The Smile © Frank Lebon
The Smile © Frank Lebon

All eyes on The Smile

Thom Yorke, Johnny Greenwood und Tom Skinner veröffentlichen 2024 als The Smile ihr zweites Studioalbum »Wall Of Eyes«. Die Erwartung bei Fans und Kritiker*innen sind nach dem gelungenen Debütalbum vor zwei Jahren hoch, doch der Sound hat sich weiterentwickelt und setzt auf neue Stilmittel.

The Smile ist das momentan heißeste Nebenprojekt von Radioheads Thom Yorke und Johnny Greenwood gemeinsam mit Sons of Kemets Tom Skinner. Vor Kurzem haben sie ihr zweites Studioalbum »Wall Of Eyes« auf Self Help Tapes und XL Recordings veröffentlicht. Und das, nachdem sie fast zwei Jahre lang nahezu ununterbrochen auf Tour waren. Scheinbar haben die Herren große Freude an dem Projekt. Grund genug, sich die Protagonisten der Band nochmal genauer anzusehen.

Was gibt es über Thom Yorke zu sagen, das noch nicht gesagt wurde? Er ist einer der einflussreichsten Musiker*innen der Gegenwart und revolutionierte mit seiner Band Radiohead gleich mehrfach die Pop- und Indierock-Musik. Mit seinen unkonventionellen Texten, deren phonetische Qualitäten den inhaltlichen oft vorgezogen werden und die häufig im Falsett gesungen werden, und vor allem seinem Synthesizerspiel prägte er den Sound seiner Band und den vieler anderer. Aber auch einige Gitarrenriffs entsprangen seiner Feder. Bei The Smile ist Yorke ebenfalls Sänger und spielt Synthesizer und Gitarre. Neu ist, dass er auch häufig zum Bass greift und diesen als Leadinstrument verwendet, was uns einige sehr catchy Basslines lieferte, wie zum Beispiel auf dem Song »The Smoke« von ihrem Debütalbum »A Light for Attracting Attention« (2022).

Johnny Greenwood ist bei Radiohead wohl am bekanntesten für seine Rolle als Leadgitarrist, auch seine Gitarre selbst, eine Fender Telecaster mit ikonischem Honda-Sticker, ist legendär, genauso wie seine schüchterne, fast ängstliche Art auf der Bühne. Vielleicht weniger bekannt ist sein Talent für Klavierspiel und klassische Streicherarrangements. Beispielsweise die Streicher, die einen der besten Radiohead-Songs, »How to Disappear Completely«, ausmachen, sind von ihm geschrieben. Außerdem war Greenwood in den letzten Jahren immer wieder ein gefeierter Komponist für Filmmusik, für seinen Soundtrack zu »The Power of the Dog« war er sogar für einen Oscar und Golden Globe nominiert. Dieses Skillset kommt bei The Smile verstärkt zum Einsatz, außerdem greift er häufig zu anderen Gitarren, beispielsweise einer Les Paul, und spielt auch Bass.

Der wohl unbekannteste Player der Band ist Schlagzeuger Tom Skinner, der durch die renommierte britische Jazz-Band Sons of Kemet bekannt wurde; 2023 veröffentlichte er auch sein erstes Soloalbum. Er ist wohl der Hauptgrund dafür, dass The Smile immer wieder im Kontext von Genreeinordnungsversuchen mit Jazz in Verbindung gebracht wird. Gekonnte Tempowechsel und seltsame Takte sind eines der zentralsten Elemente von The Smile. Skinner nimmt nicht immer so viel Raum ein wie seine Bandkollegen, aber man bekommt den Eindruck, dass er das Bindeglied zwischen den musikalisch exzentrischen Polen Yorke und Greenwood ist, ohne dabei sein eigenes Genie zurückhalten zu müssen. Die Rhythmiken von The Smile sind vielleicht das, was die Band so besonders und ungewöhnlich in ihrem Ausdruck macht, auch wenn das nicht oberflächlich das Erste ist, was einem beim unaufmerksamen Hören auffällt.

Weiterentwicklung und Eigenständigkeit

Was also ist neu an »Wall of Eyes«? Das Debütalbum von 2022 befand sich musikalisch noch in der Nähe des letzten Radiohead-Albums »A Moon Shaped Pool« (2016), es klang vielleicht wie eine Cousine aus einem anderen Land. Immer wieder fiel der Witz, dass The Smile Radiohead 2 sei. Spätestens seit »Wall of Eyes« sind diese Vergleiche nicht mehr zulässig. Die Band hat ihren eigenen Sound von vorherigen Projekten weiter emanzipiert und sollte nicht mehr als Side-Project gesehen werden, sondern als eigenständige Sache. Gab es auf dem ersten Album mit »You Will Never Work In Television Again« noch einen radiotauglichen Crowd-Pleaser, so ist auf der aktuellen Platte jeglicher Anspruch, leicht zugängig zu sein, verschwunden. Noch seltsamer wurden die Takte, die Synths noch dissonanter. Aber die Band begab sich auch mehr in die andere Richtung des Spektrums, so finden sich ein paar melancholische, ruhige Momente auf dem Album, die wir so noch nicht kannten. Noch stärker als auf dem Debütalbum finden sich hier Streicher, die eine zentrale Rolle spielen.

So zum Beispiel auf dem Song »Bending Hectic«. Zu Beginn der Nummer holen uns Greenwoods Gitarren-Bends wie auf einer melancholischen Wolke am Nachthimmel ab, Thom Yorke singt »I’m changing down the gears / I’m slamming on the brakes / A vintage soft top from the Sixties«, während Skinner Percussion-Sounds beiträgt, die nicht dem Rhythmus dienen, sondern als Geräuschkulisse. Im Laufe des Songs baut sich eine Spannung auf, die in einem Orchesterpart mündet, der klingt, wie die spannendste Szene in einem Horrorfilm. Die aufgebaute Spannung findet ihre Klimax in distorted Gitarrensounds und Rock-Drumming.

Ein weiterer interessanter Song ist »Friend Of A Friend«. Thom Yorke spielt eine dieser bereits genannten catchy Basslines, Johnny Greenwood diesmal Klavier und Tom Skinner natürlich Schlagzeug. Zum Refrain hin bekommt der Song einen romantischen Touch, wird langsamer und schleppender, Streicher steigen wieder ein. Der Sound bauscht sich erneut etwas auf, mit Effekten und Ambient Noise. Dieser Zyklus wiederholt sich dann, um beim zweiten Mal noch dissonanter und lauter zu werden, hier muss man eindeutig an Jazz denken. Das Outro bestimmen dann nur noch Klavier, Vocals und sanfte Streicher.

Was den alten Herren (Yorke 55, Greenwood 52, Skinner 44) hier gelungen ist, ist nichts weiter als eine Sensation. Wobei man sich die Frage stellen kann, ob die Fähigkeit, sich selbst neu erfinden zu können, bei dieser Besetzung wirklich überraschend ist. Radiohead haben es nicht nur einmal zustandegebracht, sich radikal abzuschaffen und neu zu erfinden, und das am vermeintlich bisherigen Höhepunkt ihres Wirkens. Auch The Smile schaffen auf »Wall Of Eyes« etwas noch nicht Dagewesenes und machen unfassbar gute Musik, zumal sie etwas fordernder und komplexer wurde. Auch live ist die Band großartig, man ist bei dem Konzert ständig verwundert darüber, wie nur drei Musiker so viel Sounds auf die Bühne bringen. Das geht unter anderem dadurch, dass Greenwood seinen Gitarrenkopf beim Spielen verwendet, um Tasten auf einem Klavier zu drücken. Außerdem kann man von sich sagen, dass man Ikonen der Popmusikgeschichte live gesehen hat – zum Beispiel beim Arena Open Air am 22. August 2024.

The Smile: »Wall of Eyes« (Self Help Tapes, XL Recordings)

Link: https://www.thesmiletheband.com/

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