahrheit folgen Fugazi konsequent, sie zeigen auf nichts, sie zeigen nur ihre Sicht der Dinge, ihre Art zu arbeiten, zu leben und heben für sich die Trennung Musiker/Leben, Musik/Kunst auf, auch wenn das Publikum oft Schwierigkeiten hat, das nachzuvollziehen. lan MacKaye wird schon halbgottartig verehrt, eben weil die meisten den Menschen hinter dem Image nicht sehen oder nicht sehen wollen?! Oder vielleicht, weil auch dort die Aufforderung dieser Musik liegt, selbst zu agieren, und sei es »nur«, zu tanzen, selbst teilzunehmen, Stellung zu beziehen.

Fugazi haben Lösungen, aber es müssen nicht die deinen sein, niemals. Sie wissen, dass Gedanken und Ideen, besonders ausgeführte, gelebte, wichtiger sind als Bands, Musik oder Images. Fugazi vermögen nicht nur, damit zu leben, sie heben auch den Widerspruch zwischen ihrer Betonung von Kontrolle und ihrer Rage, Ekstase auf der Bühne auf. Dort wird klar, dass sie eine Einheit sind, ein Ganzheitsmodell. Interviews und Medien sind nachrangig in ihrer Welt, wenngleich sie auch mit größter Genauigkeit gegeben werden. Wirklich zählt der Moment, in dem Publikum und Band direkt aufeinandertreffen, gleichberechtigt und zu gleichen Teilen verantwortlich, wenn die vier als ein Körper, eine Einheit agieren und reagieren, intuitiv, weil sie einander genau kennen und die Umstände so weit wie möglich selbst bestimmen. Jeder soll Gelegenheit haben – und darum die Hallen! –, sich sein Bild zu machen, und jeder ist Fugazi recht und teuer und wird, falls für sich behalten, unwidersprochen bleiben. »Das ist 1990 und was wir jetzt haben, ist ein echtes Mischmasch, alle möglichen Arten von Ideen, Leute, die sich in die Zukunft bewegen wollen, Leute, die in der Vergangenheit leben, und, Gott sei Dank, viele Leute, die jetzt leben, who are trying to get on with the world.«

Trying to get on with the world. Ich denke, das tun sie, wenn sie alle Einkünfte aus dieser Tour nach Abdeckung der Unkosten ihrem Tour-Organisator Dolf Hermannstädter samt einer Liste von Organisationen, denen er sie zuführen soll, überlassen. Fugazi reden und handeln. Ganzheitlich. »Wir sind keine Heiligen.« Man hätte Joe Lally deutlich widersprechen müssen, auch auf die Gefahr hin, dass er – selbstverständlich – den Widerspruch nicht unwidersprochen hingenommen hätte.

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