Wenn man bis zum Ende einer Aufführung nicht so recht weiß, ob das jetzt großartige oder schreckliche Kunst war (bzw. ist), dann sollte man eher die großartige Deutungsvariante bevorzugen. Allein schon, dass man so lange genötigt wurde, den eigenen Urteilsspruch aufzuschieben, muss als Verdienst des Künstlers beklatscht werden. Das sahen aber nicht alle Besucher der Uraufführung von Wolfgang Mitterers Komikoper (oder Comic-Opera) »Baron Münchhausen« im Wiener Rabenhof so. Der Applaus war enden wollend und ein Grund dafür mag zunächst wohl in der sportlichen Kürze des Werkes liegen – ein mageres Stündlein. (Weswegen man eigentlich eher von einem Operl als von einer Oper sprechen sollte.) Ein anderer Grund verbarg sich vielleicht in den eher unoperlichen Aspekten von Mitterers Werk. Etwa dass ein Großteil der Musik vom Band kam, und nur Gesang, Kontrabass und Schlagwerk live erklang, hat einige Opernfreunde wohl irritiert. Parallel dazu kam auch die Inszenierung gewissermaßen vom Band. Die Akteure bewegten sich zwischen zwei Leinwänden (die vordere war halbtransparent, ein ständiger Vorhang also zwischen Publikum und Ensemble) und folgten in ihren Aktionen dem vorprojiziertem Geschehen. In konzeptioneller Hinsicht sehr stimmig, aus rezeptioneller Sicht (wenn man so sagen darf) nur die halbe Miete. Zwar erzeugte dieser visuelle Overkill einige gelungene Synergien (als der Baron etwa das Leck im virtuell flimmernden Boot mit seinem Allerwertesten abdeckte), an anderen Stellen hingegen sah man vor allem den Akteuren beim Betrachten desselben Films zu. Was aber wiederum die Absurdität oder eben das Münchhausnerische des gesamten Unterfangens recht hübsch unterstrich. Denn musikalisch und thematisch kam man nicht umhin, an György Ligetis »Le Grande Macabre« zu denken. Auch das eine Oper, die den Unfug als Stil- und Entgrenzungsmittel einsetzt, um zugleich künstlerische Avantgarde und dessen Persiflage zu sein. Doch Mitterer ist eben nicht Ligeti (ein Tüftler zwar auch, aber kein derart besessener), weswegen sich seine Minioper wesentlich eingängiger gibt. Melodiöse Spurenelemente und naturalistisch anmutende Passagen begleiten Münchhausen auf seiner Reise, mitunter darf man Dank dezent eingestreuter Klassiksamples sogar »Polystilistik« sagen. Der expressive, ein wenig atonale Luft atmende Gesangsvortrag (es nur Gesang zu nennen, wäre untertrieben) nimmt sich dabei offenbar selbst nicht ganz ernst, steht der Parodie also näher als dem Versuch, eine wirklich zeitgenössische Oper zu schaffen. Kein Wunder, dass »Baron Münchhausen« streckenweise mehr wie ein Opernsoundtrack wirkt, bei dem zufällig auch darstellender Gesang involviert war.
Und das heißt dann also ?? Verriss oder Hymne? Weder noch, sondern am ehesten noch eine Parodie von beiden (wer sich mit dem Humor ins Bett legt, darf sich nicht wundern, wenn die Kritiker nur faule Witze reißen ??). Sehens- und hörenswert ist dieser Münchhausen allemal, insbesondere eine CD dieser Oper sei hiermit ausdrücklich erbeten. Denn Mitterers absurd-verspielter elektroakustischer Opernsoundtrack schreit danach, immer und immer wieder durchstöbert zu werden. Wie ein Schatzkistchen voll mit funkelnden Plastikperlen und Kapitän-Iglu-Gold.
Foto © Curt Cuisine