Georges Gachot in Rio, nicht im Bild: João Gilberto © Stéphane Kuthy
Georges Gachot in Rio, nicht im Bild: João Gilberto © Stéphane Kuthy

Der Sehnsucht auf der Spur

Das Geheimnis von João Gilberto wird wohl niemals gelüftet werde. Oder? In dem Buch »Hobalala« von Marc Fischer wird der Mythos des Brasilianers nachgezeichnet und neu konturiert. Im Film »Wo bist du, João Gilberto?« von Georges Gachot geht die Suche weiter.

Marc Fischer, deutscher Journalist und Autor, beging eine Woche vor der Erstveröffentlichung seines Buches Suizid (um eine gut mögliche Verwechslung zu entgehen: es handelt sich nicht um Mark Fisher, Kulturwissenschaftler und ebenfalls Autor im Bereich von Popkultur und Musik, ebenfalls früh suizidiert). Weder hielt er es lange auf der Welt aus, noch konnte er seinen großen Wunsch erfüllen: die brasilianische Bossa-Nova-Legende João Gilberto persönlich zu treffen und ihn singen zu hören. In »Hobalala« (Suhrkamp) geht er in Sherlock-Holmes-Manier den verschiedenen Spuren nach, die der seit mehr als 30 Jahren in völliger Zurückgezogenheit in einem Hochhaus in Rio lebende João Gilberto hinterließ, um an ihn heranzukommen. Er schreibt Briefe, trifft ehemalige Freunde und Wegbegleiter wie den Musiker Marcos Valle, Geliebte, einen Yogi. Doch scheint es, als jage er einem Schatten nach, den zu fassen ihm nicht vergönnt ist. Man fragt sich: »Was geht dich das an?« Nun ja, schwer zu sagen. Und trotzdem kann man sich der magischen Anziehungskraft der Mythengestalt kaum erwehren. Seine Rätselhaftigkeit, die aus den vielen Geschichten klingende Verschrobenheit und der aus der Musik erklingende, unendlich große Charme machen aus ihm einen der wohl anziehendsten Pop-Künstler unserer Zeit. Doch wer er ist, was mit ihm passiert ist, weiß wohl kaum jemand.

Autor Marc Fischer vor dem MAC in Rio de Janeiro © Stéphane Kuthy

Schluss mit der Sehnsucht
Die Musik Gilbertos, die Bossa-Nova, spricht von Sehnsucht, Liebe, Leid und dem Verlangen nach dem Glück. Leise, fast flüsternd und verletzlich löste er den tieftraurigen Samba ab, brachte eine neue, moderne, nach Wahrheit suchende Poesie in die Musik Brasiliens und verzauberte damit ganze Generationen. Wer heute in Rio seinen Namen hört, der hat jedoch ein anderes Bild von ihm. Nämlich das eines alten Mannes, der »plemplem« sei, dessen Gestalt man wegen seiner Ablehnung aus Frust sogar mit Aggressionen begegnet – und trotzdem für den größten Künstler des Landes hält. Was man über João erfährt, erfährt man nur aus Gerüchten oder über Ecken, aus obskuren Quellen ehemaliger Wegbegleiter. Z. B. ist da ein ehemaliger Koch, welcher ihn über fünf Jahre bekochte, jedoch nur aus hunderten Stunden am Telefon kennt, ihm also nie persönlich gegenüberstand. Sein geliebtes Steak wurde ihm von einem Boten überbracht, die Bezahlung fand unter dem Türschlitz statt. Da werden dann auch Satzschätze geborgen wie: »João isst nur Gegrilltes.« Das ist gut zu wissen. Das Buch von Marc Fischer zeichnet ein modernes Märchen. Es ist sicher viel Wahrheit darin enthalten, in den vielfarbigen Geschichten und Anekdoten, die in der Gestalt Gilberto zusammenlaufen. Es zeichnet den Mythos eines Pop-Giganten, wie er uns so heutzutage nur mehr selten erhalten bleibt. Gerade die Spannung macht es aus, das ständige Herantasten wie eine Katze, und dann, beim Zugriff, ist man doch nur einem Schatten hinterhergejagt.

Gachot auf der Suche, Gilberto ist hier nicht zu sehen © Stéphane Kuthy

Lust will Herzeleid
»Wie ist das, wenn man nur nachts lebt? Man hat die Welt für sich, man setzt seine eigenen Lichter, alles andere wird ausgeblendet. Man selbst entscheidet, was oder wen man sehen will. Was für ein Zustand ist das? Ewige Depression oder ewiger Frieden?« (Marc Fischer, »Hobalala«, Suhrkamp)

… fragt sich der Autor des »Detektivromans«, Marc Fischer, selbst. Dieser hat, nicht zuletzt aufgrund seines überraschenden Suizides, etwas zutiefst Tragisches. Auf der Suche nach Gilberto geht er zugleich auch dem Wesen seiner eigenen Person nach, seinen eigenen Sehnsüchten, und mit jedem Detail aus dem Leben Gilbertos scheint auch ein Teil seiner eigenen Persönlichkeit ans Licht zu kommen. Auf die Suche nach Gilberto, die Suche nach der Sehnsucht, geht auch der Filmemacher Georges Gachot in seinem neuen Film. Dieser ist zwar nach dem brasilianischen Musiker benannt, bezieht sich jedoch vordergründig auf die Arbeit von Fischer, dessen Werk wesentlich mehr Beachtung geschenkt wird als dem Gilbertos. Herauszufinden, was Fischer antrieb, ist auch Gachots Ziel. Seine »unabgeschlossene« Aufgabe, Gilberto zu finden, ist sein Ausgangspunkt, um Marc Fischer zu finden. Oder anders: Es ist ein Film auf der Grundlage des Buchs von Marc Fischer, hat aber längst nicht mehr nur zum Ziel, das Wesen João Gilberto zu erkunden.

Gachot mit Gilbertos Manager, aber ohne Gilberto © Stéphane Kuthy

Gilberto der Übermensch
Im »Zarathustra« schreibt Nietzsche: »Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid!« Das heißt es zu akzeptieren, in all seinen Facetten. Doch Gachot hat das nicht verstanden, hat nicht verstanden, worum es dabei geht. Oder doch?! Indem er im Film eine doppelte Story im vielschichtigen Meta-Stil zeichnet, nämlich einerseits die Suche Marc Fischers nach Gilberto und andererseits seine Suche nach Marc Fischer, zeigt er auf einer poetischen Art und Weise, was die Sehnsucht ist: nämlich die nie endende Suche nach einer Essenz, die es nicht gibt, das Verlangen, das einen immer weiter suchen lässt und dazu bringt, Schmerzen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern sie sogar genüsslich über sich ergehen zu lassen. Wie der Sisyphos tut er genau das, was es zu tun gilt: weitersuchen. Beide, Gachot und Fischer, waren auf der Suche. Wo sie ihn finden können, ist beiden klar: Im Hotelzimmer in Rio. Idiotische Idee, ist João doch die Sehnsucht selbst und die ist, wie jeder weiß, unendlich. Und somit auch die Suche nach ihr. Im Film, so wie im Buch, wird das deutlich.

Nicht Gilberto, sondern sein Freund Roberto Menescal © Stéphane Kuthy

Wo bist du nun, alter Gilberto?
Jeder denkt Brasilien ist Karneval, aber in Wirklichkeit ist Bossa-Nova das Traurigste überhaupt. Das wird schnell klar, wenn man die ersten fünf der gut 100 Minuten des Dokumentarfilms »Wo bist du, João Gilberto?« ansieht. Gachot, der schon mehrere Filme über die Bossa-Nova drehte und als Spezialist auf diesem Gebiet gilt, weiß also, worüber er redet, wenn er von Bossa-Nova spricht. Mit Fischers Buch unterm Arm geht er nun die Orte der Suche nach und versucht, die Arbeit seines Vorgängers zu vollenden. Auf der Suche nach dem Musiker trifft er einen Großteil der Protagonisten aus Marc Fischers Buch wieder. Er geht die einzelnen Etappen seines Vorgängers nach und schnell wird klar, dass nicht mehr nur João Ziel seiner Reise ist, sondern darüber hinaus auch Marc Fischer selbst. Gachot meint selbst: »Hegel sagt, die Sehnsucht sei unglückliches, entzweites Bewusstsein. Und immer, immer tut sie weh. Meine Sehnsucht ist ein Mensch in Berlin. Und João natürlich.« Ja. João selbst wird im Film kaum gezeigt, sind doch Aufnahmen seines Antlitzes eher selten zu sehen. Bloß am Anfang wird kurz auf seine spärliche Diskographie hingewiesen, Plattencover werden gezeigt. Ein paar kurze Einspieler während des Films, nicht viel mehr. Vor allem für diejenigen, die mit Joãos/Marcs Geschichte vertraut sind und das Buch bereits kennen, ist es ein Genuss, die »echten Orte« zu sehen. Für alle anderen dürfte es zumindest ein Bild zweier Künstler abgeben, die vor allem mehr Fragen aufwerfen: Was hat es mit dem Tod Marc Fischers auf sich? Inwieweit ist seine Reise durch Brasilien schuld daran? Was ist nur mit all den Menschen los, die Gilberto umgeben? Da ist noch der von Gilberto offiziell autorisierte João-Gilberto-Imitator, der sich gut an sein Treffen mit Marc Fischer erinnert und Gachot ein Ständchen singt – »Hobalala«. Da ist Marcos Valle, berühmter brasilianischer Musiker, dem Videoaufnahmen Fischers gezeigt werden, wie dieser zu seiner Musik tanzt. Und allen gemein scheint eine gewisse Melancholie. Und eine Verschwiegenheit, wenn es um den eigentlichen Protagonisten des Films geht. Niemand mag erzählen. Vielleicht, weil sie nicht dürfen. Vielleicht, weil sie nicht können. Und vielleicht ist es auch besser so, denn so ist die Magie der Sehnsucht.

»Wo bist du, João Gilberto?«, ein Film von und mit Georges Gachot
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