In Opposition zur staatlich abgesegneten Kultur existierte in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) eine nach eigenen Regeln funktionierende Subkultur. Selbstermächtigt trotzte diese verordneter Planwirtschaft und Drangsalierung durch die Staatssicherheit (Stasi) und veröffentlichte trotz grober Behinderungen illegale Literatur, Audiokassetten u. v. m. Der sogenannte »Magnetbanduntergrund« wurde von Alexander Pehlemann und Ronald Galenza im 2006 herausgegebenen Sammelband »Spannung. Leistung. Widerstand« ausführlich gewürdigt. Diese Sonderausgabe von Pehlemanns »Zonic«-Magazin ist längst vergriffen, doch 2023 folgte darauf »Magnetizdat DDR«, wo beide zusammen mit Robert Mießner das ultimative Standardwerk zum musikalischen Widerstand gegen die »Friedhofsatmosphäre«, die die staatliche Obrigkeit verfügte, vorlegten. Paul Poet, langjähriger skug-Autor, erörtert am 7. Dezember 2024 ab 20:00 Uhr in der Roten Bar des Wiener Volkstheaters mit Alexander Pehlemann diese DDR-Subkultur-Pop-Historie, bevor die Protagonist*innenbands Rosa Beton und Zwitschermaschine live loslegen werden. Poet wird dabei »Einblicke« in seinen noch nicht fertig ausfinanzierten Spielfilm »Zonenpunk«, der lebensprall den ehemaligen DDR-Untergrund ausleuchten wird, geben. Im Vorfeld dazu führte skug mit Paul Poet und Alexander Pehlemann ein angesichts der Weltlage brandaktuelles E-Mail-Interview.
skug: Volkstheater-Intendant Kay Voges hat dich in seiner letzten Saison 2024/25 gebeten, einen Kunst, Popkultur, Punk und politischen Widerstand vereinenden Event zusammenzustellen. Dieser meines Erachtens jetzt schon denkwürdige Abend wird am 7. Dezember in der Roten Bar des Volkstheaters stattfinden. Wird der Popkultur-Historiker Alexander Pehlemann zunächst in die Sphäre der düsteren DDR-Endzeit-Jahre einführen, ehe du über die Entstehung deines Spielfilms über die Punk-Studio-Platte sprechen wirst?
Paul Poet: Kay ist schönerweise Fan meiner Regie- und Autorenarbeit und wollte mich schon länger einbinden, ich habe ja letztens auch mein eigenes politsatirisches Performance-Stück »Sex Tape Austria« zur österreichischen Nationalratswahl mit unter anderem Gewalt als Live-Band in der Roten Bar inszeniert und im April 2025 wird die Kinopremiere meines neuen Films »Der Soldat Monika« im Großen Saal stattfinden. Subversive Punkgemüter eben, die sich, jetzt mit größerem Spielzeug zur Hand, gegenseitig die Bühne bauen. Ausverkauft und gut angenommen wurde es soweit. Nachdem Punk & Underground der DDR zwar ein mythenumwobener Gral war, vieles aber nie erhältlich, hörbar und nachlesbar, war es vor allem die Arbeit von Alexander Pehlemann, Ronald Galenza, aber auch Henryk Gericke mit seinem Buch und Musik-Sampler »Too Much Future« und auch seinem famosen Tapetopia-Label, wo er die alten Ost-Tapes handverlesen zur Vinylpressung bringt, die mir diese tolle Welt mit aller Wucht und Widerstandsfreude begreifbar machte. Alexander hatte ich da schon ganz früh bei meinen Erkundungen in Leipzig getroffen und wollte die »Magnetizdat«-Abende, bei denen er Lectures macht, Ton- und Bildbespiele vorführt, gelegentlich unterstützt von Live-Bands, auch mal nach Wien holen. Alexander ist ziemlich super darin, den Lebensdruck und die Daseinsstrukturen nachvollziehbar zu machen, denen entgegen diese Subkultur sich trotzdem formieren und unter schwierigsten Bedingungen einlösen konnte. Rosa Beton, die an dem Abend mitspielen, waren zum Beispiel vor dem Mauerfall nie öffentlich aufgetreten, obwohl ihr daheim am Tape-Rekorder aufgenommenes Band die kultumwobene Runde durch die Berliner Szene machte. Trat man damals nicht im halbgeschützten Rahmen der evangelischen Kirche auf, war man schnell im Knast oder im Werkhof oder sonstigen staatlichen Repressalien ausgesetzt.
Alexander Pehlemann: Zumindest bis Mitte der 1980er, dann wurden die Spielwiesen geweitet …
Wie bist du auf die Dresdner Art-Rock-Band Zwitschermaschine und deren sagenumwobenes erstes Album gestoßen? Immerhin gibt es über die Thüringer Punks Schleim-Keim, die den Tarnnamen Saukerle hatten, einen Dokufilm. Gab dieser einen Anstoß? Du transferierst ja die Entstehung der ersten und einzigen illegal in der DDR aufgenommenen Studioplatte des Punk »DDR von unten/eNDe« in eine Spielfilmversion. Wann wird der Film »Zonenpunk«, der von Majade (DE), Ulrich Seidl Filmproduktion (AT) und Fountainhead Films (US) finanziert wird, ins Kino kommen?
Paul Poet: Das Spielfilmprojekt war ein Geschenk der Pandemiezeit. 2020, als weltweit alles ins Wachkoma der Corona-Lockdowns überging, klopfte eine Drehbuchidee des Berliner Filmagenten Georg Georgi (Das Imperium Talent Agency), selbst ein »Ossi« aus Jena, auf der Suche nach einem Autor auch bei mir an. Und ich konnte mich schnurstracks als Idealperson positionieren, selbst gegen namhafte deutsche Drehbuchschreiber, auch und besonders wegen meinem eigenen Punk-Hintergrund in Wien, der mich immer wieder mal auch nach dem Mauerfall mit Veteranen aus dem Osten zusammenführte. So hatte ich weiland Anfang der Neunziger als Kassier/Türsteher des alten Arndtstraße-Flex eine Flirt-Begegnung mit Mita Schamal auf Opernballdemo-Besuch (Anm. Alexander Pehlemann: Drummerin der Berliner Punk-Legende Namenlos bis zur Bandverhaftung im Sommer 1983) und bin später, als ich meinen ersten Kurzspielfilm »Hoch Zeit« im Berliner Tacheles zusammen mit einem Live-Konzert von Wipeout präsentierte, trinkenderweise im Hauslokal Zapata auch mit Schleim-Keim-Sänger Otze zusammengesessen, ohne zu wissen, dass er später mal eine Hauptfigur eines Projekts von mir werden sollte. Die Filmhandlung konzentriert sich auf die Entstehung dieser ersten illegal aufgenommenen Studio-Punkplatte des deutschen Ostens, alle daran beteiligten Bands und Menschen, wie etwa auch der spätere Tresor- und Atonal-Gründer Dimitri Hegemann, der die Platte als A&R des damals im Westen Szene-zentralen Labels Aggressive Rockproduktionen anregte, das als größerer Sampler, von dem durch die Stasi-Querelen am Ende nur zwei Bands und eine Split-LP übrig blieben. Punk sollte ja als Jugendkultur vom Staat sofort vernichtet werden. Die SK-Doku nahm ich zwangsläufig zur Kenntnis, weil sie parallel zu meinen Recherchen gedreht wurde. Wie gut die geht, ist ein schöner Beleg, wie relevant die Geschichte nach wie vor oder schon wieder ist. Das zeigt sich auch daran, welche hochkarätigen internationalen Produktionshäuser sich daran beteiligen.
Allerdings kursierten in der vom DDR-Regime nicht geduldeten Szene hauptsächlich Kassetten. Der Begriff »Samzidat« stammt aus der UdSSR und meint hauptsächlich die Verbreitung von Texten via nichtoffiziellen Kanälen. Wie groß war die Verschränkung mit der Untergrundliteratur und gab es auch in der DDR das Phänomen von aus dem Westen geschmuggelten Schallplatten auf Röntgenbildern?
Alexander Pehlemann: Nein, einen Roentgenizdat, wie der Bootleg-Umlauf auf als Schallfolien-Ersatz genutzten Röntgenbildern entsprechend hieß, gab es in der DDR leider nicht. Aber eben einen Magnetizdat, was ja den Magnetbanduntergrund der Sowjetunion zitiert, der jedoch Magnizidat ausgesprochen wird. Wir haben also versucht, es etwas kenntlicher zu verbiegen. Den Begriff kannte hier allerdings kein Mensch damals und den Buch- und nicht zu vergessen Dreifach-LP-Compilation-Titel kann, wie mit Schrecken festzustellen war, sich auch kaum jemand merken bzw. korrekt aussprechen. Der Magnetbanduntergrund, wie es ableitend bereits im Untertitel von »Spannung. Leistung. Widerstand« benannt wurde, war im Großbruderland jedoch weitaus größer und durchaus von ökonomischer Schwarzmarktbedeutung. Für einen ersten Vergleich der Magnetizdat-Szenen des sogenannten Ostblocks sei übrigens verwiesen auf einen demnächst bei Spector Books erscheinenden Sammelband namens »Unearthing the Music«, wo ich mich an dieser Aufgabe versuche. Was in der DDR jedoch durchaus auftauchte, war die Verschränkung mit den zumeist originalgrafischen Untergrund-Magazinen. Einige erschienen ja auch mit Kassetten-Beilagen. Das Magazin »Liane« wollte sogar ein Spezialheft zur inländischen Kassettenszene machen, aber dann wurde das Vorhaben von dem Zusammenbruch der DDR überrollt. Der Begriff Widerstand ist dabei natürlich von allzu großer assoziativer Schwere. Von wenigen Ausnahmen abgesehen war es vielleicht eher Widerborstigkeit oder aktiver Abstand bzw. Abwendung ins Eigene aus Widerwillen.
Ein Kapitel in »Magnetizdat DDR« ist ebenfalls der unabhängigen Filmproduktion (auf Super-8) gewidmet, doch um beim Thema zu bleiben: Auch die »Female Voices der DDR-Subkultur« kommen nicht zu kurz. Mit Cornelia Schleime sollte eine Protagonistin der Szene als Gründungsmitglied der Band Zwitschermaschine live mit nach Wien kommen. Doch bevor wir zum bevorstehenden Ereignis kommen, soll ihre herausragende Rolle in der Band beleuchtet werden und auch die Tatsache, warum sie zur Frauenrechtsikone der DDR wurde? War der Frauenanteil in der Westberliner Punk-/Wave-/Experimental-Szene ähnlich hoch wie in der DDR und gibt es Unterschiede in der Bedeutung für die Underground-Szenen?
Paul Poet: Durch den Widerstand fanden vielerlei Stimmen und Stimmformen und auch bislang abgedrängte Identitäten ihren Ausdruck. Das war Mode, Literatur, bildende Kunst, Performance, Installation, Musik, eben auch Undergroundfilm, manchmal alles gleichzeitig, aber Hauptsache billig, wild, in seinem Aufbegehren eloquent und unter dem offiziellen Radar. Die DDR gab sich oberflächlich als realer Sozialismus sehr geschlechtsegalitär und frauenrechtlich stark. Die Realität abseits der Arbeits-Soll-Erfüllung sah aber teils sehr anders bzw. gewohnt patriarchal und machistisch aus. So auch in der Undergroundszene, wo dann wie im Westen vieles männerdominiert passierte und Frauen oft aus rein promiskuitiven Gründen in der Szene »nach oben« gelassen wurden. Teilweise kam es aber auch vor, dass sich Frauen wie zum Beispiel Wilfriede Maaß an Schlüsselpositionen der Szene setzten und anders walteten. Eine Frau wie Cornelia Schleime schaffte es jedenfalls, sich auch mit einem kantigen Auftreten und klarem schöpferischen Profil in fast allen diesen Bereichen eine starke Präsenz inmitten dieser Szene zu erkämpfen. Begonnen, Super-8 in seine Arbeiten einzubauen, hatte der Künstler A. R. Penck in Dresden, wo auch Connie studierte. Neben Helge Leiberg, Claus Löser und Lutz Dammbeck waren es anfangs auch Gabriele Stötzer und Schleime, die sich auf dem Gebiet einen mehr als verdienten Ruf machten. Ihr 1983er Kurzfilm »Unter weißen Tüchern« zählt sicher zum gleichzeitig plakativsten wie sensibelsten Stück Feminismus, das dort entstand. Und war als solches klar eine Wucht.
Bandgründer und Gitarrist Ralf Kerbach mit Vokalistin und Co-Gründungsmitglied Claudia Schleime waren beide bildende Künstler und gründeten den Kern einer No-Wave-Band, die zunächst Ende, dann Schwarz-Weiß und schlussendlich Zwitschermaschine getauft wurde. Benannt nach einem Paul-Klee-Gemälde, aus Frust über ein vom Regime verhängtes Ausstellungsverbot. Die 1983 in Westberlin veröffentlichte LP »DDR von unten/eNDe« führte zur Verfolgung durch die Stasi und das hinzugekommene Bandmitglied Sascha Anderson, das sich selbst zu sehr in der Vordergrund rückte, spielte eine unrühmliche Rolle. Was sicher genügend Filmstoff hergibt, wie aber verläuft der Plot?
Paul Poet: Klar steckt da drin ein Krimi und ein Sozialdrama und ein Politthriller, aber vor allem ein kleines dreckiges Epos über den durchaus frugalen Aufstieg einer Subkultur, die viele zu kennen glauben, aber tatsächlich wenig darüber wissen. Ich bin dann tatsächlich auf ziemlich fetzendepperte »Wessi«-Reaktionen gestoßen, wie von öffentlich-rechtlichen Drehbuchlektoren, die nicht akzeptieren wollten, dass es im deutschen Osten eine solche Reichhaltigkeit im Untergrund geben konnte. Genauso verblasen ist es, wenn viele Amerikaner heute für sich wahrnehmen, dass Punk Rock und damit Rock’n’Roll – aus DDR-Staatssicht die negativ-dekadente Infiltration des Westens – die Mauer zu Fall brachten. Eine Sicht, die nach dem ersten Tim-Mohr-Buch über die Szene sehr populär wurde und mit westlichem Kulturnarzissmus nicht geizt. Wenn es so wäre, hätten wir uns zumindest David Hasselhoff und die Scorpions erspart. Zum Plot selber und zur ziemlich famosen Besetzung darf ich noch nichts Genaues verraten. Wir sind ja noch in der empfindlichen Phase der Herstellungsfinanzierung, wo alles fertig ist und man nur mehr auf die Kohle wartet und das gerade jetzt, wo die deutsche Filmförderung weitgehend eingebrochen ist. Das kann drei Monate oder dreißig Jahre dauern. Der Dresdner Drehbuchautor Thomas Wendrich, 2022 mit dem deutschen Filmpreis Lola für seine Kino-Biografie von Brasch, »Lieber Thomas«, ausgezeichnet und der größte DDR-Kenner der Zunft, spricht jedenfalls von einem der allerbesten deutschen Drehbücher der letzten Dekaden und hat sich mir in Folge auch als Dramaturg mit zur Seite gestellt.
Wird der Auftritt von Zwitschermaschine mehr als Nostalgie sein? Eher ein Statement mit fulminantem No Wave zwischen Pere Ubu und Captain Beefheart? Tritt Zwitschermaschine auch in Berlin mit diesem fantastischen All-Star Line-up auf? Original-Drummer Wolfgang Grossmann verstärkt die Band neben Kerbach und Schleime um Mitglieder von Die Elektrohand Gottes, Knorkator, Rummelsnuff und Peter Hein von den Fehlfarben. Was wohl auch Lyrics gegen die Politik dieser Welt verspricht, die das Grundübel Überreichtum, Lobbyismus und Regulierung nicht lösen will?
Alexander Pehlemann: Mit zwei Ausnahmen, dem Schleime-Song »Geh über’n Fluss« und einer Schleim-Keim-Coverversion, sind alle zu hörenden Lyrics Zwitschermaschine-Originale, also bis Ende 1982 entstanden. Ihre mögliche Relevanz ergibt sich jedoch eher daraus, dass sie nicht an das Grundübel der Tagespolitik gebunden waren. Aber zumindest an harter Regulierung mangelte es sicher nicht … Die Nostalgie-Werte sind dabei hinsichtlich »DDR von unten« sowieso nur eingeschränkt aufzurufen, weil die Songs mit Texten von Michael Rom, die dieses aktualisierend arbeitende Projekt aufführt, auf der LP gar nicht berücksichtig, insofern also mit der LP »Rom« auch erstmalig zugänglich gemacht wurden. Als Versionen aus der Erinnerung heraus, denn erst später tauchte ein extrem verrauschter Mitschnitt eines Konzerts 1981 in der Berliner Galiläa-Kirche auf. In einem Kassettenkoffer von Bernd Jestram, heute bei Tarwater und damals Bassist von Rosa Extra, mit denen die da noch nicht Zwitschermaschine heißende Band auftrat, übrigens erstmals mit Grossmann an den Drums. Rosa Extra, die weitaus mehr No-Wave-Einflüsse hatten und für Ralf Kerbach die Grundinspiration für die Bandgründung darstellten, waren für Dimitri Hegemann überhaupt der Ausgangspunkt dieser DDR-Underground-Compilation-Idee. Ihr Beitrag fiel aber dem Eingriff der Staatssicherheit zum Opfer. Zumindest ein Song aus den verschollen geglaubten Aufnahmen, die wiederum in der Akte von Grossmann auftauchten, findet sich nun auf der »Magnetizdat DDR«-LP sowie auf ihrer Werkschau »Extrakte 1980–1984«. Die Referenzliste der Musiker lässt sich übrigens bedeutend erweitern: Kein Mitleid, Automatic Noir, Rosengarten, B. Crown, D.O.D., Think About Mutation, Freunde der italienischen Oper … Ob der Verweis auf Beefheart und Pere Ubu nicht in die Irre führt, weil es ein Eigensound-Substrat ist, kann dann ja live beurteilt werden.
Paul Poet: Die große Pärchenwiedervereinigung, denn das waren Kerbach und Schleime damals, wird es in Wien jetzt doch nicht spielen, wie es mal angedacht war. Aber der heute vor allem als Maler berühmte Ralf Kerbach, jüngst als Professor der Hochschule für Bildende Kunst Dresden in Pension gegangen, wird die Gitarre wieder auspacken, die er eben 1982 durch plötzliches Verlassen des Landes niederlegte. Wolfgang Grossmann, damals Schlagzeuger, hatte die Band ja 2020 wiederbelebt, allerdings als Tribut an den 1991 im wiedervereinten Berlin als Hotelrezeptionist erschossenen dritten Sänger und Poeten Michael Rom, mit dem Grossmann damals eng befreundet war und in derselben WG wohnte. Der durch Wolf Biermann & Co später als Stasi-Verräter gebrandmarkte Sascha Anderson hatte auch intensiv gegen diese Reunion protestiert, für die Grossmann Rajko Gohlke holte, der unter anderem bei Knorkator und Rummelsnuff den Bass schwingt, wie auch bei der Elektrohand Gottes, der Backing Band von Philipp Hochmair, von denen auch DDR-Urgestein Jörg Schittkowski kommt, vor Mauerfall schon bei Kein Mitleid tätig und heute bei Machine de Beauvoir, sowie als Gastsänger*innen eben Peter Hein und Anita Goß von der Band Aniqo. Ich war beim ersten öffentlichen Auftritt im Berliner Ballhaus dabei, schönerweise händchenhaltend mit Cornelia Schleime, die ich kurz zuvor am Nachmittag das erste Mal persönlich für die Recherche treffen durfte. Sie wollte dann gleich mit mir gemeinsam als Mutmacher hin, es war ja ein hochemotionaler Moment für sie nach 40 Jahren Distanz, und kurz darauf stand sie schon mit auf der Bühne und kratzte mit wunderschönst rauchigem Marianne-Faithfull-Timbre »Übern Fluss« ins Mikro. Mit Nostalgie hat das nix zu tun, denn es ist weder verklärend noch die Wiederbelebung einer »schöneren« Zeit. Da geht es eher um Würde und ein wiederbelebtes künstlerisches Gemeinschaftsgefühl. Besser und gerade spielen können sie halt for better or worse. Da ist der Unterschied eher wie zwischen der ersten und vierten Roxy-Music- oder Pixies-Platte. Und klar spiegelt sich in den Texten der Widerstandsgeist, wenn auch nicht als klobige Che-Guevara-Pose, sondern als grimmig bis hoffnungsvoller Fatalismus und Geist der Verweigerung, immer auch schon eine Geste des Punk, spürbar etwa im famosen Lied »Marabu«: »So war es immer. So wird es immer sein.«
In der Recherche zum Artikel bin auch auf Herbst in Peking gestoßen, eine der von Punk beeinflussten Indie-Rockbands aus Ostdeutschland, die wie etwa Die Firma Platten publizieren konnten und im Berliner Radio DT64 gespielt wurden. Über den Sound dieser Liga ließe sich trefflich streiten. Jedenfalls ist »Shame«, ein Song von Herbst in Peking, kürzlich in die österreichische Subkultur-Popgeschichte eingegangen. Fritz Ostermayer hat das Lied dieser DDR-Rockband um die Wendezeit brillant überschrieben, nachzuhören auf der EP »Schande« von Vienna Rest in Peace.
Alexander Pehlemann: Torsten Füchsel aka Pegman, einer der Gitarristen von (Der Schlagzeuger von) Zwitschermaschine, spielt auch bei Herbst in Peking (und war früher bei Rosengarten und B. Crown). Ob die erweiterte Indie-Szene von Irrelevanz ist, ist eine am Einzelfall nach unterschiedlichen Kick-Werten zu klärende Frage. HiP, die übrigens nach einer Schweigeminute für die Tiananmen-Opfer verboten wurden, konnten jedoch genauso wenig wie (die von mir sehr geschätzten) Die Firma bis zum kläglichen Zusammenbruch von 1989 LPs machen, sondern haben das erst ab 1990 auf dem ersten Indie-Label der DDR getan. Der Song »Shame« stammt aus den sehr frühen 1990ern. Zu DT64 (ab 6. Dezember gibt es bei Ventil Verlag das Buch zum Radio: »Power von der Eastside!«): Das betrifft vor allem die Sendung »Parocktikum« und ist auch etwas komplexer als hier mal fix angerissen. Aus naheliegenden Gründen konnten dort natürlich weder Zwitschermaschine noch Schleim-Keim oder andere im Westen veröffentlichte DDR-Underground-Sachen wie L’Attentat oder KG Rest laufen – zumindest wurde es nicht probiert. Vielleicht aber wäre es gar nicht aufgefallen und nichts passiert. Die gelaufene Mixtur von DDR-Sachen, die wir ja in den Büchern auch abbilden, war jedenfalls nicht wesentlich entlang eines Legalitätsstatus orientiert.
Paul Poet: Ich würd’ auch unbedingt eine Lanze für Herbst in Peking brechen, die zwar großbühnengerecht rockistischer klingen, aber immer auch begnadet und integer waren. Und Sänger Rex Joswig gehört zu einer der markantesten Stimmen der deutschen Rockgeschichte. Es waren auch ein paar der etablierteren Semi-Underground-Bands ganz großartig, wie auch nicht alles, was an Sumpfrosen in der Subkultur blühte, besonders glanzvoll und dilettantisch genial war. Meine persönlichen Favourites sind sicher das Avantgarde-Krachwunder Klick&Aus, so was wie die Ostberliner Butthole Surfers, und Rosa Extra, die damals nie veröffentlichte dritte Band des »DDR von unten«-Samplers, deren Bänder unmittelbar nach Aufnahme konfisziert wurden, brillanter Wave-Punk mit der Schnitthärte von Wire und Gang of Four. Eine Band, aus der später Ornament & Verbrechen, Tarwater und To Rococo Rot hervorgingen. Diese Band zerfetzte es auch dann durch die sogenannte staatliche »Einstufung«, die offizielle Spielerlaubnis mit glattgebügelten »unpolitischen« Texten.
Was mich Anfang der 1990er bestürzt hat, war das schnelle Hinwegfegen der Bürgerrechtsbewegung durch die Bonner DDR-Übernahme-Politik. Gibt es in den Lyrics des DDR-Punk die Utopie eines dritten Weges? Statt neoliberalem Kapitalismus hätte ein »Gemeinwohlkapitalismus« mit klarer Betonung aufs Soziale und Menschenrechte nicht gar so viel Leid über die Welt gebracht. Schon damals wurde falsch abgebogen und anno 2024 sammeln sich die disruptiven Kräfte mehr denn je. Wie ist deine Sicht in die Zukunft? Wird der Überwachungskapitalismus auch die westlichen Demokratien, die ohnehin von der Achse der Autokratien von China bis Russland ständig unterminiert werden, ruinieren?
Paul Poet: Ich glaub’, da pfropfst du Popkultur zu viel politische Auswirkungsbedeutung auf. Songs funktionieren da viel schneller als persönliche Befindlichkeitsverortungen. Die können zwar auch teils massenhafte politische Bedeutung gewinnen. Aber als Source politischer Utopiengestaltung sind sie eher unwahrscheinlich. Klar ist so ein dritter Weg enorm wichtig und wünschenswert, gerade jetzt wo durch die schwindenden Ressourcen und die Inflation die immer engmaschiger werdenden Systemstrukturen von Kapitalismus und Kommunismus zu ebendiesem Überwachungskapitalismus verschmelzen, der zwangsläufig auch immer uniformer und autokratischer werden muss. Da ist die Widerstandskultur der DDR natürlich eine schöne Inspiration und Metapher, wobei mir die kommenden Gefahren wesentlich dämonischer erscheinen als die der bei allen Repressalien doch recht hemdsärmeligen DDR, wo manche Konflikte dann auch so behoben wurden, dass man unter der Hand dem Stasi-Offizier oder Vopo auch mal eine retour aufs Maul gab, ohne dass der sich danach traute, das offiziell zu melden. Ganz wichtig waren da für mich die Begegnungen mit dem vor kurzem leider verstorbenen Bert Papenfuß-Gorek, zentrale intellektuelle Verweigerungsstimme der Ost-Szene, der in den letzten Jahren in Berlin weiterhin alle und alles in seinem Lokal Rumbalotte versammelte, das nun unter anderer Ägide Watt heißt. Da fand sich zu weiten Teilen eine ähnlich staatsfeindliche Stimmung, weil der neue »freie Westen« dann anders erdrückend wahrgenommen wird.
Was zur Schlussfrage führt. Wie einen Widerstand organisieren gegen zusehends autokratischere Mächte, die einen die Ohnmacht, die allzu viele manipulierte Staatsbürger*innen den Faschismus an die Macht wählen lassen, ständig spüren lassen?
Paul Poet: Da haben sich die Spielregeln seit den Pink Fairies in den Seventies nicht geändert: »Don’t think about it! Do it!« Eine andere Welt kommt immer. Irgendwo lichterloh.