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Bild- und Sounderzeugung statt Theorie: Biennale Venezia

Prisoner Songs, Factory Songs, Performances, neu entstandene Opern: Okwui Enwezor, Direktor des Hauses der Kunst in München, wird dieses Jahr die Art Biennale Venezia sehr lebendig ausrichten. Ein Vorab-Bericht.

Alle Fotos (c) Heiko Kilian Kupries

Kibbitzer, Plosher, Platke Macher – also Schlaumeier, Angeber, Stänkerer. Lauter Schimpfwörter auf Jiddisch stehen auf einem Spruchband oben auf der Fassade des Hauses der Kunst in München am Englischen Garten. Und bilden einen Gegensatz zu den rotgrünen Mosaik-Hakenkreuzen auf der anderen Seite des Museums oberhalb der Terrasse, die man nicht abschlagen kann. Das sehr lustige Kunstwerk (*) des Künstlers Mel Bochner ironisiert wunderbar die pompöse Schwere des Hauses, das von den Nazis erbaut und 1937 eröffnet wurde. »The Joys of Yiddish« heißt es und stammt aus Chicago. Die Farben des Spruchbandes, gelb auf schwarz, sollen an die Aufnäher erinnern, mit denen die Nationalsozialisten die jüdische Bevölkerung stigmatisierten.

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Age of Anxiety

»Voller Wunden erscheint uns heute die Zeit. Ein Zeitalter der Angst, an age of anxiety …«, leitet Paolo Baratta, der elegante Präsident der Biennale di Venezia, die Pressekonferenz zur Kunst Biennale Venedig ein, die im Haus der Kunst stattfindet. Motto und Thema ist dieses Mal: »All The World’s Futures«. Jedes zweite Jahr würde die Biennale ihre eigene Geschichte ausbauen, die aus vielen Erinnerungen bestehe. »Wir wissen, dass die Heraufbeschwörung von dramatischen Phänomenen, die die heutige Zeit charakterisieren, bedeutet, die Geschichte hereinzulassen. Die Gegenwart will durch Zeichen, Symbole, Erinnerungen verstanden werden.« Er schwärmt von den Kuratoren der letzten beiden Biennalen, Bice Curiger und Massimiliano Gioni, und dem »Roten Buch« von C. G. Jung, das ausgestellt wurde.

Okwui Enwezor, u. a. 1998-2002 künstlerischer Leiter der documenta 11 in Kassel, ist seit Oktober 2011 Direktor des Hauses der Kunst in München. Er wurde zum Hauptkurator der 56. Biennale von Venedig ernannt, weil er die »Spannungen zwischen Kunst und sozialer politischer Realität« untersuche, wie »die Lebenswelt auf Künstler wirkt« und »die inneren Melodien/Songs der Künstler nach dem Ende der Avantgarde und der Nicht-Kunst«. Nicht-Kunst? Meint er den Nationalsozial- ismus? »Die Fragmente unserer Vergangenheit müssen ins Gedächtnis zurückgerufen werden«, sagt er noch und Okwui Enwezor »erstellt keine Prognose, sondern ein Konzert, ein Parlament der Formen«. Es folgen die üblichen Verweise auf Walter Benjamin (die Biennale sei ein »Ort der dialektischen Bilder«), den die Ûbersetzerin mitten in der deutschen Ûbersetzung auf Englisch ausspricht, was die hundert angereisten JournalistInnen zum Kichern veranlasst. 1998 gab es große Kritik am Konzept der nationalen Pavillons, doch Baratta ist gegen den »weißen Kubus, in dem man die Geschichte auslöscht und die Diktatur des Marktes etabliert«. Also keine Pseudo-Nationen-Verleugnung bitte.

 

Blauer Berg der Geschichte

Der nigerianische Kurator Okwui Enwezor dankt dem Freistaat Bayern, dass er in dieser »ikonischen Institution« des Hauses der Kunst arbeiten darf. Und Bayern borgt ihn scheinbar selbstlos der Biennale. Hinter ihm an der Wand scheint immer wieder das Diabild eines riesigen »Berges der Trümmer der Geschichte« auf, in gelb mit blau, ein Ausschnitt aus einem Gemälde. Enwezor möchte aber lieber von Resten und von Turbulenzen sprechen als von Trümmern. Als erster nationaler Pavillon in den Giardini entstand 1907 der belgische von König Leopold II., »1908 besitzt König Leopold den Kongo, der ein riesiges Arbeitscamp war, nicht mehr, nachdem die Bevölkerung in einer massenhaften Ausrottung auf die Hälfte reduziert wurde«.

Enwezor erwähnt noch den Pavillon »von Great Britannia im Jahr 1909, einem Empire, in dem die Sonne nicht unterging«. Heute wären die nationalen Pavillons »irgendwie kleiner geworden«. Er bringt noch andere Beispiele für den Anachronismus der Pavillons: zuerst wurde ein bayrischer Pavillon bespielt, der sich dann in einen deutschen verwandelte. Großes Augenmerk legt Enwezor, der auch Herausgeber des »NKA: Journal of Contemporary African Art« ist, und der mit zwanzig Jahren alleine nach New York zog, auf Karl Marx: »Vielleicht bin ich zu sehr davon beeinflusst, weil ich in Deutsch- land lebe«, sagt er als einzige Begründung. Theorie scheint seine Sache nicht. Während der ganzen Biennale wird »Das Kapital« durchgehend vorgelesen werden, alle drei Bände in den sieben Monaten. Enwezors Biennale-Thema »All The World’s Futures« scheint ihm also am ehesten von diesem berühmten Arbeiter-Theoretiker, dessen Vater einer berühmten Rabbiner-Familie entstammte und die Kinder protestantisch taufte, um der preußischen Obrigkeit zu entsprechen, gespiegelt zu werden.

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Bildererzeugungsliebe

Riesige Kunstwerke, viele Skulpturen, bunte Farben, sehr viele Performances diesmal, Konzerte, Musik. Factory Songs, Prison Songs, Filme über den Krieg in Syrien – jeden Freitag wird ein neuer eintreffen. In der Diabilder-Schau folgt Bild auf Bild, Schlag auf Schlag. Viele neue Kunstwerke wurden beauftragt, Enwezor sprach mit fast allen KünstlerInnen persönlich. AfrikanerInnen sind ganz selbstverständlich integriert – in dieser Vielfalt doch ein Novum für die Biennale. Der Direktor führt immer schneller seine Bilder vor, irgendwann gibt er erschöpft auf. Es sind zu viele. Die Journalist- Innen lachen – dieser Doppel-Direktor hier ist bildfixiert und kunstbegeistert, er kann sich gar nicht satt sehen! Mehr auf Bildererzeugung aus als auf Theorie. Der Südafrikaner William Kentridge, der sich eingehend mit dem Holocaust, der Sklavenbewegung und dem Kolonialismus auseinandersetzte, ist diesmal nicht dabei. Warum? »Weil ich meinen alten Freund William nicht jedesmal bringen kann«, lacht Enwezor nach der Pressekonferenz im Goldenen Café. Besteht seine deutsche Sozialisation wirklich hauptsächlich aus Karl Marx und Walter Benjamin? Unvergessen die Fotografie-Ausstellung »Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens« zu Südafrika, die Enwezor vor ein paar Jahren ausrichtete, die eine enorme Vielfalt an künstlerischen Widerstands- formen brachte. Ob diese Biennale wirklich eine Zusammenschau der Zukunft (Zukünfte, Zukunfts- formen?) des afrikanischen Kontinents und Europa in Richtung auf Kunst und Utopien zeigt, wird sich beim Besuch in Venedig zeigen. Man darf sich auf jeden Fall schon auf viel Neues freuen.

Die 56. Biennale Venezia findet vom 9. Mai bis 22. November 2015 statt.

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(*) Die Autorin musste herzlich lachen, als sie die Wörter auf der Fassade entdeckte. Der Zusammen- hang mit den Farben war ihr auf den ersten Blick nicht erkennbar. Das Haus der Kunst legt Wert auf folgende Feststellung: »Die Verbindung zwischen den Farben der Täter und den Worten der Opfer (mit diesen Schimpfwörtern belegten die Juden im Warschauer Ghetto oder in Auschwitz die Nazi- Schergen, die ja das Jiddische kaum verstanden; diese ›Geheimsprache‹ war also auch eine Form des Widerstands der Opfer gegen die Täter). Diese Verbindung zwischen Täter und Opfer in einem Werk allein reichte aus, um die Installation in den USA zu verbieten. Daher wurde die Arbeit bei uns zum ersten Mal gezeigt, obwohl sie schon einige Jahre alt war.«

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Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
17.03.2015

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