© Illustration: Pe Tee
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Ohne Obsession ist alles nichts

Im Internet sieht man laufend um »Fremde« besessenhaft besorgte Menschen, Nehammer ist das bestimmt nicht, dennoch redet er so. Wir werden in Zukunft wohl drei Parteiherren haben, die gegen Migrant*innen Propaganda betreiben.

Selbst der Kanzler und sein Pressechef müssten einräumen, dass Nehammers Ansagen in letzter Zeit aufgesetzt und oberflächlich wirken. Denn es ist etwas völlig anderes, ob man Ausländer*innen unter Druck setzen will, damit sie möglichst billig brav hackeln, oder ob man, wie nicht wenige FPÖ-Anhänger, Sündenböcke existenziell zum Leben braucht. Jemanden abspaltet und im »Anderen« bekämpft, nur um all die schlechte Energie, die man in sich trägt, zu übertragen. Kanzler Karl Nehammer fehlt diese Obsession. Seine Aussagen wirken einstudiert und nicht authentisch. Wenn man sich zum Vergleich all die kleinen Hater im Internet anschaut, die permanent Druck machen, bis zu sechzehn Stunden täglich ihr Gift absondern – da sieht man von »Fremden« existenziell besessene Menschen. 

Es sind aber Studien zufolge in Wahrheit nur ein paar Tausende, vorwiegend Männer, die leider oft erfolgreich andere auffordern, sich Sündenböcke für was auch immer zu suchen. Ob Corona, angebliche Impf-Mörder, Russlands Krieg gegen die Ukraine und die angeblich letzten Neutralitätsverteidiger Österreichs, ukrainische Flüchtlinge, die sich nicht brav selbst aufgeben und unterwerfen, wie Putin, der große Antifaschist mit der rechtsextremen Wagner-Truppe, es von ihnen verlangt … der vorgeschobene Anlass bleibt egal. Es wird wie von der Putin-Propaganda, mit ihrer fatal agierenden Trollarmee von Internet-Hatern, eine Opfer-Täter-Umkehr verfolgt, die Täter werden verteidigt und geschützt. Was eventuell in ihrem echten Leben einmal eine Überlebensstrategie war. Wenn diese Menschen sich eingestehen müssten, wer ihnen in Wahrheit etwas angetan hat, würde ihre mörderische Wut sie wohl innerlich zerreißen.

Offene Rechnung mit den Grünen

Leider sind es inzwischen schon um die 30 Prozent der Österreicher*innen, die dringend eine Ableitung schlechter Gefühle notwendig haben und die Taktik verfolgen, Ballast auf andere abzuladen. FPÖ-Parteiboss Herbert Kickl in seiner permanenten Vorwurfsmasche, angeblich verletzt und gekränkt und dann auftrumpfend, konnte nach Haider und Strache zum Vorbild werden. Der Kanzler wirkt neben Kickl wie ein Schauspieler – das war früher nicht so. Es tritt immer klarer zutage: Nehammer soll offene Rechnungen seines Pressechefs mit den Grünen besser nicht übernehmen. Dass die Grünen es im Endeffekt schafften, den ehemaligen Chef des Pressesprechers und sogar kurzfristig sein tolles, obsessives Selbst loszuwerden, gehört wohl gerächt? Nun verpflichtet er Nehammer auf die altbekannte rechtsrechte Masche. 

Was aber bei Ex-Kanzler Sebastian Kurz in dessen intrigenfreudiger Hinterlistigkeit funktionierte, wird bei Nehammer nicht klappen. Dieser Kanzler liebt dafür das Leben zu sehr (inklusive seiner Kinder, die bestimmt mit Kindern aus allen möglichen Ländern in die Schule gehen – wie es eben im normalen Leben ist), um so obsessiv-verzweifelt zu kämpfen, angeblich um sein Leben zu ringen – wie es einem Internet-Hater nonstop einreden möchten. Die unablässig Aggressionen gegen Klimakleber fordern, statt Menschen vergiftende Abgase zu reduzieren. Über Gender diskutieren, statt Soforthilfe für Frauen zu verlangen, die mit Pflege und wenig Geld derzeit vermehrt unter die Räder kommen. Propaganda gegen Migrant*innen, die nicht nur überfordernde, an die Substanz gehende Jobs ausüben, sondern dafür auch noch bestraft werden sollen. Solche Netztiraden werden keine echten Probleme lösen.

Obsessive Internet-Hater sind leider extrem geübt darin, Schwachpunkte von Menschen zu finden, sogar auf Distanz. Es würde mehr bringen, virtuell-mörderische Menschenverachter polizeilich zu verfolgen, als deren Propaganda aufzugreifen. Denn damit legitimiert man diese nur und macht alles noch viel schlimmer. Karl Nehammer scheint in Wahrheit nicht so zu sein und das sollte er deutlich machen, bevor es zu spät ist. Oder will er wirklich statt der Zusammenarbeit mit den Grünen einen Kanzler Kickl haben? Das wäre eine Art Selbstvernichtung. 

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