In unserer Artikelreihe »30 Jahre skug« bergen wir Textschätze aus alten skug-Magazinen und hieven sie ins Internet, diesmal ein Interview von Alfred Pranzl und Herta Mayr mit Peter und Caspar Brötzmann aus skug #4, 1991. In diesem Jahr kollaborierten Vater und Sohn Brötzmann im Duo bzw. in der März-Combo aka dem späteren Peter Brötzmann Tentet, welches im März desselben Jahres anlässlich von Peters 50. Geburtstag auf Tour war. Weil Caspar Brötzmann bei skug nicht so präsent wie sein Vater sein konnte, wollen wir ihn zumindest mit zwei weiteren Einträgen auf unserer Website würdigen. Wir verweisen somit auf eine Rezension von Christian König im Jahr 1999 (einer der ersten auf skug.at und parallel in skug #40 publizierten Reviews) bzw. auf einen Artikel von Lutz Vössing aus dem Jahr 2018, der Caspar Brötzmanns Live-Qualitäten hervorhebt.
Schreiner und Werbegrafiker
Interview: Alfred Pranzl & Herta Mayr, Text: Herta Mayr, Dank an Christof Kurzmann für Wissen.
Beginnen wir mit Caspar Brötzmann, genauer gesagt mit dem Caspar Brötzmann Massaker. Wer es einmal erlebt hat, weiß, dass diesem Ereignis der Ausdruck »Massaker« wahrlich gebührt. Ein spartanisch klares Grundmuster, das von Bassist und Schlagzeuger gewoben wird, bildet den Rahmen, oder: den Gitterkäfig, in dem der Mann mit der E-Gitarre seine Runden dreht, ein wuchtiges Riff nach dem anderen auf einen Haufen türmt, schließlich auch noch einige Gesangsfetzen aus sich herauspresst – wie ein Wolf, der heulen will. Konventionelle Songstrukturen mit Refrain und sonstigem Klimbim stehen dem Berliner nicht zu Gesicht, das Massaker bewältigt eine Nummer entweder wie einen Steilhang – in einer kontinuierlichen Steigerung, die jedoch vor der Ekstase abbricht – oder es beginnt sofort auf der Hochebene und ergießt Dauerspannung über die Gemeinde. Diese Musik verfolgt einen so, wie eine ausgemergelte Hyäne ihrem Opfer nachschleicht und darauf wartet, dass es zusammenbricht. Und genauso wie das Opfer nach einer Woche Psychoterror mit der Hyäne in einer intimen Beziehung steht, so kann sich auch das Massaker-Publikum diesem Bann nicht entziehen. Caspar Brötzmann gilt neben Leuten wie Fred Frith und Elliott Sharp als einer der Gitarristen, die das Zertrümmern stilistischer Kategorien am konsequentesten betreiben. Und doch ist es zumeist ein Rockpublikum, vor dem er auch einmal der Saitenaufhängung und dem Resonanzkörper seiner Stratocaster Töne entlockt, und Berichte über ihn finden sich eher in Hardcore-Magazinen als in Jazz-Zeitschriften. Eingefleischten Jazzer*innen ist sein Name wohl erst vertraut, seitdem er mit seinem Vater Peter Brötzmann zusammen spielt, sei es im Duo oder im Rahmen der März-Combo, einer Truppe aus zehn namhaften Vertretern der internationalen Improvisationsszene, die im März dieses Jahres anlässlich von Peters Fünfzigstem durch die Lande tourte.
Peter Brötzmann gehörte in Deutschland zu den wichtigsten Ammen, als in den 1960er-Jahren die Geburtsstunde des Free Jazz schlug. Hatte sich die europäische Szene jahrzehntelang – von New-Orleans-Stil über Dixieland, Swing und Hard Bop, um nur einige Stilrichtungen zu nennen – an amerikanische Vorbilder und Traditionen gehalten, so zeichnete sich gleichzeitig mit der Entwicklung des Free Jazz eine Emanzipation des alten Kontinents ab, ein Ende der »plagiatorischen« Ära. Vor allem in Deutschland, mehr noch als in anderen Ländern Europas, machte der Free Jazz Furore. Brötzmanns wuchtig-wildes Saxofonspiel wurde von Kritikern oft als »deutsch« bezeichnet, manche gebrauchten gar den Ausdruck »teutonisch«, aber vielleicht passt zu seinem Stil besser ein Ausspruch Gertrude Steins: »Jazz ist Zärtlichkeit und große Gewalt«, denn der Koloss von Wuppertal versteht es auch, seinen Instrumenten (das sind Tenor- und Basssaxofon, oft verwendet er auch eine türkische Schalmei namens Tarogato) zutrauliche Töne zu entlocken und besinnliche Passagen in seine Stücke einzuflechten. Bekannt wurde er – um nur einige Stationen seiner 30-jährigen Laufbahn zu nennen – vor allem durch Projekte wie Globe Unity Orchestra (freie Kollektivimprovisationen), Last Exit (Verbindung Rock-Jazz) sowie unzähligen Duos, Trios etc. mit so ziemlich jedem*r, der*die in der Szene Rang und Namen hat, unter anderem dem Posaunisten Albert Mangelsdorff, der Avantgardistin Carla Bley, Don Cherry (der Mann mit der Kindertrompete) sowie den Herren Fred Van Hove (Piano) und Han Bennink (Schlagzeug). Damit genug des Namedroppings. Mit der LP »Machine Gun« (Peter Brötzmann Octet) setzte er 1968 einen Meilenstein auf der Straße der Improvisationsmusik. Bei den musikalischen Zwiegesprächen mit dem jungen Brötzmann (verewigt auf der LP »Last Home«) entsteht nun wiederum etwas ganz Neues, eine gewaltige Angelegenheit; mit vollen dunklen Riffs legt die Gitarre eine Schienenstraße, auf der der Alte wie eine Dampflok dahindonnert, und wenige Augenblicke später sind die Positionen vertauscht, das Saxofon schafft Landschaften, in denen sich der Junge einen Weg sucht. Jedoch Vorsicht: das ist natürlich nichts für die Sanften unter uns.
Lassen wir jetzt Brötzmann sen. selbst zu Wort kommen, wir trafen ihn nach einem umjubelten Duo-Konzert im Bühnenhinterzimmer der Szene Wien, während sich Caspar in der Bar dem Alkohol hingab.
Die Anfänge
Begonnen hat alles Ende der 1950er-Jahre im Schulorchester mit Dixieland, mit 17 begann er Malerei und Grafik zu studieren und landete in Wuppertal, wo er heute noch wohnt. Musik war für ihn damals Nebensache, wichtiger waren Kontakte zur Fluxus-Szene, Ossi Wiener. »Das war ja auch eine große Familie«. Hard Bop, der damals gespielt wurde, war langsam langweilig.1964 kam mit der sogenannten Oktoberrevolution der Einzug des Free Jazz. »Ich denke, ich habe die erste selbstproduzierte Platte in Europa rausgebracht, 1967 war das, dann kam ›Machine Gun‹ und die FMP-Idee und dann ging alles ein bisschen schneller.« (FMP steht für Free Music Production, ein Berliner Label, das sich mit dem Grundsatz der Selbstverwaltung um die Pflege der Free-Jazz-Szene verdient gemacht hat.) Gelernt habe er Musik nie, natürlich alle Berendt-Bücher gelesen, mit 14 in der Schule Plattenkurse über Louis Armstrong besucht, aber: »Ich hab’ nie einen Lehrer gesehen, ich hab einfach angefangen.«
Caspar und die Gitarre
»Wie war es, festzustellen, dass der Spross Gitarre spielt?«, fragen wir. Peter Brötzmann: »Er kam irgendwann nach Hause und sagte: ›Ich kauf mir jetzt eine Gitarre.‹ Und das war ja relativ spät, er war da schon in seiner Schreinerlehre, hatte also auch eigenes Geld. Das Haus war immer voll von Musikinstrumenten, die jeder benutzen konnte. (Es wird erzählt, dass Caspar seine allererste Gitarre auf einem Kasten im Haus gefunden hat, nachdem sie Carla Bley Jahre vorher dort vergessen hatte.) Na ja, zu den Zeiten musste ich mir 24 Stunden am Tag Jimi Hendrix anhören. (Gelächter) Und eines hab’ ich gemerkt: Er hat es von Anfang an ungemein ernst gemeint.« Auf die Frage, was er vom Caspar Brötzmann Massaker hält, erzählt er freimütig und auch ein wenig mit Stolz: »Ich hatte sein Trio von Anfang an verfolgt, es wurde von Stufe zu Stufe besser – er ist ja nie zu meinen Konzerten gekommen.« »Bist du zu seinen gegangen?« »Ja, natürlich. Ganz im Hintergrund, damit er keinen Schreck kriecht. (grinst) Ich hatte eigentlich immer schon Kontakte zu Rockmusikern«, sagt er, »ich hab’ mit Tangerine Dream gespielt, und Last Exit war ja auch eine Rockgeschichte.« Wir wollen wissen, welches Publikum zu den Konzerten kommt und ob er meint, dass das Rockpublikum mit allen Free-Jazz-Elementen etwas anfangen kann. »Wir spielen auch an Avantgarde-Jazz-orientierten Plätzen, da sieht es vielleicht ein bisschen anders aus als heute. Aber ich denke, die meisten Leute haben begriffen, dass diese Unterschiede sehr fragwürdig sind. Wenn sich die Herren aus der Jazzmusik zu Hause hinsetzen wollen und Miles-Davis-Videos kucken, soll mir das recht sein – da ist mir jeder Typ, der aus der Rockszene kommt, weitaus lieber, wenn er ein paar auf den Ohren hat. Sehr oft sind Leute, die keine Ahnung von Jazz haben, überrascht, dass es solche Idioten gibt, aber andererseits sehe ich, dass ich auch in der Lage bin, ein paar Leute zu überzeugen. Die Platte verkauft sich anscheinend wahnsinnig gut, also es muss ein Publikum geben.«
Das Geld
»Anfangs konnte ich gar nicht von der Musik leben. Ich hab’ mit 21 geheiratet, meine Frau war 22, gleich zwei Kinder gemacht, mein Schwiegervater hatte eine Schlosserei, da hab’ ich mitgearbeitet, und zum Ende des Studiums hab’ ich mit Werbegrafik angefangen und mich dann selbstständig gemacht – denn von Musik konntest du überhaupt nicht leben, auch nicht zu »Machine Gun«-Zeiten. Und so richtig relaxt leben kann ich erst, seitdem die Familie nicht mehr existiert und ich mich von meiner Frau getrennt habe und alles Geld, was ich einspiele, versaufen kann. (lacht) Auf jeden Fall habe ich genug, fast genug, für das, was ich machen möchte.« Damit leiten wir zur März-Combo über und fragen, ob das sein Geschenk zum Fünfziger gewesen sei. »Och, nein!«, sagt er fast ein bisschen mürrisch. »Wir sahen bloß ’ne Möglichkeit … das heißt, der Typ, der ’n bisschen für mich arbeitet, sagte: ›Verdammte Scheiße! Jetzt bist du 50! Holen wir aus der Stadt was raus oder aus der Sparkasse oder aus dem Land.‹ Nur: Die Stadt war äußerst geizig«, lacht er, »aber dann haben die Radio- und Fernsehstationen gut mitgespielt. Ja und die Tour war vom 14. bis Ende März, und da hatten wir in diesen vierzehn Tagen zwölf Jobs zusammengekriegt und es blieb für jeden von uns ’ne ganz gute Summe übrig.« Wird es eine Platte geben? »Wir haben Tapes und ich bin gerade dabei, die zu sichten.«
Last Home
Frage: »Wie entstehen die Nummern mit Caspar, habt ihr im Proberaum zum ersten Mal zusammengespielt oder wie war das?« »Nein, das war gleich die Platte, es ist schon etwas ungewöhnlich, das gebe ich zu. Es war so: Eines Tages – Caspar war gerade bei mir in Wuppertal – kam so ein junger, englischer Mann, der wirklich nicht so aussah, als hätte er irgendeinen Pfennig in der Tasche, und der sagte: ›Ich wollte das schon immer machen und ich kann Geld besorgen und wir gehen ins Studio zu Bill Laswell‹ – der hatte gerade ein neues Studio in Brooklyn aufgemacht.« Wie heißt der Mensch? »Kevin Martin, der steht auch auf der Platte irgendwo drauf und er sieht aus wie … na nicht der letzte Punk, aber … ja! (lacht) Und der wohnte dann auch eine Woche bei mir und … Kevin trinkt nicht. Das war ein wunderschöner Sommer, wir saßen immer nur im Garten und betranken uns und Kevin wunderte sich immer. (Gelächter) Und eines Tages wurde das tatsächlich klar, er hatte das Geld besorgt – und das war viel Geld – Tickets für Amerika besorgt, das Studio bezahlt, also, das war eine riesenteure Produktion. Dazu muss ich sagen, es war erst eingeplant, das zusammen mit Diamanda Galas zu machen, aber die kam aus Europa zurück, als wir schon sechs große Bänder voll hatten, und wir sagten, wir machen das später mit Diamanda, und die war auch abgefuckt, die kann nicht immer zusingen, die Stimme muss sich erholen. Das Cover habt ihr gesehen?« Ja. »Um die Ecke vom Studio gibt’s diesen riesigen Wodkaladen, das ist das polnische Viertel von Brooklyn, und da sind wir jeden Vormittag reingegangen und haben uns mindestens einen Liter gekauft. Man muss dazusagen, die Technik im Studio stimmte, das war ein Loft mit einer irrsinnig guten Akustik, und Laswell und Musso haben uns gut unterstützt, also wir konnten uns wirklich ganz der Musik widmen – und ich glaube, das hört man auch.« Zwischendurch taucht Caspar auf, mit der Frage: »Hast du Geld schon gemacht?« Peter: »Kuck mal, ob du ihn findest. (Gemeint ist Szene-Manager Manfred Winter.) Er meinte, er geht sonst nach Hause mit der Kohle.« Worauf Caspar sich auf die Suche macht.
Radiostationen
Wir kommen zum Thema Radio, Tantiemen, Öffentlichkeitsarbeit im Allgemeinen. Dazu fällt dem alten Herrn viel ein: »Die Sendezeiten für Jazz werden immer beschissener, seit Jahrzehnten geht das so. Ist ja auch ganz klar: In den Stationen sitzt jetzt eine Generation, die ist so alt wie ihr, die hat keine Ahnung von Tradition, vielleicht muss das ja auch nicht sein, und hat kein Verständnis für ihre eigentliche Pflicht – weil es ja immer noch eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit ist. Die alten Typen wie Berendt oder der Schwarz in Köln – obwohl der unsere Musik überhaupt nicht mochte –, die hatten schon ein Bewusstsein von ihrer Funktion innerhalb der ganzen Geschichte. Aber dann kam Niehaus und in den zehn Jahren, wo er die Musik-/Jazz-Redaktion im WDR überhatte, habe ich keine einzige Geschichte machen können. Na ja, jetzt gibt’s einen neuen Mann – mal sehen, was der wieder haben will.«
Zum Schluss noch eine Anekdote zu dem Problem der Tantiemenauszahlung: »Also eine Geschichte gibt’s da: Sunny Murray, der Trommler, der war eines Tages so sauer und hat sich – was nicht schwer ist in Amerika – einen Revolver besorgt und ist ins Ascap-Büro gerannt und hat endlich mal mit diesem Scheiß Revolver sehen wollen: ›Wo bleibt mein Geld?!‹ Denn der hat immer gespielt, Platten aufgenommen – und nie einen Pfennig gesehen, nichts, und so geht’s den meisten.«
Diskographie:
Peter Brötzmann (Auswahl):
»The Noise of Trouble«, Last Exit, Enemy, 1986
»For Adolphe Sax«, Peter Brötzmann/Kowald/Johansson, FMP, 1967
»Alarm«, Peter Brötzmann/Breuker u. a., FMP, 1981
»14 Love Poems«, Peter Brötzmann solo, FMP, 1984
»No Nothing«, Peter Brötzmann solo, FMP, 1991
»Wie das Leben so spielt«, Peter Brötzmann/Werner Lüdi, FMP, 1991
»Outspan No. 2«, Peter Brötzmann/Fred Van Hove/Han Bennink, FMP, 1974
»Low Life«, Peter Brötzmann/Bill Laswell, Celluloid Records, 1987
»Machine Gun«, The Peter Brötzmann Octet, FMP, 1968
Caspar Brötzmann:
»Black Axis«, Caspar Brötzmann Massaker, FMP+Zensor, 1989
»The Tribe«, Caspar Brötzmann Massaker, FMP+Zensor, 1987
Links:
http://www.peterbroetzmann.com/
https://casparbrotzmannmassakersl.bandcamp.com/