Wenn Michael Franz Woels den Franz Adrian Wenzl interviewt, der zuweilen als Austrofred, dann wieder als Teil der Band Kreisky auftritt, und Dominika Kreijs die Eva Jantschitsch befragt, die auch als Gustav bekannt ist, dann sind schon eine ganze Menge Namen im Spiel. Wenn dann noch Dominika mit Franz und Michael mit Eva spricht, hat man endlich ein doppeltes Doppelinterview, dessen höchst informative Zusammenfügung wir jetzt dem skug-Publikum bieten möchten. Es geht um österreichischen Dialekt, großartige Bands, die nötige politische Positionierung und es gibt letztlich etwas zu lernen: Der Spaßaspekt ist wichtiger als die hochhängenden Weintrauben und mit Arschlöchern arbeitet man halt nicht.
Deine letzte Gustav-Platte »Verlass die Stadt« ist 2008 erschienen. Was hat sich in den letzten zehn Jahren in der deutschsprachigen österreichischen Bandlandschaft verändert? Was waren deiner Einschätzung nach wichtige Entwicklungen?
Eva Jantschitsch: Uff, vielleicht: Vom Ösi-Akzent zum Dialekt? Das, was Ja, Panik wie auch Kreisky in den Nullerjahren da angestoßen haben, mit ihrem breiten österreichischen Akzent, das hat meiner Meinung nach schon Schubkraft gehabt und die Akzeptanz von akzentbetontem Deutsch für Wanda, Bilderbuch oder auch Yung Hurn aufgeweicht. Daraus resultierte – das ist nur meine Interpretation – auch ein neues Selbstbewusstsein für den Dialektgesang an sich. Attwenger hatten lange Zeit eine Art Alleinstellungsmerkmal – zumindest im Ösi-Indie-Pop. Jetzt sind mit unter anderem dem Nino aus Wien und Voodoo Jürgens tolle Mundarttexter und -interpreten hinzugekommen.
Franz Adrian, was waren deiner Meinung nach wichtige Entwicklungen in den letzten zehn Jahren in der deutschsprachigen österreichischen Bandlandschaft?
Franz Adrian Wenzl: Es gibt jetzt, glaub’ ich, recht eigenständige Bands, das war nicht immer so. Vor zehn Jahren haben die meisten österreichischen Indie-Bands Tocotronic-artig gesungen. Also, ich find mir jetzt sicher leichter was, obwohl ich persönlich kaum Musik mit deutschen Texten höre, das lenkt mich viel zu sehr von der Musik ab.
Warum bzw. wann ist deiner Meinung nach das Singen im Dialekt wieder »salonfähig« geworden?
FAW: Das hängt wohl auch mit diversen Regionaltrends zusammen und ist ein vielgesichtiges Phänomen zwischen Gut und Böse. Mit Gut meine ich: Anerkennung von Dialekt als voll- und gleichwertiger Sprache, Liebe zu regionalen Besonderheiten und dass der Apfel ja echt nicht aus Neuseeland importiert werden muss. Böse: Dialekt im Sinne von »Mia san mia« und wehe, es sagt einer »Tschüss« oder »Schorle«, Landhausstil, die grassierende Lederhosenepidemie. Ich würd’ mal sagen: Attwenger und Andreas Gabalier sind musikalisch die Säulen, hüben wie drüben. Und dazwischen gibt’s natürlich die volle Bandbreite.
»Das Leben ist kein Wunschkonzert.« Nehmen wir an, die deutschsprachige österreichische Musikszene wäre es, was würdest du dir von ihr wünschen?
EJ: Mehr Mut und Wille zur politischen Positionierung. Gerade jetzt wäre es wichtig, ganz klar Stellung zu beziehen. Wir leben im politischen Ausnahmezustand. Schnauze halten ist grad nicht. Ich bin froh, dass es Künstler*innen wie z. B. ESRAP oder Kid Pex, Texta oder Yasmo gibt, die Klartext rappen, Schapka die sich gegen das braune Gesöff Red Bull in Stellung bringen und Künstler wie von Goisern, Fendrich und Molden, die sich gleich mit Ambros und seinen politischen Äußerungen in der »SZ« solidarisiert haben. Und es gibt auch das Netzwerk linker Musiker*innen, die sind an Demos aktiv beteiligt. Und es wird gerade »Electronic Resistance« aus den Nullerjahren reaktiviert – das sind schon sehr wichtige Signale.
FAW: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es eine »deutschsprachige österreichische Musikszene« gibt. Es gibt wohl eine österreichische Szene und es gibt Leute, die auf Deutsch singen, aber das ist jetzt keine »Wiener Schule« im Sinne einer »Hamburger Schule«, die ja auch stark diskursiv war, auch untereinander. Vielleicht gibt’s bei den stilistisch Austropop-näheren Acts wie dem Nino aus Wien oder Wanda mehr Verbindungen, auch personell, das weiß ich nicht, aber Kreisky, Bilderbuch oder Ja, Panik seh ich jetzt eher als freistehende Akteure, wo die Sprache nicht österreichisch gedacht ist. Wenn wir als Kreisky zu einer Szene gehören, dann geht das eher in Richtung Noise-Rock.
Wie würdest du deine musikalische Entwicklung der letzten Zeit beschreiben? Hat sie sich in eine bestimmte Richtung entwickelt, sich ein Fokus auf etwas herauskristallisiert?
EJ: Ich würde sagen, ich bin stilistisch immer noch sehr breit aufgestellt. Das geht vom Arrangieren fürs Streichquartett über Rockband-Besetzung bis hin zu Electro, je nachdem, was das Projekt von mir verlangt. Für die zwei kommenden Theaterproduktionen arbeite ich seit langer Zeit mal wieder ausschließlich an elektronischen Sounds und orientiere mich an der elektronischen Musik der Vierziger- bis Neunziger-Jahre von Johanna M. Beyer, Suzanne Ciani, Delia Derbshire, Pauline Oliveros, Else Marie Pade oder Daphne Oram.
FAW: Ich würd’ mal sagen, dass ich mich zunehmend nach Innen orientiere, aber das ist ab einem gewissen Stadium eh recht normal. Das heißt, ich hab’ mein Vokabular beisammen, bzw. wir als Band, und davon ausgehend versuche ich neue interessante Sachen zu machen, oder einfach besser zu werden im Songwriting. Ob das, was rauskommt, »cool« ist, ist überhaupt kein Thema mehr. Was Kreisky betrifft, würd’ ich eher sagen, wir haben uns entfokussiert. Mit unseren ersten Platten war uns wichtig, mal einen eigenen Sound zu etablieren, das hängt uns natürlich auch noch nach, das »Grant-Rocker«-Ding. Da will ich mich aber gar nicht beschweren, weil das ist ja super, wenn man eine Art Marke hat. Aber beim Liedschreiben begrenzt mich das gar nicht, da ist alles möglich, alles einfach Popmusik. Begrenzt halt durch das eigene Können und die eigenen Ticks und Stärken und Schwächen, aber nicht im Kopf.
Sind dir Politik, Gesellschaftskritik und Feminismus nach wie vor wichtige Themen und Anliegen in deiner Musikproduktion?
FAW: In erster Linie geht’s mir um Musik und die will ich mir gar nicht überladen lassen. Ich mag auch keinen ideologischen Masterplan. Oft fängt so ein Lied mit einem Beat an oder einer Textwendung, dann spinnt man weiter. Wenn das, was rauskommt, einfach nur albern ist oder schön oder ekstatisch, oder einfach formal spannend – super! Wobei: Grad letzte Woche erst hab’ ich einen Liedtext geschrieben, der für meine Verhältnisse recht gradlinig gegen die Identitären aushaut, und das passt mir dann schon auch wieder.
EJ: Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist es mein täglich’ Brot, sozusagen. In den letzten Jahren hab’ ich für die Berliner Regisseurin Claudia Müller eine Doku über Valie Export vertont sowie eine Serie für ARTE über Künstlerinnen. Für die Verfilmung von Christine Nöstlingers »Maikäfer flieg« durch Mirjam Unger hab’ ich die Filmmusik komponiert und produziert. Zum ersten Mal bekam ein ausschließlich weibliches künstlerisches Leitungsteam eine dermaßen große Förderungssumme für einen Kinospielfilm. Dann gibt es meine Zusammenarbeiten im Theater mit dem Regisseur Mathias Köhler, dessen Schwerpunkte auf Maskulinitätskonzepten, Queerness und Feminismen liegen. Mit Christine Eder, mit der ich die Produktionen »Proletenpassion 2015ff.«, oder »Alles Walzer, alles brennt« im Wiener Volkstheater gemacht habe, arbeite ich nun an einem neuen Stück mit dem Titel »Verteidigung der Demokratie«. Im Oktober haben wir Premiere. Christine Eder beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte des Faschismus und des Neoliberalismus. Mein Fokus lag immer auf Inhalten, die meiner Meinung nach wichtig sind, öffentlich zu verhandeln. L’art pour l’art war nie mein Ding – nicht textlich, nicht klanglich. Unterhaltsame, lustvolle Analysen oder die Sezierung von Gegenwarten, gesellschaftlicher Zustände schon.
Eva, was ist aus den Bestrebungen der Riot Grrrls, Ladyfesten und Girls Rock Camps geworden?
EJ: Die Bestrebungen nach Sichtbarmachung, Vernetzung und Empowerment haben meines Erachtens durchaus gefruchtet. Vor allem auch im »bigger picture« betrachtet. Viele der Teilnehmenden sitzen nun in Gremien, in Jurys, haben Beiratsfunktionen inne, organisieren Panels, leiten Festivals, Labels etc. pp. Ich denke, der Schritt rein in die Institutionen, um somit auch Lobbying-Arbeit zu machen, ist ein essenzieller und zahlt sich – so wie die Frauenquote – langfristig gesehen sehr wohl aus. Riot Grrrls und Ladyfeste waren da wichtige Vernetzungsräume und Impulsgeber. Girls Rock Camp ist sowieso nach wie vor eine großartige niederschwellige Einrichtung, die in Österreich liebe Freundinnen von mir organisieren, und es sind durchaus großartige Bands wie Aivery, Dives oder Schapka draus entstanden. Und es werden ja da auch jedes Jahr mehr …
Wonach suchst du die Projekte aus, bei denen du mitwirkst?
FAW: In erster Linie machen wir ja unsere eigenen Lieder, mit Ausnahme unserer Theatergeschichte mit Sibylle Berg letztes Jahr. Aber theoretisch lässt sich das einfach zusammenfassen: Es sollte Spaß machen, meinen Stärken entgegenkommen, mich in irgendeiner Form weiterbringen, zeitlich mit der Familie vereinbar sein und ordentlich Kohle aufs Konto schaufeln. Letzteres ist leider sehr selten, dafür ist meistens der Spaßaspekt recht ok. Aber samma uns ehrlich: Das ist eh viel wichtiger. Und das sage ich jetzt nicht, weil mir die Weintrauben zu hoch hängen.
EJ: Sind die Themen, die verhandelt werden, für mein Leben relevant? Ist mein Zugang zur Klang-, Besetzungs- und Sprachpolitik dem Projekt dienlich? Finde ich es wichtig, dass diese Inhalte in der Öffentlichkeit stattfinden und verhandelt werden? Geht es sich zeitlich aus? Geht es sich finanziell aus? Sind mir die Menschen, mit denen ich am Projekt arbeite, sympathisch? Weil, mit Arschlöchern arbeite ich nicht.
Teile dieses Interviews wurden als O-Töne im mica-Szeneporträt über deutschsprachigen Pop in Österreich verwendet: https://www.musicaustria.at/szeneportraet-der-deutschsprachige-pop-in-oesterreich/