© Queeruption
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Bestandsaufnahme Sex in der Stadt

Was läuft durch die sexpositive Bewegung 2019 in den Darkrooms Wiens? Zur Flüchtigkeit sexueller Begegnung in einer durch die »Krise des Gewöhnlichen« charakterisierten Zeit.

Gleich vorneweg: Ich als Schreiberin* muss bekennen, dass ich, wie wahrscheinlich viele andere auch (obwohl von einer optisch normativ privilegierten Position aus gesprochen), schon mein Leben lang Schwierigkeiten in der herkömmlichen Anbahnung von sexuellen Interaktionen (und noch viel mehr von Paarbeziehung) hatte. Wie gelegen kommt es mir also, dass – wie immer verspätet – endlich die Möglichkeiten der sexpositiven Bewegung auch in Wien angekommen sind.

Sexpositivity
Wodurch zeichnet sich Sexpositivity aus? Einerseits sicherlich durch ein Heraustreten ihrer sexuellen Akteur*innen aus dem privaten, verschämt abgedunkelten Schlafzimmer, in dem ein »Mann« mit einer »Frau« Sex hat. Sex-Positive-Partys in Clubs sind nunmehr neuer Ort des Geschehens. Aber wie kann es funktionieren, dass Konsens über geplante Sexhandlungen zwischen Partizipierenden gefunden wird, insbesondere bei den großen Menschenmassen, die diese Partys stürmen? Ist mir persönlich noch aus den Anfängen der sexpositiven Bewegung die Erstellung und Verbreitung von Regeln in mündlicher wie gedruckter Form in queer-feministischen Zusammenhängen vertraut, wird das bei der Party, die ich am 8. Februar 2019 inspizierte (F*cken plus, organisiert von Meat Market im Das Werk Wien), außen vor gelassen. Der neue Darkroom an diesem Ort war leider komplett dysfunktional: Die ihn Besuchenden trafen sich dort anstatt für Sex zu einem entspannenden Plauderstündchen. Ich sag nur bezüglich der Konzeptionierung solch eines Sexraums: von nix kommt nix. Sogar die Gays, denen Triebgesteuertheit zugesprochen und -gestanden wird, ließen diesmal vollkommen aus mit Action.

Einlasspolitik
Die Hausgemacht-Sex-Positive-Partys, von denen die letzte ebenfalls am 8. Februar 2019 im Club Alice in Wien stattfand und deren Gründungsidee aus dem Party- und Sex-Mekka Berlin und dem verruchten KitKat-Club stammt, sind von dem inzwischen geschlossenen Club Auslage in ebendiesen kleinen Club Alice im ersten Wiener Gemeindebezirk übersiedelt, bei dem sich Besucher*innen mehrere Stunden anstellen müssen, bis ihnen Einlass gewährt wird.

Regeln
Mehrere Securities begutachten, ob der Dresscode von den Einlass-Begehrenden beachtet wurde bzw. das Outfit passt. Über die damit betrauten Securities vernahm ich in meiner Recherche auch negative Besucher*innenstimmen zu den selektiven Musterungs- und potenziell nachfolgenden Ausschlussverfahren. Die verlangte Nacktheit und Fetischkleidung auf den Hausgemacht-Partys bedarf jedenfalls intensiverer Vorbereitung im Vorfeld. Erst dann ist Zutritt erlaubt.

Was tun auf einer Sex-Positive-Party?
In der sexuellen Interaktion dort gilt jedenfalls und immer »Nein heißt Nein«. Wenn sich Personen darüber hinwegsetzen oder es zu Übergriffen kommt, wird die Person vom Club-Personal oder dem Awareness-Team hinausgeworfen.

Awareness-Team und Safer Sex
Das Awareness-Team ist eingerichtet, um bei solchen Konflikten einzugreifen und außerdem, um Kondome zu verteilen und über Safer Sex und Geschlechtskrankheiten aufzuklären. Gummi-/Latexhandschuhe und Dental Dams für sicheren Verkehr unter FrauenLesbenInterTrans* wurden bedauernswerterweise nicht verteilt. Eine vernachlässigbare Zielgruppe? Schwerer aufzutreiben und teurer als Kondome jedenfalls.

Kein Alkohol und andere Drogen
Sex-Positive-Partys sollen ohne Alkohol- und Drogenkonsum ablaufen, damit Gäste bei vollem Bewusstsein entscheiden können, was sie wollen und tun.

Negotiation
Ein großer Verdienst der Pro-Sex-Bewegung ist sicherlich die Kommunikation über und das Ausdrücken-Können von sexuellen Bedürfnissen und Wünschen und ob diese mit jenen anderer Personen kompatibel sind. Ich bin ein großer Fan dieser Verhandlungen, bei denen ich selbst mir im Klaren darüber sein muss, was ich will und wo meine Grenzen sind, wie auch alle anderen teilhabenden Personen. Das heißt, Partizipierende sollten sich darüber Gedanken gemacht haben und in der Lage sein, diese Wünsche und Bedürfnisse gegenüber anderen auszudrücken. Im Moment des sexuellen Geschehens kann es dann aber immer noch zu unvorhergesehenen Ereignissen und Gefühlslagen kommen, bei denen es ratsam ist, über diese ebenfalls mit z. B. einem ausgemachten Code-/Stopp-Wort zu sprechen.

Love
Diese Art der mittlerweile abgefeierten Pro-Sex-Bewegung bietet etliche Vorteile, die ich nicht missen möchte; nichtsdestotrotz und nicht zu vergessen birgt sie in sich auch ihre Grenzen und lässt schwer auch über den Konsumcharakter von sexuellem Austausch hinwegtäuschen. Trotz wünschenswertem Aftercare und Kuscheln »danach«, das auch nicht in jedem Kontext praktiziert wird, können sich Pro-Sex-Orte auch durch eine gewisse Kälte und Pragmatik auszeichnen à la »Schön war’s und tschüss!« Für romantische Liebesgefühle gibt es selten Raum bzw. Entwicklungsmöglichkeiten. Ob ich das jemals noch erleben darf, dass diese auch solcherorts Eingang finden dürfen und Legitimation erhalten? Wäre doch noch etwas! Immer in Sehnsucht nach dem Brechen von »No-Gos«, die bestimmten Orten eingeschrieben sind. Aber mit dem artifiziell hergestellten Liebeswahnsinn werden wir ohnehin am kommenden Valentinstag bombardiert.

Übrigens, nächste Hausgemacht-Party: 13. April 2019 in der Grellen Forelle.

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