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Marilyn Mazur

»Shamania«

Rare Noise Records

In der schwedischen Mythologie gibt es das »Bortbyting« (Wechselbalg). Damit sind jene Kinder gemeint, die den ahnungslosen Eltern von Elfen in die Wiegen gelegt wurden. Die Waldwesen im hohen Norden sind nicht die brav-kitschigen Witzfiguren, die uns von Hollywood und von Herrn Tolkien eingeredet wurden. Es sind vielmehr Hypostasen von Naturkräften und die Natur ist nicht nett. Wer etwas mit ihr zu tun hat, merkt schnell, dass sie nicht kontrollierbar ist. Die Elfen in Skandinavien stehlen also des Nachts die Menschenkinder aus ihren Bettchen und wechseln sie mit ihren eigenen aus. Ein Elfenkind wird sich dann später in der Welt immer fremd und unverstanden vorkommen. Irgendwann fängt es dann an, Free- und Avant-Jazz zu hören oder sogar selbst welchen zu machen. Es beschäftigt sich mit Schamanismus und solchen Dingen, weil es spürt, dass es Teil jener unkontrollierbaren Naturkräfte ist, denen alle Menschen trotz fleißiger Einübung von Rationalität unterliegen. Neun Elfen (nein stimmt natürlich nicht, es sind ganz gewöhnliche Skandinavierinnen) haben sich jetzt rund um Marilyn Mazur in New York eingefunden und eine Platte aufgenommen. Die hat es in sich. »Urkraft« halt und die kann man sich vorstellen wie eine höchst verfeinerte Musikalität hoch versierter Instrumentalistinnen, die mit großer improvisatorischer Reife agieren. Anders gesagt, sie singen und tanzen an einem umwaldeten Lagerfeuer und man merkt gleich, sie haben das vorher geübt.

Marilyn Mazur hat eine erstaunliche Karriere hingelegt, in einem Business, das fast ausschließlich von Männern dominiert wird. Jene Männer übrigens, die Frauen gerne Irrationalität und unkontrollierte Gemütsschwankungen unterstellen, weshalb bei den wilden Elfen auch jede*r zugleich an weibliche Elfen denkt, dabei sind die Waldgeister mindestens zur Hälfte männlich oder scheren sich gar nicht um ihre Geschlechtszugehörigkeit. Mazur spielte mit den Großstadtgeistern Miles Davis, Wayne Shorter, Gil Evans und natürlich auch Jan Garbarek. Sie gründete die Orchester Future Song, Primi Band, die Fusion Band Six Winds und die Marilyn Mazur Group. Diese reichhaltigen Erfahrungen tragen bei »Shamania« Früchte. Manchmal geht es jazzig zur Sache und die Platte klingt ein wenig wie »Bitches Brew«, dann wird es wieder atmosphärisch tief und dunkel, beinahe wie bei Meredith Monk. Vielleicht hätte sich das geneigte skug-Publikum an manchen Stellen ein wenig mehr Bereitschaft zum räudigen Klang gewünscht, da der hochwohlverehrte Jan Garbarek (dessen Einfluss auch deutlich zu hören ist) und dessen Schule des distinguierten nordischen Jazzklangs manchmal einfach doch zu betulich ist.

Wer übrigens nach dem Anhören dieser sehr empfehlenswerten Scheibe schmutzig-wilde Gelüste verspürt, der kommt einfach am Samstag, dem 9. März 2019 ins Wiener rhiz zum Salon skug mit MAG und Laughing Eye und lernt die schwedische Avantgarde von ihrer knalligeren Seite kennen.

Home / Rezensionen

Text
Frank Jödicke

Veröffentlichung
13.02.2019

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