© Tom Zeitlhuber
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Auf Fortschritt folgt Aufschwung

Das war das Salon skug BAM! Wahlspecial zur Wienwahl. Am Sonntag, dem 27. April 2025 haben wir wieder mit viel Expertise unsere parteiunabhängige Wahlanalyse durchgeführt und erlauben uns die Frage, wie es jetzt mit der Demokratie – lokal und global – weitergeht.

Die Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen sind seit Langem geschlagen und wir haben der neuen und alten Stadtregierung aus SPÖ und NEOS ausreichend Zeit gegeben, eine neue und alte Koalition zu bilden. Die alte hieß »Fortschrittskoalition« und die neue hat sich wider Erwarten nicht »Koalition des institutionalisierten Fortschritts« genannt, sondern »Aufschwungskoalition«. Da schwingen sich in der skug Redaktion gleich mal begeistert die Daumen bis zu Decke auf. Am Wahlabend waren jedenfalls die Anwesenden im Wiener Flucc zumindest happy, dass es diesmal nicht ganz so schlimm gekommen ist, wie bei den Wahlspecials zuvor. Es liegt also nicht ursächlich am Salon, wenn es verheerend (Nationalratswahl) oder katastrophal (USA) endet.

Was dürfen wir in Wien von einer Koalition erwarten, die tüchtig sparen muss? Nun, die Koalitionär*innen wollen sich um eine »AI Gigafactory« bewerben. skug hat ChatGPT gefragt, wie viele missverständliche Formulierungen in diesem einen Titel sind, und die AI kam auf mindestens fünf. Die ersten vier sind leicht: Es ist nicht »artifiziell«, es ist nicht »intelligent«, es ist nicht »giga« und es ist keine »Fabrik«. Aber – fünftens – die Formulierung als Ganzes suggeriere eine »übertriebene Bedeutung« und ein »Marketing-Overhyping«. Danke, Bruder Chat! Also nicht einmal die AI selbst ist überzeugt von dem Kram. Dabei geht es der AI doch um ihr eigenes Überleben als Overhype. Kombiniert mit einer geplanten Teststrecke für autonomes Fahren kann einem vor Innovationskraft ganz schummrig werden. 

Nur, es gibt dankenswerterweise auch Konkretes. Die Ringstraße soll umgestaltet und das Potenzial der Nebenfahrbahnen ergründet werden. Gute Idee. Der Fahrradverkehr ist am Ring nicht mehr nachhaltig, Radfahrer*innen und Fußgänger*innen gehen einander auf den viel zu schmalen Wegen tüchtig auf den Geist. Warum also nicht die Nebenfahrbahnen, die weitgehend als Parkplätze dienen, den Autos wegnehmen und für die Radeln hergeben? Die Autos haben in der Mitte immer noch drei Bahnen, um im Stau zu stehen. Im nächsten Schritt wäre dann der Gürtel ein lohnendes Ziel. Derweil ist der weitgehend nur für lebensmüde Radfahrer*innen attraktiv.

© Tom Zeitlhuber

Welche Folgen haben die Ergebnisse?

Die Zahlen der Wiener Bezirksvertretungs- und Gemeinderatswahlen 2025 nochmals im Schnelldurchlauf: Die SPÖ ist mit 39,38 % stimmenstärkste Partei geworden. Sie hat sich mit den NEOS, die genau 10 % der gültigen Stimmen erhalten hat, auf die »Aufschwungskoalition« geeinigt. Weil kleinere Parteien wie die KPÖ (4,06 %) und das Team HC Strache (1,10 %) den Einzug in den Gemeinderat mehr oder minder deutlich verpasst haben, genügt das, um auf mehr als die Hälfte aller Mandatar*innen zu kommen. Die Grünen erreichten 14,52 % der gültigen Stimmen, die FPÖ gar 20,35 %. Die ÖVP Wien hat mit 9,65 % ordentlich abgebaut und in der Folge ihren Chef ausgewechselt.

Doch wie werden die Wahlergebnisse, jenseits der großspurigen Koalitionsankündigungen, auf die Wiener*innen langfristig auswirken? Was heißt das konkret für die Kulturszene? Wer war von dieser Wahl ausgeschlossen? Wie lässt sich Mitbestimmung anders gestalten? Und wie hängt das mit dem österreichischen Wahlsystem zusammen? Diese Fragen haben wir mit anderen Journalist*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen diskutiert. Mit an Bord waren unter anderem: »Augustin«, »Frauen.Solidarität«, IG Kultur, 4lthangrund für alle, St. Marx für alle, Wochenklausur sowie ehemalige und amtierende Bezirksrät*innen. Siawash Ramin und Peter Supp haben live für Radio Orange 94.0 übertragen. Hier einige Highlights unseres Wahlspezials – zum Nachlesen und Nachhören.

Das Wahlsystem braucht eine Wochenklausur

Wie neutral ist eigentlich unser Wahlsystem? Diese Frage hat sich das Künstler*innenkollektiv Wochenklausur gestellt. Drei Wochen vor der Wahl haben sie »Wahllabore« aufgebaut und 2.000 Interessierte an einer performativen Wahl teilnehmen lassen. Die Überlegung dahinter laut Wolfgang Zinggl: »Unser Experiment basiert auf dem Gedanken, dass die Wahlsysteme bei demokratischen Überlegungen viel zu wenig bedacht werden. Und dass wir von den Wahlsystemen vielleicht mehr abhängig sind als von dem, was wir wählen.« Der ehemalige Parlamentsabgeordnete gibt ein Beispiel: »Drei Personen möchten ein Wochenende Urlaub machen. Zur Disposition stehen London, Paris und Rom. Stimmen zwei Personen für London und eine für Paris, würden sie unserem Wahlsystem gemäß nach London fahren. Aber was, wenn man die Frage umkehrt: Wo möchte man auf keinen Fall hin? Zwei sagen keinesfalls Paris, eine sagt, nicht nach London. Dann fahren sie nach Rom.« Nun gibt es auf der Welt 250 Wahlsysteme. »Wären diese Wahlsysteme gleich demokratisch, würden sie gleiche Ergebnisse bringen. Doch das tun sie nicht.« Das konnte die Wochenklausur mit ihrem experimentellen Setting zeigen. Man darf ausschließlich für eine Partei stimmen? Die SPÖ liegt vorne. Ausschließlich gegen eine? Die NEOS schneiden sehr gut ab, die FPÖ sehr schlecht. Das zeigt: Das Wahlsystem bestimmt das Ergebnis mit.

Kultur braucht Raum

Die Stadt Wien sieht vor: Pro 100 m² Wohnnutzfläche muss ein Parkplatz zur Verfügung stehen. Dass Autos das Stadtbild bestimmen, ist damit gesetzlich verankert. Eine ähnliche Absicherung von Kultur steht noch aus. Ganz im Gegenteil, Platz ist rar und insbesondere für nicht-kommerzielle Initiativen oft an sehr schlechte Bedingungen geknüpft. Darüber haben wir mit Fricka Lindemann und Réka Novák von 4lthangrund für alle sowie Irmgard Almer von der IG Kultur Wien gesprochen. Letztere stellte fest: »Kunst und Kultur soll in Wien kein Anhängsel sein. Wien ist eine Kulturmetropole, aber vorwiegend unter dem Label des Tourismus. Wir fordern unter anderem, dass im Stadtentwicklungsplan Kunst und Kultur als Kennzahl verankert werden soll. Das heißt: Ein bestimmter Bereich an Quadratmetern muss mitgebaut und mitfinanziert werden.« Fehlt eine solche Absicherung, trifft das vor allem nicht-kommerzielle Initiativen, wie das von 4lthangrund für alle betriebene Kulturzentrum 4lthangrund. Dieses ist akut von der Auflösung bedroht, da das Areal der Alten WU abgerissen werden soll. Réka Novák fasst die Grundproblematik zusammen: »Wer nicht-gewinnorientiert arbeitet, kann das nur in Orten, die nicht gewinnbringend sind. Aber man gibt diesen Räumen Wert – durch prekäre Arbeit. Die Stadt schreibt sich liebend gern auf die Fahnen, wie toll solche Initiativen sind. Aber nach fünf Jahren nehmen sie uns die Räume wieder weg. Das ist aktuell die Realität alternativer Kulturräume.«

Übrigens, bei der Diskussion weigerte sich Irmgard Almer (zu Recht), ein Resümee zu geben: »Das Schlusswort sollte bei den Initiativen sein. Danke für eure Arbeit!« Nun ist Almer nach 21 Jahren als Geschäftsführerin der IG Kultur Wien zurückgetreten. Jetzt ist es an uns zu sagen: Danke für deine Arbeit!

Bezirkspolitik braucht Leidenschaft

Für Menschen, die sich mal so richtig schön was aufhalsen wollen, hat man die Bezirkspolitik erfunden. Die Hürden sind gerade in Wien astronomisch. Wer mit neuer Partei und Liste antreten will, muss in jedem Bezirk einzeln die genügend große Anzahl an Unterstützer*innen einsammeln. Die müssen von der Straße ins Gemeindeamt geleitet werden, um dort ihre Unterschrift persönlich zu hinterlassen. Elektronische Wege zum Mitbestimmungsglück? »Computer says no.« Auf der Straße fremde Menschen ansprechen, um mit ihnen über Politik zu reden, ist immer etwas, das Nerven wie Drahtseile erfordert. Und das bei jeder physischen und psychischen Wetterlage. Klassikerzitat für Politik-Aktivismus auf Bezirksebene: »Wann kommen wir uns wieder entgegen, im Blitz und Donner oder in Regen?« Die Prozenthürden für den Einzug in den Gemeinderat sind in Wien fies hoch, aber zumindest in die Bezirksvertretungen können es die Kleinen schaffen und dann heißt es, »Sitzfleisch entwickeln«. Da die Rechte der einzelnen Abgeordneten ohne großen Club winzig sind, gibt es kaum Einflussmöglichkeiten. Und dennoch, es lohnt sich. Wir sprachen auf dem Salon mit Mitbürger*innen, die sich das antun. 

Wir brauchen Punk

Viele sagen: »Bei dieser Weltlage sind Kopfschmerzen meine Wohlfühloase.« Die Punker vom Café Schädlweh hatten die – darf man sagen – unerwartet schöne und erfüllende Aufgabe, aufzutreten, nachdem niemand mehr wusste, was zu dem Wahlergebnis noch zu sagen wäre. Kein Problem für eine Gruppe Musiker, die ganz tief drinnen in ihren Herzen spüren, wie oberg’schissen Wien ist. Mit Horror-Punk im Gepäck geht es deshalb in den Schanigarten, um denen auf den Kopf zu schlatzen, die sich mehr Anteilnahme nicht wünschen können. Zwei Minuten dreißig, in denen der Rhythmusknüppel das Trommelfellschnitzel weichklopft und Stromgitarre und Bass die letzten Fetzennähte auftrennen, ergehen in den Äther. Danke, Punk von Café Schädelweh, du wirst für immer in unserer Eustachi-Röhre wohnen und da weiterwummern. Summieren wir kurz textlich: »Depression, Pessimismus, Lichtverschmutzung, Luftverschmutzung, Überfischung, Artensterben, Schutt und Asche« – diese world ist hart, over und out. Kein Grund jetzt für eine dieser furzlangweiligen Verzweiflungsattacken, denn neue Zivilisationen stehen sicherlich bereit. Irgendwo. Einfach mal einen Werbebanner an den nächstbesten Kometen hängen und dann werden sich die Richtigen schon zusammenfinden. Wer so wie Café Schädlweh kosmisch mitdenkt, sollte wirklich mal im Radio spielen, damit mehr Menschen verstehen: Ohne Punk kriegt man die ganze Scheiße ja nie mehr auf die Reihe. Nochmals danke und bis zum nächsten Mal!

Und haben wir eine Art Fazit?

Wer bis hierin gelesen hat, ist wirklich an der Demokratie interessiert. Gratulation und danke. Die Wienwahl mag in ihrem Ergebnis und in ihren Auswirkungen einigermaßen beruhigend sein, bei der Welt als Ganzes brennt hingegen der Hut. Auch Wien muss sich fragen lassen, wie weit die Abwehr von autoritären, teilweise darf angesichts der FPÖ auch von faschistischen Tendenzen gesprochen werden, gelingen kann, wenn mit neoliberalen Akteur*innen in den Regierungsparteien dann doch wieder nur bestenfalls Verschnaufpausen erkauft werden können. Wenn die Demokratie in Gefahr ist, wäre es schön, der Wahlbevölkerung das Erlebnis zu ermöglichen, dass sich tatsächlich auch mal etwas in die andere Richtung ändern kann. Dass es mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung, mehr echten sozialen Ausgleich gibt und nicht nur deren Simulation. Die fraglos wohlmeinenden Akteur*innen im Wiener Rathaus müssten sich ganz hart fragen, ist es wirklich unmöglich, Mieten auch mal zu senken, ist es in Stein gemeißelt, dass Ausländer nicht wählen dürfen, und vieles mehr, zumal man im Bund doch mitregiert.

Wir erleben seit Jahrzehnten einen scheinbar unaufhörlichen Rechtsruck, der aus zwei Komponenten besteht: Rechte, rechtsautoritäre und rechtsextreme Parteien wagen sich vor und begehen Tabubrüche. Die werden zwar von Mittelinks beklagt, aber dann im Laufe der Zeit hingenommen und teilweise sogar thematisch adaptiert. »Asylrecht« braucht hier nur einmal als Vokabel genannt zu werden. Linke und Liberale sind immer in Furcht vor der nächsten Themensetzung von rechts. Gleichzeitig ersticken sie in Selbstzensur, wenn es um die eigenen Agenden geht. Statt einfach mal ebenso frech die hin und wieder erlangte Macht auszunutzen und Themen und Initiativen zu setzen, die rechts das Toupet zur Decke fliegen lassen, schielt man ängstlich in die »Mitte«. Dabei enttäuscht man die eigenen Unterstützer*innen und verliert die Wechselwähler*innen, weil die sich – nicht zu Unrecht – denken: »Na ja, ganz so ernst scheinen es die Linken ja nicht zu meinen.«

Das lässt Übles befürchten. Volkskanzler Kickl sitzt im Bund im Startloch, die FPÖ ist in Wien bei über 20 % trotz Charisma-befreitem Spitzenkandidaten und gelangweiltem Wahlkampf. Wenn irgendwas passiert, dann können die Blauen ganz schnell an der Macht sein und wie ihr oranges Vorbild in Washington sind sie dann besser vorbereitet denn je, den illiberalen Staat durchzusetzen. Also sollten auch die Linken sich vorbereiten. Machen wir. Der nächste Salon finden am Samstag, dem 28. Juni 2025 im Wiener Museumsquartier statt und trägt den bezeichnenden Titel »Speeddating Demokratie«. Wir trommeln verschiedene Kunst- und im weitesten Sinne Demokratie-Initiativen zusammen und möchten Anknüpfungspunkte für möglichst viele bieten, die sowohl die Lust empfinden, selbst aktiv zu werden, als auch die dräuende Not verspüren, jetzt etwas zu tun. Wir sollten uns jetzt zusammenschließen und solidarisieren, sonst könnte es ganz schnell knapp werden. Weitere Infos demnächst auf diesem Kanal. 

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