Dana Vowinckel veröffentlicht ihren Debütroman und es ist einer dieser »Was für ein beeindruckendes Debüt«-Debütromane. Doch zuerst der Titel »Gewässer im Ziplock«. Was ist ein Ziplock? Es ist, wenn man zur Sicherheit nachgoogelt, tatsächlich dieser Druckverschluss für Toppits-Tüten, in denen man – je nach Größe – entweder Knöpfe, Drogen oder Gefriergut verpackt. Aber »Gewässer«? Gewässer sind doch gerade bekannt dafür, im Freien zu sein, meist beweglich (Bach, Strom, Wasserfall, See, Meerbusen, Regen, Tränenfluss usw.). In einem Plastikbehältnis evoziert das ein Bild von Künstlichkeit, das Wasser, das Wilde, Ursprung des Lebens, ist nun gebändigt und durch ein Fenster zu beobachten.
Wie durch eine Filmkamera blickt man auf die Figuren, im Wechsel aus der Sicht von Margarita und Avi, ihrem Vater. Beide, Vater und Tochter, wohnen zusammen in Berlin, sie Schülerin, er Chasan. Er stammt aus Jerusalem, ihre Mutter ist aus Chicago und kehrt bald nach ihrer Geburt – ohne die beiden – auch wieder dorthin zurück. Hin und her springt die Perspektive nun, man liest von den teilweise typischen Ängsten und Sorgen eines »Scheidungskindes«, während der Vater enttäuscht ist, vom Leben, das an ihm vorbeizog. Und auch Margarita ist bereits enttäuscht, obwohl ihres noch fast zur Gänze vor ihr liegt.
Jüdische Lebenswelten
Er ist tief mit der jüdischen Kultur verbunden, mehr oder weniger religiös und gläubig, eher aber kulturell über die Musik und Riten, die ihm eine Heimat geben. Sie dagegen wächst jüdisch auf, doch der Bezug besteht weniger über die Verbindung zur Gemeinde als über ihren Vater und die jüdische Schule, welche sie besucht. Margarita ist deutsche Jüdin, ihr Vater dagegen Jude in Deutschland. Wie sich diese kulturellen Bezüge kreuzen und unterscheiden, das macht unter anderem die Spannung aus. Dritter Vektor in der Gleichung ist ihre Mutter, amerikanische Jüdin, weitaus weniger verwurzelt und, wie auch ihre Eltern, bei denen Margarita gezwungenermaßen Zeit verbringt, eine amerikanische »Light-Version« des Judentums lebend, die im Roman vor allem durch typisches Essen und gewisse Schrulligkeiten dargestellt wird.
Nun soll Margarita ihre Mutter, die sie überhaupt nicht mag – und die auch als wahnsinnig unsympathisch beschrieben wird – treffen, weil man das als Tochter eben so macht. In Israel. Ein Debakel mit Ansage. Doch aus den Streits und den gegenseitig vorgetragenen Anklagen entstehen ebenso neue Sichtweisen auf die von Anfang an zum Scheitern verurteilte Familiensituation: Warum ist das alles so? Am Ende wachsen einem selbst objektive Unsympath*innen ans Herz. Das Entstehen von Verständnis gegenüber der Lebenssituation von Menschen, die einem selbst massiv Leid zugefügt haben, kann helfen, Wunden zu heilen. Auch, wenn es am Ende nicht immer nur gut ausgeht. Doch manchmal kommt es zu schönen Überraschungen, wenn man Eingefrorenes nach Jahren aus der Truhe entnimmt und auftaut: Man sieht die eigene Vergangenheit, vielleicht auch mit anderen Augen, beweglich und lebendig.
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