Barbara Seidl, Literaturhaus Wien © Litrobona
Barbara Seidl, Literaturhaus Wien © Litrobona

Avantgarde war gestern … was bleibt ist Arrière-goût #7

Der Arrière-goût ist der Nachgeschmack der künstlerisch-literarischen Revolte, mit dem Schriftsteller*innen, Aktivist*innen und Kulturarbeiter*innen heute umzugehen einen Weg gefunden haben. Wir diskutieren mit ihnen diesen Umgang in loser Folge. Diesmal mit der Literaturplattform Litrobona.

Allzu gern wird unter dem Begriff Plattform jener Ort verstanden, der zwar einen fantastischen Ausblick gewährt, jedoch führen von dort die meisten Wege im freien Fall in den Abgrund. Tatsächlich kann der Terminus auch als Sammelstelle für anstehende literarische Umtriebe verstanden werden, mit der Aussicht, Teil des Nachgeschmacks unserer Zeit zu werden. In dieser Serie werden unter diesem Gesichtspunkt in unregelmäßigen Abständen Kleinverlage, Literaturzeitungen, Literatur- und Kunstkollektive zu einem Interview gebeten.

Litrobona, die 2020 gegründete Plattform für Literatur in und aus Österreich, gibt ein gleichnamiges Magazin heraus, betreibt den Podcast »Litrophon« und pflegt aktiv und umsichtig ein weit verzweigtes Netzwerk. Im Gespräch mit Herausgeberin Barbara Seidl erfahren wir mehr über Wünsche und Träume, Pläne und Ziele sowie Publikationserfahrung im englischsprachigen Raum.

Barbara Seidl © Litrobona

skug: Die Plattform Litrobona besteht seit März 2020, sie ist also noch relativ jung und ist in dieser kurzen Zeit ganz schön und gut gewachsen. Was ist Litrobona eigentlich? Was bietet diese Plattform und für wen?

Barbara Seidl: Litrobona ist als direkte Reaktion auf den ersten Lockdown entstanden. Die ursprüngliche Idee war, eine Plattform zu schaffen, auf der einerseits Online-Angebote geteilt werden und andererseits auch gezeigt wird, wie der österreichische Literaturbetrieb mit dieser schwierigen Situation umgeht.

Ich fand es vor allem spannend, auch Randthemen wie Selbstpublikation oder verschiedene Barrieren, denen sich Autor*innen gegenübersehen, anzusprechen und zu schauen, wie die Literaturszene mit der Verlagerung ins Internet umgeht.

Im August 2020 ist dann noch der Podcast »Das Litrophon« hinzugekommen, seit Dezember 2021 gibt es Litrobona auch als Literaturzeitschrift, die sich zwei Mal pro Jahr jeweils einem bestimmten Thema widmet. Ab September 2022 wird es zudem eine Lesereihe geben. Wie bereits beim Online-Format, liegt auch bei der Zeitschrift ein Fokus darauf, noch weniger bekannten Autor*innen die Möglichkeit zu geben, sich einer breiteren Leser*innenschaft zu präsentieren. Auf der Webseite gibt es dafür eine eigene Rubrik, »Im Spotlight«, in der in unregelmäßigen Abständen Autor*innen vorgestellt werden, die in den Medien noch nicht so präsent sind. Auch im Rahmen der Lesereihe möchte ich neben bereits etablierten auch noch weniger bekannten Autor*innen die Möglichkeit geben, ihre Texte vor Publikum zu lesen. Der Schwerpunkt »Literatur in und aus Österreich« wurde gewählt, um den Begriff »österreichische Literatur« zur Diskussion zu stellen und zu zeigen, was diese Bezeichnung alles miteinschließen kann. Dabei ist es mir wichtig, möglichst viele verschiedene Seiten von Literatur zu zeigen und eine breite Zielgruppe anzusprechen. Idealerweise werden die Leser*innen dadurch angeregt, auch mal etwas Neues auszuprobieren, zu Büchern zu greifen, die sie vorher vielleicht übersehen hätten.

Katharina Sachs, Literaturhaus Wien © Litrobona

Wie kam es dazu, dass du entschieden hast, dich daran zu setzen und diese Plattform zu errichten. Soweit ich das literarische Feld einschätzen kann, wird ein finanzielles und kommerzielles Interesse nicht das ausschlaggebende sein. Was ist deine Motivation?

Vor allem Neugierde. Ich kannte den österreichischen Literaturbetrieb vor Litrobona selbst noch kaum. Als Autorin habe ich bisher hauptsächlich im englischsprachigen Raum publiziert. Während meines Studiums der Vergleichenden Literaturwissenschaft habe ich immer wieder von Kolleg*innen gehört, dass sie schreiben und auch bereits publiziert haben, in den Medien war jedoch immer nur von den gleichen etablierten Autor*innen zu lesen. Hier sah ich eine Lücke, die es zu füllen galt. Außerdem haben die letzten Jahre deutlich gemacht, welch wichtige Rolle Soziale Medien mittlerweile auch im Kulturbetrieb spielen. Ich fand es spannend, damit zu experimentieren, auszuprobieren wie Soziale Medien auch jenseits von Selbstinszenierung für Information, Diskussion und Kulturmarketing genutzt werden können.

Es gibt ein Lied von Rio Reiser, dem Sänger von Ton Steine Scherben, das den Titel trägt: »Wovon träumst du?« Du selbst hast einmal gesagt, dass du dir mit Litrobona einen Traum erfüllt hast. Wovon träumst du jetzt in Bezug auf Literatur und die Plattform Litrobona?

Mit der Literaturzeitschrift und jetzt mit den Lesungen gingen zwei Wünsche in Erfüllung, die ich mir so vor zwei Jahren niemals hätte erträumen lassen. Momentan arbeite ich, zusammen mit Anna Herzig, an einem Konzept für einen weiteren Podcast, für den wir Akteur*innen aus verschiedenen Bereichen des Literaturbetriebs zu ihren Arbeitsbedingungen befragen möchten. Damit möchten wir zu gegenseitigem Verständnis und mehr Zusammenarbeit beitragen. Die Literatur ist eine Kunst, bei der, anders als bei der Musik, erstmal jede*r für sich alleine arbeitet und wenn die Autor*innen dann zusammenkommen, geht es sehr oft um Konkurrenz. Das ist sehr schade. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Gemeinschaftsprojekte gibt und auch mehr Möglichkeiten, sich auszutauschen. Im Allgemeinen träume ich davon, dass es in der Zukunft mehr Unterstützung und Förderung für Literatur gibt, auch aus der Privatwirtschaft. Dass mehr Unternehmen den Mut haben, in kulturelle Arbeit zu investieren, etwa in Form von Stipendien, Preisen oder Veranstaltungen.

Katherina Braschel, Literaturhaus Wien © Litrobona

Eine Textzeile aus dem Lied lautet: »Wir sind die Zukunft, wir sind die Antwort, wir sind die Helden! Wir sind die Stars!« Für mich sind diese Zeilen eine Ermutigung für Graswurzelbewegungen, Dinge von unten aufzubauen und ein Hoch auf die Selbstermächtigung. Ich denke, Schreiben und der Aufbau von Strukturen im literarischen Feld baut auf ähnliche Impulse. Vielleicht nicht ganz so erhöht wie bei Rio Reiser und etwas mehr gebrochen. Wie siehst du diese Frage von Selbstermächtigung und etwas von unten aufbauen?

Ich habe den Eindruck, dass sich diesbezüglich in den letzten Jahren viel getan hat. Es sind viele neue Initiativen entstanden, viele engagierte Leute haben mit kreativen Ideen die Szene aufgemischt und bunter gemacht. Ich bin absolut für Selbstermächtigung und würde jedem*jeder raten, sich einfach zu trauen und Ideen umzusetzen. Ich finde es aber auch sehr wichtig, auf Leute außerhalb der eigenen Bubble zuzugehen, weil das letztendlich die einzige Möglichkeit ist, wirklich was »von unten« zu bewirken. Wenn ich etwas verändern will, muss ich es auch irgendwie schaffen, von Menschen gehört zu werden, die nicht ohnehin bereits genauso denken, wie ich.

Der letzte Aspekt scheint mir ebenfalls sehr wichtig. Die Bezugnahme auf die Szene oder die Bubble hat seine Berechtigung und Funktion, jedoch sollte es da nicht aufhören, sondern weitergehen. Viele Initiativen und Projekte wollen das auch, aber schaffen es kaum. Hast du Ideen wie das gehen könnte? Wohin orientieren sich deine oder eure Versuche?

Ja, das ist oft eine Herausforderung. Ich fand hier Social Media und die Werbemöglichkeiten dort sehr hilfreich, die im Vergleich zu anderen Werbeformaten auch leistbar sind. Dabei habe ich zum Teil absichtlich Zielgruppen außerhalb meiner eigenen Bubble angegeben. Auch abseits von Social Media ist es wichtig, möglichst vielen Leuten vom eigenen Projekt zu erzählen. Ich glaube es lohnt sich, ein paar Sachen auszuprobieren und vor allem mit möglichst vielen Leuten darüber zu sprechen.

Markus Köhle, Literaturhaus Wien © Litrobona

Du hast vorhin auch gesagt, dass du hauptsächlich im englischsprachigen Raum publiziert hast. Was sind hier deine Erfahrungen und kannst du einen Vergleich zur Literaturproduktion in Österreich ziehen?

Meiner Erfahrung nach ist es im englischsprachigen Raum leichter, publiziert zu werden – zum einen, weil es mehr Publikationsmöglichkeiten gibt, vor allem im Bereich der Online-Magazine, zum anderen, weil größtenteils anonym gelesen wird und somit alle die gleichen Chancen bekommen. Es ist auch üblich, dass eine geringe submission fee, also Einreichgebühr, verlangt wird (etwa zwischen 3 und 20 US-Dollar), von diesem Geld werden dann die Autor*innen-Honorare bezahlt. Das heißt aber auch, dass es selbst für Kürzestgeschichten bei den meisten Magazinen ein kleines Honorar gibt und seien es nur 10 oder 20 US-Dollar. Dieses System funktioniert also quasi wie ein Crowdfunding, bei dem ich als Autorin ein paar Dollar investiere, dafür dann aber im Falle einer Veröffentlichung mit einem Honorar entlohnt werde. Bei größeren Plattformen, wie etwa »Narrative Magazine«, betragen die Honorare bis zu 5.000 US-Dollar. Diese Möglichkeiten fehlen im deutschen Sprachraum ein wenig. Überhaupt bräuchte es mehr Online-Magazine, bei denen auch kommentiert werden darf und sich die Autor*innen ein wenig austauschen können.

Kommen wir zum Abschluss noch zur Zukunft. Was sind deine weiteren Pläne als Schriftstellerin? Und dann interessiert mich, was demnächst bei Litrobona auf dem Programm steht und auch, was deine bzw. eure langfristigen Ziele sind.

Momentan habe ich leider nicht so viel Zeit für meine eigenen schriftstellerischen Projekte, das fehlt mir ein wenig. Für nächstes Jahr habe ich mir vorgenommen, mir für mein eigenes Schreiben wieder mehr Raum zu geben, ich habe da bereits ein, zwei Ideen für Langessays. Die nächsten Programmpunkte bei Litrobona sind Romane, die sich mit dem Leben im Dorf beschäftigen und dann ist auch noch ein Fantastik-Schwerpunkt und um die Weihnachtszeit wieder ein Kinderbuch-Special geplant. Im nächsten Jahr soll es auch wieder Lesungen geben, idealerweise möchten wir mindestens eine Lesung in jedem Bundesland schaffen. Ende September hatten wir unsere erste Lesung im Literaturhaus Wien, eine wirklich schöne Veranstaltung, am 18. Oktober 2022 gab es eine im Literaturhaus Graz und am 4. Dezember 2022 wird es eine weitere Lesung im Kulturverein Das Dorf in Wien geben. Die Lesungen sind eine schöne Gelegenheit, die vielen Litrobona-Autor*innen auch einmal persönlich kennenzulernen. Dieser Austausch ist sehr bereichernd und auch wichtig. In Zukunft würde ich zudem auch gerne Treffen organisieren, bei denen sich Autor*innen austauschen und über ihre Erfahrungen sprechen können, sozusagen Networking-Events für Schriftsteller*innen. Ich glaube, das ist etwas, was vor allem Autor*innen, die erst beginnen, in der Literaturszene Fuß zu fassen, oft fehlt.

Heft 1 und 2 © Litrobona

Links:

https://litrobona.com/

https://litrophon.podigee.io/

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