Der 1927 in Santa Monica geborene Kenneth Anger gilt als einer der schillendsten und kontroversiellsten Regisseure. Er ist ein großer Geschichtenerzähler, dem man nicht habhaft werden kann. Seine Filme erzählen von allegorischen, magischen und erotischen Zwischenzuständen, seine gründliche Beschäftigung mit altägyptischem Mystizismus und dem englischen Okkultisten Aleister Crowley brachte ihm genauso viel Ablehnung wie Verehrung ein. Anger erkannte als wahrscheinlich erster den diskursiven Mehrwert von Popsongs in Filmen, seine vertrackte Montagen knüpfen an Sergej Eisenstein an und seine rätselhaften, surrealen Wachtraumlandschaften dringen in unerreichte Psychogeografien vor. Neben Maya Deren und Stan Brakhage zählt er zu den Protagonisten des US-Independentkinos nach 1945.
Dabei ist er der »poppigste« von ihnen, der auch sehr gut darin ist, den Hollywood-Glamour für seine Zwecke zu verwenden. Seit Mitte der 1950er Jahre hatte Anger das Potential der Pop-Kultur für sich nutzbar gemacht, indem er eine Ikonografie aus Zeichen und Musik auf die Leinwand brachte, die in den tiefsten Sphären des kollektiven Pop-Gedächtnisses verwurzelt ist. Legionen von Regisseuren, von Martin Scorsese über David Lynch und R. W. Fassbinder bis Quentin Tarantino, versuchten sich Jahrzehnte später darin, vorhandene Songs als strukturierendes und narratives Element zu etablieren. Die Songs erfüllen mehrere Aufgaben: So wirken sie nicht nur unterstützend, sondern auch antizipatorisch zum Bildfluss. Anger montierte aus Songs eine identifikationsstiftende Syntax, die eine eigene Story erzählt, den Bildern widerspricht oder ihnen eine zusätzliche Bedeutung verleiht.
Diese Bild-Ton-Schere ist besonders bei »Scorpio Rising« (1964) evident: Wenn etwa »He’s a Rebel« von den Crystals oder »Devil in Disguise« von Elvis Presley erklingen, erzählen die Songtexte von unterschiedlichen Charakternuancen des Protagonisten, während auf der Bildspur Aufnahmen des Helden zu sehen sind, gegengeschnitten mit Marlon Brando aus »The Wild One« (1953). »Das war immerhin neun Jahre vor Scorseses »Mean Streets««, meint Anger. »Danach wurde diese Technik vom Hollywood-Lexikon der Möglichkeiten eingemeindet. Meine Filme sind Reflektionen der Momente, in denen sie gemacht wurden: Ein Song wie »Devil in Disguise« wurde damals in jedem Radio gespielt. Für alle im Film verwendeten Nummern wurden Tantiemen gezahlt, was mich gut ein Drittel des Gesamtbudgets kostete. Man konnte nicht Musik stehlen, so wie heutzutage jeder von jedem klaut. Wir leben in einem Zeitalter der Piraterie.«
»Scorpio Rising«
Zu laute Stereoanlagen im Himmel
Angers Bilder von Motorrädern, Magiern, sadomasochistischem Fleisch und trancehaften Tableaux vivants sind ohne seine Affinität zur »goldenen« Stummfilmzeit Hollywoods nicht vorstellbar. So hatte er in seiner College-Zeit einen Maria-Montez-Fanclub gegründet (auch Jack Smith vergötterte bekanntlich diese exotische B-Movie-Queen), schrieb 1959 und 1984 (angeblich auf Anraten von Jean-Luc Godard hin) den zweibändigen Beststeller »Hollywood Babylon«, besitzt eine der weltweit größten Sammlungen an Devotionalien von Rudolph Valentino und erklärt im Interview: »die letzte Schauspielerin, für die ich mich wirklich interessierte, war Audrey Hepburn«. Außerdem war der Sexualwissenschafter Alfred Kinsey ein langjähriger Bekannter und als er in den 1950ern in Paris lebte, arbeite er für Henri Langlois, den Begründer der Cinématèque Française.
Angers Å’uvre reicht von »Fireworks« (1947), dem ersten selbstbewussten Film über schwule Obsessionen, bis zur burlesken Annäherung an das »Phänomen« Mickey Mouse mit »Mouse Heaven« (1987 bis 2004). »Fireworks« ist ein grandioses Meisterwerk, das die surrealistischen Bilder Jean Cocteaus in einer flirrenden und symbolüberladenen Traumfantasie über Liebe und Gewalt gegen sich selbst aufgehen lässt. Der Grund, warum Anger wenig später auf Einladung Cocteaus mehrere Jahre für Langlois arbeitete. Dazwischen finden sich Filme wie »Inauguration Of The Pleasuredome« (1954), »Lucifer Rising« (1966–81) und »Invocation Of My Demon Brother« (1969), in denen sich Anger intensiv mit der hermetischen Lehre auseinander setzte, welche ihr esoterisches Wissen aus der von Crowley maßgeblich beeinflussten Loge des Ordo Templi Orientis – O.T.O. bezog.
»Fireworks«
Angers Werk ist aber nicht das eines Nihilisten, sondern eines Romantikers. Ähnlich wie Pier Paulo Pasolini arbeitet sich Anger an der Darstellung des Konflikts (»passion«) zwischen dem Menschlichen und dem Spirituellen ab. Für ihn ist Luzifer wie im eigentlichen Sinn der Lichtbringer, dessen Problem war, dass »er die Stereoanlage zu laut aufgedreht hatte«. — Was durch Anger in der Folge auch für Led Zeppelins Jimmy Page und für kurze Zeit für die Rolling Stones zutraf. — In Luzifer repräsentiert sich für Anger eine Art Prototyp des Outlaws, der sich bereits bei Shakespeares »A Midsummer Night’s Dream« in der Gestalt des Puck manifestiert und bis zu den Popgrößen heutiger Tage reicht. Diese Figuren, die sich aus dem gesellschaftlichen Konsens ausklinken, symbolisieren für Anger das Versprechen auf individuelle Freiheit.
So gesehen stellt »Rabbit’s Moon« (1950), ein beinahe melancholischer Disput zwischen Pierrot und Harlekin in einem stark an Georges Méliès gemahnenden Ambiente, Angers stringenteste Zusammenführung seiner Vorliebe für die Bildhaftigkeit der Stummfilme, der Realitätstransformation durch die Laterna Magica und der poetischen Ûberhöhung des Rebellen dar. Ein Film übrigens, der durch Unterstützung des Ölmagnaten und Kunstmäzens J. Paul Getty zustande kam. In der Fantoma-DVD-Fassung ist der Film mit dem originalen, regelrecht spooky daherkommenden Doo-Wop-Soundtrack zu genießen.
»Rabbit’s Moon«
Rock vs. Elektronik
Indem Anger für »Invocation Of My Demon Brother« elektronische Sounds von Mick Jaggers Moog-Synthesizer verwendete, schlossen sich gleich mehrere Stränge miteinander kurz: Einerseits lässt sich hier eine heftige Brechung ausmachen, schließlich gelten die Rolling Stones bis heute als Inbegriff von Rockmusik, mithin »echter« Musik, wohingegen synthetische Klänge — besonders damals — für alles andere als »real« befunden wurden. Andererseits wird damit an eine Tradition seit den 1950ern angeknüpft, als man begann, besonders für Science-Fiction- und Horrorfilme Theremin- und Synthesizerklänge zu verwenden. Damit sollte eine Undeutlichkeit, etwas Unheilvolles dargestellt werden. Bestes Beispiel ist wahrscheinlich Hitchcocks Film »The Birds« (1963), bei dem das Gekrächze der Vögel auf einer Vorform des Moog-Synthesizers, dem Mixtur-Trautonium, eingespielt wurde. Bis dahin war elektronische Musik eine eher »akademische« Angelegenheit, man denke nur an Karlheinz Stockhausen. Angers Filme liefen zu dieser Zeit im aufgeblasenen 35mm-Format in praktisch allen Kunstfilmkinos in der »Midnight-Movies«-Schiene, wo sich kunstbeflissene Cineasten mit Rockmusik-Fans mischten. Die spezielle Mischung aus profundem esoterischem Wissen, elaborierter Filmkunst und aktueller Musik bildete eine Schnittstelle, die nicht nur den popkulturellen Status Quo der End-1960er definierte, sondern einen Blick in die Zukunft der Musikvideos zeitigte, siehe etwa Videos von Paul Poet, David LaChapelle oder Peter Christopherson. Anger ist diesen Entwicklungen indes recht abhold, einen eigenen Fernseher lehnt er immer noch strikt ab.
Kenneth Anger während der Dreharbeiten zu »Invocation Of My Demon Brother« (Fantoma)
Wenn Anger von den »Invocation«-Sessions erzählt, kann man einmal mehr das Gefühl bekommen, dass »legendäre« Momente meist nur zufällig ein »zur richtigen Zeit am richtigen Ort« zu sein bedeuten: »Jagger besaß als einer der allerersten Privatmenschen einen Moog-Synthesizer, den er von Robert Moog persönlich erhalten hatte. Als ich »Invocation« fertig gedreht hatte, bot er mir an, den Film in seinem Haus vorzuführen. Während ich den 16mm-Projektor bediente, improvisierte Jagger über den Film. Es wurde zwar in Stereo aufgenommen, aber nur auf Mono veröffentlicht, da man mit 16mm-Filmen kein Stereosignal bekommt. Was schade ist, denn die Musik hatte sehr prononcierte Stereoeffekte, rechter und linker Lautsprecher »sprachen« miteinander.«
Auch wenn damit ein Blick in die Zukunft der Popmusik getan wurde, so kann diese Episode als ein »Ausrutscher« im Sounduniversum von Kenneth Anger gelten. Anger meint: »Ich habe mich immer schon sehr dafür interessiert, was rund um die Musik herum geschieht. Ich mache mir dann Notizen oder kaufe die Platte.« So gesehen war der folgende Streifen »Lucifer Rising« ein Rückschlag der musikalischen Visionen, als hier ein Soundtrack verwendet wurde, bei dem der zum Kreis um Charles Manson konvertierte Bobby Beausoleil die Regie über sein Freedom Orchestra führte. Klar war das eine perfekte Verortung aktueller Musiktrends. Indes war ursprünglich Led Zeppelins Jimmy Page verpflichtet worden, der den »teuflischen« Blues eines Robert Johnson in die 1960er transferiert hatte. Seit damals gibt es wohl keine Rock- und Metalband, die nicht auf die eine oder andere Weise Led Zeppelin inkorporiert hat. Wo blieb da das Freedom Orchestra Beausoleils?
Anger arbeite in seinen frühen Filmen mit Musikstücken, um damit Charaktere zu nuancieren. Retrospektiv gesehen gelang dieses Unterfangen wahrscheinlich deswegen so gut, weil die Songs in sich selbst schon eine Mehrdeutigkeit aufwiesen und so bereits in der Zeit ihrer Verwendung denjenigen »geheime« Botschaften mitteilten, die sie decodieren konnten; und trotzdem in den Songs immer noch so etwas wie Wohlgefallen an der brüchig gewordenen Oberfläche mitschwang.
Dass er ausgewiesener Fan von Swing, Rock’n’Roll und Rock ist, hat er hinlänglich belegt, inwieweit aber haben aktuelle musikalische Tendenzen seine Arbeit beeinflusst? »Wie könnte ich das vermeiden? Nur wenn ich mit Ohrenstoppeln herumgehen würde. Musik aus dem Internet herunter zu laden, hat die Musikindustrie dahingehend kaputt gemacht, dass Indepedendent-Plattengeschäfte bankrott gehen, weil man sich Musik besorgen kann, ohne dafür ein Album zu kaufen. Ich kann nicht verstehen, warum jemand 50.000 Songs auf der Festplatte hat. Für mich ist das eine Art von Vampirismus. Ich habe noch immer alte, sehr fragile Schellacks mit populären Songs aus den 1920ern, 1930ern und der Glenn-Miller-Ära. Hinsichtlich aktueller Musik lehne ich Rap und HipHop total ab. Den darin propagierten Chauvinismus und die unreflektierte Verherrlichung von Gewalt finde ich abstoßend.«
Filmstills aus »Inauguration Of The Pleasuredome«
Wider einer aufgeklärten Spießigkeit
Da sich Anger praktisch Zeit seines Lebens mit den Lehren Crowleys auseinander gesetzt hat, muss im Interview fast zwangsläufig die Frage nach diversen Musik-Adepten kommen. In einigen Subgenres sind Zeichen und Symbole wie ein umgedrehtes Pentagramm oder Teufelsdarstellungen gängig, CDs werden in einer Stückzahl von 666 veröffentlicht. Anger lapidar: »Derartige Anspielungen kümmern weder mich noch andere Personen meiner Gesellschaft, des O.T.O.« Ähnlich wie H. R. Giger, der sich auch mit Händen und Füßen gegen eine Vereinnahmung durch die Popkultur wehrt und sich stattdessen in einer Maltradition von Salvador Dali sieht, hat Anger für diese »Profanisierung des Kultischen« wenig übrig: »Das ist nur Maquillage, Fassade, eine Mode. Weder Wunder noch Katastrophe werden passieren, wenn man eine CD mit 666 Kopien herausbringt oder eine Platte rückwärts spielt. Dabei wird nur die Oberfläche eines Kults angekratzt und für Schockzwecke ausgenutzt. Daran zu glauben, würde bedeuten, an einer Illusion erkrankt zu sein. In den späten 1960ern war es in London en vogue, Pilgerfahrten zu den indischen Maharishni zu machen und Bands wie die Rolling Stones und die Beatles verwendeten eine Sitar. Wenn jemand ein umgedrehtes Pentagramm oder einen Baphomet aufs Cover bringt, heißt das nicht notwendigerweise, dass das wirklich etwas bedeutet.«
Und um dem Ganzen eines draufzusetzen, erzählt er im für ihn so typischen Insider-Geplauder von Anton LaVey, der 1966 die Church of Satan gegründet hatte: »Er war eine Art Popstar, ein Löwendompteur auf einem Karneval. Er hatte bei sich zuhause einen Löwen, bis dieser zu groß wurde und die Nachbarn in der Nacht mit seinem Gebrüll störte. Nach einem Unfall musste er in einen Zoo.« — Das ist Anger, wie er leibt und lebt und weswegen ihn die abertausenden Leser von »Hollywood Babylon« verehren: Wie kein anderer ist er mit Glamour genauso vertraut wie mit menschlichen Untiefen.
Kenneth Anger ist und bleibt das personifizierte schlechte Gewissen Amerikas, wenn er sich mit devianter Subkultur genauso auseinander setzt wie mit der von ihm mitdefinierten, unterschwelligen Pop-Ikonografie aus Outlaw-Mythos, archetypischen Symbolen, Mystizismus und den Parallelwelten des Hollywood-Glamour. Darin spiegelt sich eine vehemente Kritik gegenüber einer Fetischisierung von Modernität, Technologie und Geschwindigkeit, deren gesellschaftspolitischen Kern Anger als nach wie vor spießbürgerlich enttarnt. So gesehen kann man »Kustom Kar Kommandos« (1965) nicht nur als eine Studie über die erotische Beziehung zwischen auffrisierten Autos und ihren Besitzern, sondern das Auto im besten Freudschen Sinn als einen Fetisch für die heutige Zeit und »KKK« als Vorwegnahme eines Szenarios à la J. G. Ballards »Crash« (1973) deuten. Ähnlich wie in »Fireworks« spielen auch hier Gemeinschaft und Sadomasochismus eine tragende Rolle und transferieren die surrealistische Poesie dieses frühen homoerotischen Meisterwerks auf ein Maschinen-induziertes Level. Angers Wissen um Kunstgeschichte wird hierbei einmal mehr augenscheinlich, als einige Einstellungen aus »KKK« recht direkt an die Installation »Le Visage de Mae West« von Salvador Dali denken lassen.
Filmstills aus »Kustom Kar Kommando«
La belle et = de la bête
Anger wurde wiederholt vorgeworfen, gewaltverherrlichende und sexuell deviante Filme zu machen. Dabei ging es nie darum, einen common sense zu vertreten. Vielmehr reflektieren die Filme schonungslos genauso herrschende gesellschaftliche Praktiken wie deren Beschränkungen. »Mein Ansatz ist dem der »Schönheit« von Leni Riefenstahl recht ähnlich. Als sie nach Afrika zu den Nuba ging, fand ich das alles andere als attraktiv oder nobel. Sie erzählte mir, dass sie die schlimmen und schrecklichen Dinge dort nicht kümmerte. Sie waren nicht Teil ihrer Vision von einer alten und edlen Rasse, die in Verbindung mit der Vergangenheit lebte. Ich habe meine eigene Vision darüber, was ich mit der Kamera abbilde, Schock- und Horrorelemente können Teil meiner filmischen Erzählung sein. So veranschaulicht etwa »Guernica« (1937) von Picasso ein hinterhältiges Verbrechen, in dem Bomben auf ein unschuldiges Dorf abgeworfen wurden, nur um zu demonstrieren, dass man es tun konnte. Die Bewohner von Guernica waren keine besonderen Franco-Gegner, aber sie wurden für eine Machtdemonstration und als abschreckendes Beispiel für den republikanischen Widerstand missbraucht.«
Zu »The Last Temptation of Christ« (1953) von Nikos Kazantzakis und Scorseses Filmadaption von 1988 stellt Anger fest: »Eine gute Story. Nur weil ich Heide bin, heißt das nicht, dass ich das Christentum als Fundament für den Glauben vieler Leute ablehne. Wo ich allerdings eine scharfe Trennung vornehme, ist bei der Grausamkeit Tieren gegenüber wie etwa im Voodoo. Leute kamen zu mir und fragten mich: »Wie machst du das als Heide?« Ich denke, wir haben die Periode, in der wir frisches Blut brauchen, hinter uns gelassen, man muss den nächsten spirituellen Schritt tun, indem man nicht mehr das Blut von Tieren oder Menschen opfert. Denn Tiere gelten bereits als Ersatz für menschliche Opfer. Ich bin nicht Vegetarier und die ganze Angelegenheit ist vom philosophischen Standpunkt her problematisch, aber wir sind Menschen. Wir müssen uns weiterentwickeln aus dieser Zeit, als wir noch alles aßen, was wir finden konnten, Tiere miteingeschlossen.«
Kenneth Anger, der cinematogafische Bilderstürmer. Wie steht er, der Amerikaner deutscher Herkunft, der sein künstlerisches und persönliches Leben dem Film geweiht hat, zu zeitaktuellen Geschehnissen?
»Ich schätze, 9/11 war früher oder später unvermeidlich. Es ist ein Beispiel für einen ungleichen Kampf, in dem ein kleiner Feind etwas Riesiges schlagen kann; man denke nur an Insekten oder den giftigen Skorpion. Diesen Kampf David gegen Goliath sehe ich als ein Aufeinanderprallen von Kulturen. Man hat eine Gruppe Fanatiker in der moslemischen Welt, die die fixe Idee haben, dass Amerika all das symbolisiert, was sie an westlicher Kultur hassen. Wenn man sie gewähren ließe, würden sie alle Filme und jede Fotografie zerstören. Ich kann nicht jemandem total liberal gegenüber sein, der mich und jede Art meiner Kunst zerstören will. Sie gingen in die Museen von Kabul und anderswo und zerstörten die wunderschönen Skulpturen, die die Entwicklung von der Prähistorie Richtung griechischer und römischer Kultur darstellten. Diese Kunstwerke haben jetzt die Größe eines Crackers oder eines Biskuits. Am symbolträchtigsten scheint mir die Zerstörung der 1.500 Jahre alten Buddhastatue von Bamiyan. Es gibt ein Element, das jede Art von Kunst radikal hasst und extreme Angst vor dem Körperlichen hat: Der weibliche Körper muss komplett verhüllt werden, der Körper ist ein totales Geheimnis. Darin sehe ich, wenn man das mit dem westlichen oder amerikanischen Ansatz vergleicht, wirklich einen Zusammenprall von Kulturen. Da waren die Juden und später die Christen schlimm genug. Im Neuen Testament heißt es wenigstens: »Liebe deinen Nächsten«, was im Vergleich zum Alten Testament schon einen erheblichen Fortschritt darstellt. Abgesehen von der recht offensichtlichen Zerstörung des finanziellen Machtzentrums der Twin Towers sollte eine Maschine in das Weiße Haus in Washington fallen wegen seines Symbolgehalts als Dom, der weibliche Brüste darstellte. All das sind interessante Konflikte, es war ein ziemlich diabolisches Szenario.«
Es ist in seinem filmischen Schaffen vergleichsweise ruhig geworden. Was so ja nicht stimmt, schließlich ist Kenneth Anger für seine Arbeitsweise, ein permanentes work in progress, berühmt und berüchtigt. Dies mag wohl auch damit zu tun haben, dass er als Perfektionist bekannt ist, der in der Welt herumreist, um seine eigenen Werke zu editieren. Und schließlich: Für 2007 sind die DVD-Veröffentlichung von »Mouse Heaven« und eine Neuauflage von »Hollywood Babylon« inklusive eines dritten Teils geplant. Der vor gut zehn Jahren begonnene Film »Ich will!« über die Hitlerjugend soll ebenfalls heuer fertig werden. Die Anger-Box kommt mit einem aufwendig gestalteten Booklet daher, in dem Sketches und Stills der Filme abgebildet sind, Anaïs Nin über die Dreharbeiten zu »Inauguration« schreibt und das Vorwort — klarerweise — von Martin Scorsese stammt.
»The Films of Kenneth Anger. Vol. 1, 1947–1954« mit »Fireworks«, »Puce Moments«, Rabbit’s Moon« (in der originalen 16-Minuten-Fassung), »Eaux d’artifice« und »Inauguration of the Pleasure Dome«, erschienen bei Fantoma
Arte-Feature/-Interview (franz./engl.)
Selektive Auswahl der umfangreichen Werke über Kenneth Anger:
Elio Gelmini: »Anger Me«, (Doku-Film), CAN/USA, A Few Steps Prod., 2006.
Alice L. Hutchinson: »Kenneth Anger. A Demonic Visionary«, Black Dog Publishing, London, 2004.
Jack Hunter (Ed.): »Moonchild. The Films of Kenneth Anger«, Creation Books, London, 2002.
Link-Sammlung auf phinnweb
www.thefilmjournal.com/issue12/anger.html