Am 1. Oktober 2018 ist in Wien die neue Marktordnung in Kraft getreten. Diese betrifft alle Wiener Märkte, auch den Flohmarkt am Naschmarkt. Das Neue ist, dass der Flohmarkt ab sofort um 14:00 statt um 18.00 Uhr, also vier Stunden früher beendet werden soll. Um 15:00 Uhr müssen alle Menschen den Platz verlassen haben. Die Widerstände gegen die neue Wiener Marktordnung wurden leider nur von den Lebensmittelhändler*innen und Gastronom*innen Wiens in den letzten Monaten heftig und öffentlichkeitswirksam thematisiert. Nach breiten Diskussionen wurden schließlich von der Stadt Wien Zugeständnisse gemacht, die aber den Lebensmittelhändler*innen noch nicht ausreichten. Rechtliche Schritte bis zum obersten Gerichtshof wurden angedroht und medial positioniert. Nur vom Flohmarkt hat man kaum etwas gelesen und gehört, außer dass es dort ein »Müllproblem« geben soll und »Schwarzhändler*innen« ihr Unwesen treiben sollen. Die langjährigen Flohmarkthändler*innen mit fixem Pachtvertrag wurden von den neuen Verordnungen weder schriftlich vorab informiert, noch fand eine breitere Diskussion zwischen den Händler*innen statt. Es gibt keine einheitliche Lobby bzw. sind die Händler*innen scheinbar untereinander zu wenig vernetzt und dadurch zu wenig informiert.
Lebendiger Ort
Wieder einmal muss man erklären, welche kulturelle und auch internationale Bedeutung der Flohmarkt am Naschmarkt für Wien darstellt. Von diesem lebendigen Ort profitieren alle: Antikhändler*innen, Schatzsucher*innen, Kunstinteressierte, Tourist*innen und Flaneur*innen bis hin zu den ärmeren Bewohner*innen der Stadt, die am Ende des Flohmarkttages die liegengelassenen Reste der Konsumgesellschaft gratis mit nach Hause nehmen können. Vielen Wiener*innen geht es gerade um den sozialen Aspekt dieser einzigartigen Institution, die für alle Menschen, unabhängig ihres Standes, eine wichtige Bedeutung aufweist. Dieses einzigartige Verteilungssystem von oben nach unten und umgekehrt ist nicht nur sozial gerecht, sondern auch ökologisch und ressourcensparend. In anderen Worten: hochmodern und dringend. Das Zusammenspiel zwischen Verkäufer*innen, Käufer*innen, dem mit geschultem Augenmaß kontrollierenden Marktamt und der hochprofessionell arbeitenden Müllabfuhr ist ein exakt laufendes und gut geschmiertes Uhrwerk und dient als seltenes Vorzeigebeispiel für einen – trotz verschiedenster Interessen – guten zwischenmenschlichen Umgang in einer sonst eher anonymisierten Großstadt.
Müll statt Menschen
Der neue Direktor der MA59, also des Marktamtes, ist Andreas Kutheil. Er war früher Betriebsleiter bei der MA48 Abfallwirtschaft, ist also ein Vollprofi zum Thema »Müllprobleme«. Seine simple Lösung ist eine verkürzte Öffnungszeit des Marktes, aber das »Phänomen Flohmarkt« braucht durchdachtere Konzepte als das zu frühe und harsche »Abdrehen« – 40 Jahre hat es schließlich für die meisten Menschen gut funktioniert! Ein frühzeitiges Ende des Flohmarkttages um 14:00 Uhr führt nun zu einer massiven Verdichtung und stresserfüllten Hektik sowie zu herben Verlusten für alle. Für alle Flohmarktmenschen und auch für die zahlreichen Tourist*innen Wiens, die sich diese Attraktion nicht entgehen lassen wollen. Durch den Druck der verkürzten Marktzeit kommt es zu einem »Einpackchaos«, bei dem die Ladeautos durch die noch zahlreichen Besucher*innen hindurchfahren müssen. Da die meisten Standler*innen mehr als eine Stunde zum Einpacken ihrer Stände benötigen, herrscht bereits ab 13:00 Uhr, also zur besten Zeit, zum Teil aggressive »Abbaustimmung«, weil der Umsatz sinkt und der Druck steigt. Der gemütliche »Nachmittagsbummel« über den Flohmarkt, eingebettet zwischen weltberühmter Architektur, ist in der seit vierzig Jahren gewohnten Form so nicht mehr möglich.
Für die zahlreichen Besucher*innen (bis zu 20.000!) weicht die traditionelle und großzügige »Erlebnisbühne Flohmarkt« bereits ab 15:00 Uhr einer leeren Fläche und anschließend einem normalen Parkplatz. Viele Wiener*innen und Tourist*innen kommen aber erst zu dieser Zeit, um entspannt zu kaufen und das Wiener Flair zu genießen. Durch das frühzeitige Ende des Flohmarktes entsteht ein enormer finanzieller, menschlicher und kultureller Schaden, der auch umgehend den Lebensmittel-Naschmarkt und alle Geschäfte rund um den Flohmarkt treffen wird. Dies führt insgesamt zu vermehrter Arbeitslosigkeit und weiterer Verarmung, besonders bei einkommensschwachen und älteren Menschen, die sich nur günstige Flohmarktsachen leisten können. Selbst bei der MA59 am Naschmarkt und bei der MA48 Müllabfuhr könnten durch den kürzeren Flohmarkt bezahlte Überstunden oder sogar ganze Jobs wackeln.
Das menschlich Lebendige
In Zukunft ist es leider durchaus vorstellbar, dass die Verkürzung der Flohmarktöffnungszeiten nur der erste Schritt hin zu einer endgültigen Verdrängung des Flohmarktes weg von dieser prominenten und unter Gentrifizierung leidenden Gegend ist. Das »volle und menschlich Lebendige« könnte in Zukunft einer »leeren und sauberen Ruhe« weichen. Diverse Projekte verschiedenster Entscheidungsträger, wie der Bau einer gestylten Markthalle oder eines verkleinerten Antikmarktes mit hübschen Holzhütten, geistern regelmäßig durch die Gazetten und von Mund zu Ohr. Es gibt aber eine lebendige und vielschichtige Gruppe an interessierten Menschen, die eines der letzten authentischen und urwienerischen Großbiotope als Kultur- und Menschenort für alle, vor allem für die nachwachsenden Generationen, erhalten wollen. Es gilt, jetzt für die Zukunft des Flohmarkts an diesem weltberühmten Platz die Stimme zu erheben. Reden wir also konstruktiv über die Probleme, die so ein komplexer Kosmos zwangsläufig mit sich bringt, und arbeiten wir gemeinsam an zukunftsorientierten Lösungen. Bleiben wir im Gespräch und bleiben wir aufmerksam!