Die Wiener Punk-Haudegen Chuzpe sind zuletzt immer elektronischer und tanzbarer geworden. Nun hat sich ihr Mastermind Robert »Räudig« Wolf vollständig der elektronischen Musik verschrieben und mit seinem Soloprojekt The Good Force auf einer LP (»Hørproben«) und einer 7-Inch (»Künstliche Intelligenz ist besser als gar keine«) gezeigt, was er unter Clubmusik versteht. Zeit, zu dieser Entwicklung einmal näher nachzufragen. skug hat den Genre-Grenzgänger zu einem ausführlichen Interview getroffen, das ob seiner Länge aufgeteilt wird. Hier geht’s zu Teil 2 und Teil 3.
skug: Lieber Robert, wir haben uns hier im Kleinen Café zusammengesetzt, um uns anlässlich deiner letzten Veröffentlichungen unter dem Namen The Good Force ein wenig über deine Beziehung zur Clubmusik zu unterhalten. Wo fangen wir da an?
Robert »Räudig« Wolf: Ja, meine Beziehung zur Clubmusik, da muss man schon weiter ausholen, weil früher – also in der Zeit, in der ich musikalisch sozialisiert wurde – gab es ja sowas in Wien noch nicht. Da ist man entweder in Diskotheken gegangen oder in Musikclubs. Musikclubs waren aber meistens themenbezogen. Es hat einen Folk-Club gegeben, Jazz-Clubs hat es gegeben, aber richtige Clubs, wie man es heute versteht, gab es nicht, das waren halt Diskotheken.
Wahrscheinlich war das auch was die Technik angeht sicher ein großer Unterschied. Da gab es ja früher nicht diese umfassende Beschallung oder diese Lautstärken.
Nein, das auch nicht. Ich kann mich erinnern, die ersten Diskotheken, in denen ich da war … das Voom Voom, die Camera und später das Papillon. Und das war halt sehr Rockmusik-dominiert. Das Papillon war eher so eine Zuhälterdisko, wo halt die Chart-Hits gespielt worden sind. Ich war ein Diskothekengeher, aber nie einer, der auf der Tanzfläche war. Wenn, dann war ich schon sehr betrunken. Mich hat aber rhythmische Musik immer fasziniert und die Musik, die einen straighten Rhythmus hat.
Von welcher Zeit reden wir jetzt ungefähr?
Wir reden jetzt von Anfang der 1970er-Jahre. Da war ich so 18 oder 19.
Also alles noch Prä-Chuzpe.
Ja, ja, freilich. Und da war immer schon Musik sehr wichtig. Glam Rock war mein großes Ding am Anfang. Da hab’ ich mir alles reingezogen, von Bowie bis runter zu Sweet und Suzi Quatro und solche Sachen, die halt tatsächlich in den Charts waren. Soul-Musik hat mir auch gut gefallen, also so richtig der 1960er-Jahre-Soul. Sam Cooke und Sam & Dave und wie die alle geheißen haben.
Gut, da gibt’s ja dann auch eine klare Verbindung zur Diskomusik.
Ja, und so ist das, als Punk hat man das ja dann nicht sagen dürfen, aber ich war auch immer ein großer Fan von Diskomusik und »Saturday Night Fever«, das war für mich ein absolut toller Film. Also ich weiß nicht, ob du den jemals gesehen hast, er ist aber absolut sehenswert, weil der fast eine Doku über die Zeit Mitte der 1970er-Jahre in New York ist, so quasi eine Sozialstudie. Also wirklich sehr empfehlenswert. Und die Musik von den Bee Gees, die kennt man ja zur Genüge. Also das war auch immer etwas, was ich gerne gehört habe. Und dann die Verbindung von dem, wie dann der Bowie angefangen hat mit der »Young Americans«, wo ja auch so diese Diskoeinflüsse sind. Und Clubs hab’ ich zum ersten Mal kennengelernt, als ich zum ersten Mal in London war. Das war 1977. Da war es ja so, dass in den Pubs um elf Sperrstunde war, und wenn man nachher Alkohol trinken wollte, musste man in einen Club gehen. Das hat so ausgesehen, dass man da in den Club gegangen ist, einen Mitgliedsausweis gekriegt hat, unterschreiben musste und dann war man für eine Nacht Clubmitglied und durfte dort saufen … bis vier Uhr in der Früh.
Vereinsmitglied für eine Nacht.
Genau. Und wenn das Rauchverbot gekommen wäre, dann hätten wir wahrscheinlich Rauchervereine gegründet, wo man halt Mitglied geworden wäre, und dann hätte man dort rauchen dürfen. Da sind also in London so Clubs entstanden, wo super Musik gespielt worden ist, in einer irren Lautstärke, über wahnsinnig gute Anlagen, aber nicht primär zum Tanzen, sondern meistens ist man da halt so – wie hier eben auch – herumgesessen. Obwohl es schon eine kleine Tanzfläche gegeben hat …
Also in heutigen Begriffen: Lounge-Atmosphäre.
Ja, ja, richtig. Also Tanzen war nicht das Primäre. Und ich hab’ dann gelernt, dass solche Clubs in England deswegen entstanden sind, weil es dieses Trinkverbot gab, dass nach elf Uhr in den Pubs nichts mehr getrunken werden darf.
Also Clubkultur durch Prohibition.
In Deutschland hat es solche Clubs auch gegeben. Und zwar haben die GIs solche Clubs gehabt, also die Soldaten, die da stationiert waren, die haben auch so Clubs gehabt, wo sie quasi die Musik von zuhause hören konnten. Halt immer die neuesten Platten und dort wurde auch primär nicht getanzt, sondern man hat halt geredet und eine Kleinigkeit essen können. Naja, und Anfang der Siebziger, weil wir wollen zu den Diskotheken zurückkommen, war ich mal, ich weiß jetzt nicht mehr in welcher Diskothek, es muss entweder die Camera oder das Voom Voom gewesen sein, und da haben sie Kraftwerk gespielt: »Autobahn«. Und zwar voll durch, also die ganze Plattenseite durch. Das war für mich echt eine Erleuchtung!
Die Camera gibt’s noch. Der zweite Club sagt mir aber jetzt nichts.
Das war dann später das Move. Und jetzt … ich glaub’, das gibt es gar nicht mehr. Das war, wenn ich mich nicht irre, in der Lange Gasse. Also wo der 13A die Endstation hat, dort in der Gegend, da bei der Alserstraße. Also die spielen Kraftwerk, das muss so, also ich weiß jetzt nicht, wann die »Autobahn« herausgekommen ist, 1974 oder so gewesen sein. Und das war dann eine echte Erleuchtung, weil das war etwas wirklich völlig Neues. Und wie man heute weiß, hat das damals nicht nur mich geflasht, sondern auch den David Bowie und hundert andere, die dann später in so Bands wie Depeche Mode gespielt haben oder OMD.
Aber mit Krautrock hast du davor schon Berührung gehabt?
Überhaupt nicht! Deswegen ist für mich auch Krautrock … also okay, Can und so, das hab’ ich schon gekannt. Also von Can hat mir dieses Repetitive schon gefallen, aber teilweise war’s mir wirklich zu hippiemäßig. Aber Kraftwerk, das war so glasklar und hat so eine analoge Wärme gehabt, obwohl’s so elektrisch war. Und über das bin ich dann zu Gruppen gekommen wie Harmonia, Cluster, die auch in diesem Feld geforscht haben und die so Rhythmus … die Engländer sagen Motorik dazu, nicht? Oder den Bands wie Neu! auch haben. Dieses Hypnotische.
Das strikt Verbissene.
Genau, und das war das, was mich echt geflasht hat. Das war ganz etwas anderes wie Rockmusik und aber auch gut auf seine Art und Weise. Und seitdem bin ich halt gespalten: Mir gefällt eben diese Art von Musik und diese elektronische Tanzmusik, hat man damals gesagt.
Ich glaub’, Can haben sich ja auch nie als Rockband gesehen?
Nein, nein, das waren Schüler von Stockhausen. Also mit dem musikalischen Background.
Zum Beispiel auf der »Ege Bamyasi« der Song »Vitamin C«, da gibt es einen Schlagzeug-Break, sowas kennt man dann eigentlich erst zehn Jahre später.
Genau, richtig. Nein, Can waren Pioniere in jeder Hinsicht. Ja, einfach auch, dass man eine zweistündige Session macht und dann nimmt man ein Stück raus, gibt dem einen Namen und presst es auf LP. Und dann haben sie so ein Stück wie »Spoon«. Das war auch so ein früher Flash: Boah, was ist das?
Aber einen Part rausnehmen und den dann nehmen oder auch doppeln, da sind wir ja auch schon bei den Produktionsverhältnissen eben dieser Musik.
Genau. Wie Kraftwerk, die richtige Musikarbeiter sind, die halt, wie ich annehme, das wirklich komplett durchstrukturiert haben und denen, die eher so mit Probieren, also Ausprobieren arbeiten, so wie Ash Ra Tempel … Also eher so dieses Meditative, da merkt man, da hat halt jemand herumgespielt. Und dann dieses Interesse für elektronische Musik. Da hab’ ich mich eben bemüht, eher Underground-Sachen zu kriegen, also auch ältere Sachen hab’ ich dann entdeckt, wie Pierre Henry, der ein früher Elektronik-Pionier war. Die Band White Noise, die ein BBC-Projekt war, da hab’ ich dann auch viel ältere Musik entdeckt. Aber gleichzeitig hat mir der Munich Sound irrsinnig gut gefallen. Das war Frank Farian und Boney M. Aber das durfte man ja nicht sagen. Ich mein’, die Nummern waren seicht und Hitparadenfutter, aber die Grooves, also das war wirklich mitreißend. Natürlich auch so schreckliche Sachen wie »Dschingis Khan«, die echt cheesy waren. Und ein zweiter großer Hero aus der Zeit ist für mich Giorgio Moroder gewesen. Auf meinem nächsten Album ist dann eh eine Hommage an Giorgio Moroder drauf, die genau diesen Beat hat. Und Donna Summer.
Also hast du schon vor und während deiner Punkzeit angefangen, diese Platten zu sammeln und zuhause zu hören?
Ja, freilich. Also ich hab’ viele Singles gehabt, bevor ich meine erste Punk-LP gehabt hab. Zum Beispiel von Amanda Lear gibt’s eine Single, die heißt »Follow Me«, die ein Wahnsinn ist. Fast ein wenig düster. Na, so Sachen wie Boney M, also das hab’ ich nicht gekauft. Aber ich kannte es und wenn ich in einer – damals noch – Diskothek war, konnte ich das durchaus goutieren, so nach ein bis zwei Joints überhaupt. Aber »Rivers of Babylon« und so ist irgendwie zündend und wahnsinnig gut produziert. Dann kommen eben so Leute wie Jean-Michel Jarre und so hat sich das nach und nach entwickelt, bis dann Punk kam, was mich dann also wirklich sehr in Beschlag genommen hat. Und nach Punk kam Post-Punk und mit dem kamen dann die ganzen englischen Elektronik-Acts. Eben die frühen Depeche Mode, dann Daniel Miller, der mit The Normal, dem Projekt mit T.V.O.D., eine der besten Singles produziert hat, die jemals im Elektronik-Sektor gemacht worden ist. Gary Numan mit »Are ›Friends‹ Electric?«, der jetzt noch super Musik macht. Der damals ausgelacht worden ist. So quasi als Bowie-Epigone. Ich finde, der hat zu der Zeit eine der besten Musiken gemacht. Naja, und dann haben sich schon langsam bei uns die Clubs zu etablieren angefangen. Das Schoko, das Blitz, also wo man diese ganze Musik hören konnte, also jetzt nicht gerade Giorgio Moroder, aber eben diese ganzen New-Wave- und Post-Punk-Sachen …
Mit Post Punk ist ja das Elektronische mit dem Punk wieder zusammengewachsen.
Ja, vieles kam aus dem Punk. Joy Division, Siouxsie and the Banshees, die quasi zeitgleich mit Punk passiert sind, die aber nicht diesen 0815, also diesen Eins-zwei-drei-vier-Punk gespielt haben, sondern die halt das weitergedacht haben, zur tonalen Freiheit und alles. Die haben auch teilweise diese Konzepte übernommen von diesen Bands aus den Siebzigern wie eben Can, Neu! usw. Wo dann aus der Post-Punk-Szene wieder die Gothic-Szene entstand, die Batcave-Szene in London, wo halt diese ersten Gothic-Konzerte waren. Alien Sex Fiend und eben Bauhaus.
Besonders Alien Sex Fiend.
Mit dem Drum-Computer und so. Die haben zwar Gitarren, aber halt auch irgendwie so Synth. Oder Spizz Energy, das sind alles so Hybriden, die schon alle mit Gitarren arbeiten und die teilweise vom Gesang her noch Punk waren, eben gerade Spizz Energys: »Captain Kirk«, das könnte eigentlich eine Punknummer mit Gitarren sein, ist es aber dadurch, wie es aufgenommen worden ist, nicht mehr.
Oder EBM eben.
Ja, genau, das war dann das nächste, so wie Mitte der Achtziger in Belgien auf einmal diese ganzen Typen angefangen haben, mit Sequenzern zu arbeiten und mit anderem Equipment. DAF, Einstürzende Neubauten, Abwärts, also quasi die Vorgängerband zu den Einstürzenden Neubauten, die eine reine Punkband war, aber auch schon elektronische Elemente gehabt hat. Also FM Einheit und der Unruh haben bei Abwärts schon gespielt.
Also aus »Computerstaat«, von der Struktur her könnte man da auch eine Tanznummer draus machen.
Na sicher, na klar. Und das hat dann bis in die Avantgarde gereicht. Der Plan zum Beispiel, und lauter solche. Dutzende Gruppen sind da auf einmal entstanden in Deutschland. Nur bei uns war alles sehr gitarrenlastig.
Oder die Krupps zum Beispiel.
Und dann eben so Sachen wir Human League aus England und die Krupps, die ja dann später wieder gitarrenlastiger geworden sind.
Und dann wieder elektronischer.
Also man sieht halt die Entwicklung von dem Ganzen bis hin zu so Bands wie Rammstein und Nine Inch Nails, also bis zu den Industrial-Sachen. Aber das schweift jetzt ein wenig von der Clubkultur ab, weil da sind wir eigentlich wieder beim Rock. Und ja, meine Liebe ist eigentlich – und da sind wir eh schon fast wieder am Ende – weil meine Liebe zur Clubmusik hat bis heute nicht geendet. Also ich geh’ in die Grelle Forelle und hör mir einen beinharten Minimal-Techno genauso gern an wie Industrial-Sachen oder so. Das entscheidende für mich ist, dass man Tanzen kann, wenn man will, aber dass das eine Musik ist, die ich irrsinnig gerne über Kopfhörer höre, wo ich wirklich am Sofa lieg’ und in das reinfalle, also in Techno-Nummern, die so 7 bis 8 Minuten lang sind. Ellen Allien und wie die alle heißen. Oder die Floating Points, die teilweise schon ins Jazzige gehen und, und, und. Also Rockmusik interessiert mich jetzt kaum noch, außer sie hat auch interessante elektronische Elemente drinnen. Zum Beispiel gibt’s eine australische Band, die heißen King Gizzard and the Lizard Wizard, die machen so überdrehte Rockmusik, also das find ich schon wieder gut. Aber ansonsten ist Rockmusik etwas, was mich mehr oder weniger langweilt.