Tav Falco's Panther Burns onstage in St. Gallen, Schweiz, 2004. Photo by <a title="www.lifepix.ch" target="_blank" href="http://www.lifepix.ch">Lars Kuenzler</a>
Tav Falco's Panther Burns onstage in St. Gallen, Schweiz, 2004. Photo by Lars Kuenzler

Mondo ohne Muschis

Panther-Burns-Rock'n'Roller Tav Falco kredenzt 150 überwältigende Jahre Memphis-Stadtgeschichte.

Als Kinogenre bezeichnet »Mondo« exploitative (Pseudo-)Dokumentationen, die sich mit Hingabe der dick aufgetragenen Zurschaustellung von bizarren sozialen Praktiken an präzise benannten (und meist weit entfernten Orten) widmen und dabei oft auf tabuisierte Themen (wie Sex und Tod) fokussieren. Tav Falco, Auch-Filmemacher und glühender Memphis-Dokumentarist seit 1973, kokettiert im Untertitel zu seinem mal poetischen, mal soziologisch-historischen Memphis-Werk nicht ohne Grund mit dem Mondo-Label. Die dreihundert dicht gesetzte Seiten starke Tour de Force durch die ältere und jüngere Geschichte der Delta- Metropole reiht fesselnde Szenen blitzlichtartig und in hoher Geschwindigkeit aneinander; immer mit dem erklärten Ziel, die Stadt als wild und einzigartig einzufangen: Memphis als freak locale, Memphis als Bluff City. Wie im Mondo-Kino geht es um das Sensationelle, und das im Glamourösen wie im Grauslichen: um Schaffen und Scheitern in den frühen Sun Records Studios, die Schicksale notorischer lokaler Sexkiller und Frauenverprügler, desaströse Fin-de-Siècle-Gelbfieberepidemien und segregierte Bordelle ohne Abwasser, die hei&szligesten Hausbands in hippen schwarzen 1960s Clubs, Hells Angels vs. Sindicate und fummelnde, Whiskey&Cola trinkende Teenager in Autokinos mit klingenden Namen wie Gilley’s, Belvedere oder Jungle Gardens.

Exzesse en detail

Andererseits scheint Falco viel zu empathisch und nah dran, um tatsächlich in rein exploitativer Manier mit seinem Objekt der Begierde umzugehen. Anders als in einschlägigen Mondo-Dokus liegt der Exzess von »Ghosts Behind the Sun« weniger in der speicheltriefenden Präsentation von Blut, Gedärm, Titten, Arsch und Muschis für den und die koloniale/n Voyeur/in, sondern vielmehr im Sich-Ertränken in Details. »Ghosts« swingt bestimmt nicht leichtfü&szligig – trotz seinem betörenden Soundtrack aus Blues, Rockabilly und Rock’n’Roll. Vielmehr serviert Falco eine solche Fülle an Namen, Geschichten und Verwicklungen, dass ein notwendiges Sortieren der Fäden die Leser zwingt, sich auf eine intimere, konzentrierte Weise auf das Präsentierte einzulassen.

Multitude an Stimmen

tav_falco.jpgAm überzeugendsten wird »Ghosts Behind the Sun« in seinen dialogischen Passagen, wenn Falco in seitenlangen Interviews schillernde Gestalten ausführlich das Wort übernehmen lässt: Wir hören Shirley Richardson, Präsidentin des Charlie Feathers Fanclubs; Abram Schwab, Inhaber des legendären Schwab’s Dry Goods – »If you can’t find it at Schwab’s, you’re better off without it« – auf der Beale Street; 1960er Civil Rights-Aktivist Charles Sudduth, und viele mehr. Hier zeigt das Werk, was es nicht ist: nämlich schmieriges, papiergewordenes Privatfernsehen-True-Crime-Feature, kartonfade seriöse Musikgeschichte-Sekundärliteratur, oder akademisierende Oral History-Verwursterei. Vielmehr beschwört Falco – und beschwören kann der Mann, wie diverse Tonträger seiner Panther Burns unzweifelhaft bezeugen – eine Multitude an Stimmen, die irgendwo zwischen Erinnertem, Tatsächlichem und Phantasmatischem (befürchtet wie ersehnt) oszillieren. Nicht umsonst betitelt Falco sein Werk mit einem Hinweis auf Gespenster – und zwar nicht jene von der Urban-Gothic-Sorte, die nur nachts im Spookyhaus zur vollen Kraft auflaufen, sondern die, die einen auch tagsüber auf belebten Stra&szligen unbewegt anstarren. Zusammengehalten werden diese Geisterstimmen durch eine Falco-Persona, die als Ich-Erzähler auf einer Reihe hei&szliger Üfen (Norton, Triumph) durch die Jahrzehnte cruist; teilweise als Zeuge entscheidender Ereignisse, teilweise als Archivar von Erzähltem. Abgesehen von seiner dokumentarischen Funktion taugt »Ghosts Behind the Sun« durchaus auch als Bastelanleitung für die aspirierenden Jungproduzenten. Nachbau einer dreieckigen Sun Echo Chamber, anyone? Seite 104. Da soll noch mal jemand behaupten, von Exploitation-Genres könne man nichts lernen.

Tav Falco: »Ghosts Behind The Sun: Splendor, Enigma & Death. Mondo Memphis Volume One«
Clerkenwell/London: Creation Books 2011. 310 Seiten, EUR 19,95

Home / Kultur / Open Spaces

Text
Ana Threat

Veröffentlichung
29.07.2012

Schlagwörter

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