Nach Desertshore I 2022 und Desertshore II 2023 bringt Christian Morin mit Desertshore III am 30. November und 1. Dezember 2024 ein drittes und letztes Mal Popkultur auf die Bühne des Wiener Volkstheaters. Im Fokus steht diesmal ein Aspekt, der dem namensgebenden Album und Werk von Nico inhärent ist: die Melancholie. Verschiedene Aspekte und stilistische Ausprägungen dieser präsentieren am Samstag, dem 30. November Arab Strap, Rosa Anschütz, The KVB, Das Kinn und Víz, ergänzt um die Videoinstallation »Blue Spell« von Lillevan und Düsterdisco von skug Allstar DJ Karl Knall. Am Sonntag, dem 1. Dezember stehen nebst The Notwist auch Joanna Gemma Auguri und Insect Ark auf der Bühne und läuten das Festival aus … Zum Abschied haben wir Kurator Morin noch einmal zum – schon traditionellen – Interview gebeten.
skug: Leider ist die dritte auch bereits die letzte Ausgabe von Desertshore. Hängt wohl damit zusammen, dass mit Kay Voges letzter Saison auch die Side-Kurator*innen vom Volkstheater gehen?
Christian Morin: Desertshore hat sich ja aus persönlichen Gesprächen mit Kay Voges und seinem musikalischen Leiter Paul Wallfisch entwickelt. Ich kenne den neuen Intendanten Jan Philip Gloger nicht gut genug, um hier eine konkrete Meinung dazu kundzutun, aber er scheint mir eher aus einer Theatertradition zu kommen, in der popkulturelle Bezüge nicht im Vordergrund stehen bzw. nicht so angesagt sind. Von daher gehe ich davon aus: Das war’s. The third and final report of Desertshore.
Kannst du dir vorstellen, in Berlin Desertshore weiterzuentwickeln?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich mache in Berlin ja auch andere Dinge, wie zum Beispiel Programm und Dramaturgie für das Pop-Kultur Festival. Mir hat es schon sehr gut gefallen, dass dieses Format nicht an dem Ort stattgefunden hat, an dem ich lebe. Das ist ein sehr anderes Gefühl, was wiederum sehr gut zu dem Album von Nico passt. Es gibt ja zu »Desertshore« auch einige Filmschnipsel, in denen Nico und ihr Sohn Ari, dessen Vater angeblich Alain Delon sein soll (was aber nie bewiesen wurde), in der Wüste mit einem weißen Pferd unterwegs sind. Wahrscheinlich wurden diese sehr surreal anmutenden Szenen in Ägypten gedreht. Zusammen mit der Musik empfindet man ein »in der Fremde Sein« zusammen mit einer »Leere«. Diese Empfindungen gehören zu Desertshore für mich dazu. Von daher würde ich auf die Frage antworten: Wenn überhaupt, dann woanders, aber nicht in Berlin.
Ist es für dich eine Herausforderung, U-Musik auf die Theaterbühne zu bringen. Was ist anders, als wenn es eine Bühne wie z. B. die Wiener Arena wäre?
Nein, ich habe ja zwölf Jahre an der Berliner Volksbühne gearbeitet. Ich weiß, wie man mit einer Theaterbühne umgeht. Genauso weiß ich, wie man mit einer Rockbühne umgeht oder einer Clubsituation. Oftmals ist es eher für die Künstler*innen ungewohnt, denn die Theaterbühne bringt einen ganz entscheidenden Perspektivwechsel. Ein Teil des Publikums schaut auf gleicher Höhe und von oben auf die Bühne. Damit geht eine völlig andere Fokussierung einher. Jeder dramaturgische Fehler in einer Show wird dadurch sofort offensichtlich. Deshalb haben viele Bands großen Respekt vor Theaterbühnen.
Fazit nach drei Jahren: ist das Experiment Desertshore im Volkstheater geglückt?
Das muss das Publikum beurteilen. Im letzten Jahr hatte ich sehr viel experimentiert mit dem Programm. Speziell für den Sonntag haben wir dann sehr wenige Tickets verkauft. Wir hatten unglaublich tolle Künstler*innen wie die israelisch-iranische Musikerin Liraz oder Nuha Ruby Ra, die aber niemand in Wien kannte. Ich dachte, Kay Voges beendet das Experiment, weil ich nach dem ersten erfolgreichen Jahr im zweiten Jahr ein doch eher durchwachsenes Ergebnis im Hinblick auf die Besucher*innenzahlen zuwege gebracht hatte. Das hat er aber nicht getan, sondern mich ermuntert, weiterzumachen, weil er die künstlerische Vision versteht. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. In diesem Jahr lässt sich der Kartenverkauf auch wieder viel besser an.
Ist dir eine hohe Frauenquote ein Anliegen oder musst du gar nicht mehr darüber nachdenken? Mit Rosa Anschütz, Joanna Gemma Auguri, Insect Ark, Víz und der Hälfte von The KVB ist auch die heurige Quote sehr gut.
Als ich 2015 mit einem Kollegen begann, das erste Pop-Kultur Festival zu buchen, hatten wir uns vorgenommen, zu beweisen, dass ausgewogenere Line-ups möglich (viele behaupteten zu dem Zeitpunkt, es gäbe nicht genügend hochwertige weibliche Acts) und auch künstlerisch sinnvoll sind. Seitdem ist das in die tägliche Praxis übergegangen.
Nico ist es nicht gelungen, das Abdriften in die Depression zu verhindern. Im Vergleich verkörpern die Headliner The Notwist und Arab Strap eine sehr positive Deutung von Melancholie: aus Selbstreflexion Kraft gewinnen. Gilt das auch für die weiteren Acts?
Ja, das ist so etwas wie die Klammer der diesjährigen Ausgabe. Es trifft auf einige mehr zu als auf andere. Joanna Gemma Auguri präsentiert zum Beispiel ihr neues Album »Hiraeth«, an dessen Entstehungsprozess ich sehr viel mitgewirkt habe. Das Wort kommt aus dem Walisischen und steht für die Sehnsucht nach einem Ort oder einem Gefühl, was es so vielleicht nie gegeben hat. Sie selbst verarbeitet damit einen Teil ihrer Lebensgeschichte. Sie musste als Kind mit ihren Eltern aus Polen flüchten, das damals unter Kriegsrecht stand. Ich glaube, alle Situationen von Flucht und Exil sind mit sehr viel Melancholie verbunden. Wenn wir uns auf diese einlassen würden, wären wir wahrscheinlich sehr viel empathischer geflüchteten Menschen gegenüber.
Ohne Empathie für die Existenz des anderen geht es nicht, heißt es ja auch so schön in den Liner Notes von Desertshore III. Doch konnte das Ego-Denken des neoliberalen Spätkapitalismus derart in einen Großteil der Menschen hineinmanipuliert werden, dass immer mehr populistische Demagogen gewählt werden. Dies macht die Weltlage nur noch schlimmer, weil anstatt Problemlösung (Besteuerung des sinnlosen Überreichtums, Regulierung der IT-Giganten und Finanzwelt etc.) die Tatsachenlage vernebelt wird. Migrant*innen werden als Sündenböcke vorgeschoben, doch wird deren Abschiebung keineswegs die Ursachen der Misere ändern … Wird neben dem Überhandnehmen von Depressionen, die im Leistungszwang wurzeln, diese Ursachenverdrehung im Eröffnungstalk »Melancholia« am ersten Abend auch diskutiert werden? Welche Gäste werden teilnehmen und zu welcher Uhrzeit?
Ui, ich weiß nicht, ob wir das alles in den 40 Minuten, die wir Zeit haben, besprechen können, aber wir geben uns Mühe. Danke für die Anregungen. Der Talk beginnt am 30. November um 19:00 Uhr in der Roten Bar. Aidan Moffat von Arab Strap und Joanna Gemma Auguri werden meine Gäste sein. Die neue Platte von Arab Strap heißt ja: »I’m Totally Fine with It Don’t Give a Fuck Anymore«, was man als eine Antwort auf den kapitalistischen Optimierungs- und Selbstoptimierungszwang lesen könnte, aber Aidan wird uns das sicher in wunderschönstem schottischem Dialekt erklären, den ich wirklich sehr liebe.
Klarerweise durchzieht Schwermut auch das diesjährige Programm, weil Nico natürlich auch anno 2024 quasi als Schutzheilige Einfluss nimmt. Ihre Depression war eine andere. Doch, angesichts der Weltlage mit multiplen Krisen: Hättest du Lust, auch mal ein Festival zu kuratieren, das Frohsinn und Zuversicht als Motto ausweist? In Innsbruck hat man schon einen tollen Titel für so etwas gefunden: Positive Futures …
Ich habe im »Standard« eine Ankündigung von Desertshore III gelesen, in der der Autor schrieb: »Im November über das Thema Melancholie zu befinden ist von der Originalität her betrachtet so, wie über die Nässe des Wassers zu reden.« Wahrscheinlich meinte er das als Kritik, aber ich mag den Gedanken. Man muss die Nässe wirklich spüren, um die Natur des Wassers zu erfassen. Die Welt ist schon immer ein schwieriger Ort gewesen. Nur weil wir uns im Moment in einer Situation befinden, in der die Medien uns bestimmte Krisen jeden Tag um die Ohren hauen, während wir von anderen so gut wie nichts hören, heißt das noch lange nicht, dass wir in einer anderen Lage sind als zuvor. In Teilen der Ukraine herrscht bereits seit 2014 Krieg und im Nahen Osten sind im Syrien-Krieg und im Jemen-Krieg zusammen fast eine Millionen Menschen zu Tode gekommen, ohne dass uns das irgendwie tangiert hätte. Da könnte man schon depressiv werden. Aber ich persönlich bin gar kein Kulturpessimist. Das Wichtigste, um sich nicht in diese Strudel ziehen zu lassen, die überall erzeugt werden, ist, dass wir ganz genau hinschauen. Dass wir uns nicht hineinziehen lassen in Hass und Hetze. Im Punk und auch in der Goth-Bewegung war die zur Schau gestellte Dunkelheit ja auch eine Art Widerstand gegen die Spaß- und Leistungsgesellschaft, die in ihrem Fortschrittsglauben voranschreitet und alles zermalmt, einschließlich unserer Lebensgrundlagen. Eine ausreichende Portion Melancholie scheint mir hier eher gesund!
Link: https://www.volkstheater.at/produktion/2446539/desertshore-iii/