Wir schreiben das Jahr 2006 in Kanada: Weil sein Nachname mit J beginnt, wurde Ethan Jarlewski von seiner Abteilung abgetrennt und in den Jpod versetzt. Dort programmieren Ethan und seine fünf Kollegen die Grafik für Computerspiele – frei nach den Launen der Marketingabteilung. So kann es passieren, dass ein Skateboard-Adventure eine Schildkröte verpasst bekommt oder gleich zu einem Fantasy-Taumel mit Prinz Amulon wird. Glücklicherweise verbringt der Jpod nur einen Bruchteil des Tages tatsächlich mit Arbeit. Viel wichtiger sind E-Mail, Google, diverse Gore-Seiten im Internet und die Beziehungen der Kollegen untereinander. »Ihr seid eine deprimierende Anhäufung popkultureller Einflüsse und verkümmerter Emotionen, angetrieben vom stotternden Motor des Kapitalismus in seiner banalsten Form«, schnaubt der unfreiwillige Neuzugang Kaitlin treffenderweise wenige Tage nach ihrem Erscheinen. »Na und?«, antwortet Kollege Cowboy. Nicht nur ihm, sondern auch dem Rest der Belegschaft, wie John Doe (aufgewachsen in einer lesbischen Kommune, versucht er nun einfach, nordamerikanisches Mittelmaß zu sein) oder Evil Mark (eine Neurose unter vielen: seine säuberlich sortierten Büroartikel sind allesamt essbar), attestiert sie bald auch ein gerüttelt Maß an Autismus. Während die sich anbahnende Beziehung zu Kaitlin und die neuen Spieleideen des Mannes, der Toblerone zu dem machte, was es heute ist, Ethan in der Arbeit unter Druck setzen, ist es auch in seiner Familie nicht gerade friedlich. Seine Mutter züchtet im Keller Cannabis und entsorgt dabei auch mal mehr oder weniger unabsichtlich einen Liebhaber. Der Vater hat seinen Job für seinen Traum als Fernsehstar aufgegeben, scheitert aber an der ersten Sprechrolle. Als schließlich sein Bruder auch noch einen Chinesen mit mafiösen Verbindungen und einer Vorliebe für Gesellschaftstanz importiert, zerfällt das fragile Familienkonstrukt endgültig – es bleibt bei Ethan, die Scherben aufzusammeln und an seiner heimlichen Rache zu programmieren: einem durchgeknallten Ronald McDonald, der das heile Fantasyland in Schutt und Asche legen wird.
? und die Umarmungsmaschine
Auch der formale Charakter von »Jpod« bleibt nur wenig hinter dem Wahnwitz der Story zurück. Immer wieder unterbricht Douglas Coupland seine lineare Erzählung, um Einschübe vorzunehmen. Eine Kleine Pausenaufgabe der Jpods lautet etwa: Wer findet die eine falsche Zahl in den ersten 100.000 Stellen von Pi? Zu diesem Zeitpunkt folgen für die Leser dreißig Seiten Zahlen – man kann sich also an der Suche beteiligen. Im Jpod ist die Packung Chips in fünf Minuten verlost. Gut, dass Kaitlins Umarmungsmaschine am Ende bereit steht. Im Laufe des Buches frönt Coupland nicht nur seiner Vorliebe für Listen, chinesische Schriftzeichen in Seitengröße und Dollarzeichen, sondern tritt am Ende sogar selbst auf – um dem Protagonisten seinen Laptop und seine Lebensgeschichte für einen neuen Roman abzuluchsen. Coupland liefert ein gelungenes Bild der »Generation Google«, die sich, getrieben von der ständigen Fluktuation und Unsicherheit im Beruflichen wie Privaten, einzig an die hedonistische Erfüllung von Konsumwünschen klammert. »Jpod« fügt sich in die Reihe der Generationenporträts, wie bereits »Generation X«, und in jene der Technologiekritik, wie der 1995 erschienene Roman »Microsklaven«, der das Leben von Angestellten bei Microsoft beobachtet. Einzig die verzögerte ?bersetzung stört das Bild. Das englischsprachige Original erschien bereits 2006, dementsprechend googeln und mailen die Protagonisten von »Jpod« nur. Niemand hat ein Smartphone, von Apple oder Facebook ist noch nicht die Rede. Was Coupland mit diesen Innovationen anstellen könnte, füllt aber mit Sicherheit einen neuen Roman.
Douglas Coupland: »Jpod«, Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Stuttgart: Tropen 2011, 520 Seiten, EUR 25,70