Woher die beiden Schwestern, die das Duo Jolly Goods bilden, kommen, spielt letztlich keine Rolle: aus London, New York, Melbourne, einer deutschen Kleinstadt … Diese Musik könnte überall entstehen – und sie scheint einen großen Haufen auf Attribute wie Originalität, Eigenständigkeit oder Innovativität zu scheißen. Jolly Goods bedienen sich einfach der Mittel, die sie am Straßenrand ihres (Musik-) Lebens finden. Jedes einzelne Stück auf »Walrus« scheint aus Bestandteilen eines Standard-Baukastens für Punk und/oder Trash-Rock zusammengeschmiedet zu sein: White Stripes, Patti Smith, PJ Harvey, Velvet Underground und so weiter – Hardcore-Eklektizismus eben. Bemerkenswert ist aber die Unbeschwertheit, Intensität und Leidenschaft, mit der sie das tun. Bemerkenswert auch der exaltierte Gesang von Tanja Pippi, der sich bei allem Abkupfern dann doch gehörigen Respekt verschaffen kann und gut zwischen hysterischem Kreischen und Midtempo-Crooning hin und her oszilliert.
?berhaupt täuscht der anfängliche Eindruck eindimensionalem Krach-Rocks: schon ab Stück drei wird das Tempo gedrosselt und nur noch sporadisch wirklich Fahrt aufgenommen, etwa bei »Try«, der Quasi-Singleauskopplung. Balladen und Midtempo-Stücke dominieren letztlich das Album, immer wieder tauchen Keyboard-Sprengsel und kleine Soundspielereien auf – möglicherweise ein Einfluss von Dirk von Lowtzow of Tocotronic-Fame, der hier als Koproduzent in Erscheinung tritt. Das wahre Juwel des Albums findet sich im letzten Viertel und ist mit über sechs Minuten gleichzeitig das längste Stück: »Sad Side Of The Tongue« lebt von dem Kontrast zwischen wuchtigen Gitarrenakkorden und verträumten Gesangslinien und reicht damit durchaus an die guten Momente von den Pixies oder Dinosaur Jr. heran. Ein Anliegen scheint der Band auch das In-Frage-stellen von Geschlechterrollen und -Stereotypen zu sein. Im Stück »If I Were A Woman« (übrigens der einzige Song mit männlichem Backgroundgesang) singt Tanja Pippi im Refrain »All I know is that I wish I was a Walrus«. Das Stück endet mit der resignierenden Zeile »Yes I do hate everything around me«. Im Mittelpunkt des Videos zu »Try« steht ein junger, zierlicher, androgyner, komplett unbehaarter Mann in Frauenkleidern, der zur Musik der Jolly Goods sexuell aufreizend posiert, während Tanja Pippis Stimme darüber reflektiert, ob man/Frau nun sein Leben ändern sollte oder nicht.
Jolly Goods
»Walrus«
Staatsakt
Text
Ronald Hartwig
Veröffentlichung
30.08.2011
Schlagwörter
88
Art Records/Hoanzl
Jolly Goods
Staatsakt
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